Spectre :: Poetisch-politisches Manifest: Die Slowenen irritieren mal wieder

„Trade is a socialist act“ heißt es im Webshop von Laibach. Ironie? Eher nicht. Trotzdem darf man schmunzeln über das raffinierte Spiel, dass die Slowenen seit mehr als drei Jahrzehnten treiben: Ideologien, Religionen, Weltanschauungen – alles, was Politik, Kultur und Glauben ausmacht, wird in der Musik von Laibach einer strengen Prüfung unterzogen. Die Verbindungen zwischen totalitärer Propaganda und Popkultur stehen dabei im Mittelpunkt, zuletzt im gewohnt bombastischen Soundtrack zu „Iron Sky“. Man hat der Band früher oft vorgeworfen, sie seien Faschisten – weil sie nicht ironisch an ihr Thema herangehen, sondern mit einer Über-Identifikation, die „das obszöne Superego auf der Unterseite des Systems ans Tageslicht bringt“. Das schreibt jedenfalls der linke Theoretiker Slavoj Žižek in seinem Aufsatz „Why are Laibach and NSK not Facists?“.

Bombastisch marschierende Rhythmen, hymnische Gesänge und ausgesprochen bösartige Klänge gibt es auch auf „Spectre“ wieder im Überfluss. Schwer zu sagen, ob man das musikalisch noch unter Industrial ablegen kann. Auf jeden Fall funktioniert es fantastisch. In einem pathetischen Manifest behaupten Laibach, sie hätten sich neu formiert, neu erfunden, hätten alle Interpretationen ihrer Kunst infrage gestellt – und seien dennoch ganz die Alten geblieben. Es verwundert also kein bisschen, wenn die Band behauptet, „Spectre“ sei ein politisches Manifest in poetischer Form.

Was man sich darunter vorzustellen hat, zeigt „The Whistleblowers“: Zu einer stolzen militärischen Pfeiferei, die starke Ähnlichkeiten mit dem „River Kwai Marsch“ aufweist, wird voller Pathos eine monumentale Heldengeschichte erzählt: Die „der digitalen Vordenker der Freiheit – Chelsea Manning, Edward Snowden, Julian Assange“. Man fühlt sich ertappt, während man zuhört. Natürlich sind das alles Phrasen: „From North and South/We come from East and West/Breathing as one/Living in fame/Or dying in flame/We laugh/Our mission is blessed“. Aber könnte es nicht sein, dass die Verklärung der neuen Helden auch nicht so viel anders funktioniert als die der alten?

„No History“ konfrontiert uns mit Fukuyamas These vom Ende der Geschichte und dem Aufstieg des Neo-Liberalismus. Ein Albtraum, wie ihn Hieronymus Bosch nicht besser ausmalen könnte: „And no commandments on the wall/No god, no rules to scare you all“, raunt Sänger Milan Fras wie ein Prophet der Apokalypse. Auch „Americana“,“Eurovision“ und der „Koran“ werden auf eine Weise besungen, die den Hörer nachhaltig in die Sitze drückt. Gescheit, eloquent und raffiniert, aber in der Opulenz der Mittel so überwältigend wie ein militärischer Schlag. Kurz: „Spectre“ ist das beste Laibach-Album seit „NATO“. (Mute) JÜRGEN ZIEMER

Die Heiterkeit

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