Stein – König Zucker
Mit den Einstürzenden Neubauten wurde er berühmt. Doch inzwischen gründet sich sein Ruf als herausragender Avantgarde-Komponist längst auf anderen Projekten: FM Einheit. Gemeinsam mit Andreas Ammerer machte er unlängst Furore mit seinem Sound-Collagen-Abenteuer „Radio Inferno“. Da gibt es aber auch noch die Gruppe Stein, die das Reich der Sinne in Richtung Theatermusik lenkt. Man könnte auch sagen: In das Pantheon wirklich feuilletonistischer Klangkunst und somit hochprozentig reinen Minderheitengeschmacks.
F.M. Einheit begreift Theatermusik als das Pendant zur Filmmusik und die Stein-Musik macht spürbar, daß hier behutsam mit den Unterschieden zwischen Theater und Film umgegangen worden ist. Im Gegensatz zu der immergleichen Reproduzierbarkeit des Cineastischen ist ja das Theater ein unmittelbares, dreidimensionales Erlebnis – mit Darstellern aus Fleisch und Blut. Stein sind sich, wie schon bei den Vorgängern „Stein“ und „Steinzeit“, dieser Körperlichkeit und auch Unvorhersehbarkeit des Theaters bewußt.
Entsprechend vital und spontan muß auch Theatermusik sein: „Wir verschmelzen theatralische Momente mit Musik – das eben ist Theatermusik. Wir beschreiben damit andere Wirklichkeiten“, sagt F.M. Einheit. Und wenn er von „wir“ spricht, dann meint er damit Ulrike Haage und Katharina Franck, die nach dem Ende der Rainbirds nun aus ihrem Vertrag bei der Phonogram entlassen ist und nun endlich offiziell bei Stein mitsingen darf. Die beiden Frauen haben gut 80 Prozent dieser eigenwilligen Platte geschrieben. „Um sich an neue Theatermusik heranzutasten, muß man mit Material aus bereits vorhandenen Theaterstücken arbeiten“, begründet Einheit die Bezüge und Anspielungen auf Georg Büchner („Rosettas Tanz“), Werner Schwabs Kultstück „Abfall Bergland Cäsar“ und Elfriede Jelineks „Krankheit oder moderne Frauen“. Ein Text-Auszug des letzteren Stückes wurde über eine archaisch verfremdete Version der Filmmusik von „Rosemary’s Baby“ gesprochen.
Auf derbe und rabiate Klangorgien à la Neubauten und Radio Inferno hat F.M. Einheit verzichtet Piano, Akkordeon und nur ein paar Samples dominieren die doch recht melancholische Stimmung. „Tanze, tanze, Rosetta, tanze, bis die Zeit im Takt deiner Füße geht“, singt Katharina Franck mit wunderbar klarer Stimme. Eine Aufforderung zum Tanz, die eigentlich an die eigene Vorstellungskraft gerichtet ist: Selbsterkenntnis und Sich-fallen-lassen durch dynamische, aber spielerische Bewegung der Gedanken, der Phantaste, des Körpers – um darüber der eignen Intuition, den eigenen Gefühlen zu folgen. „König Zucker“ – insgesamt auch für Meditations- und Esoterik-Diabetiker geeignet.