The Smiths :: Complete

Komplett auf CD und Vinyl: vier Studio-LPs und vier Compilations

Weshalb die Smiths ihre Dekade überstrahlen und nicht etwa China Crisis, die Red Guitars oder Curiosity Killed The Cat – diese Frage lässt sich mit zwei Namen beantworten: Morrissey und Marr. Man kann aber auch etwas umständlicher sagen, dass die Songs der Smiths die gesamte Geschichte der Rockmusik umspannten – nur die Musik der 80er-Jahre eben nicht. Die Smiths waren ein Anachronismus von Beginn an, als sie „Hand In Glove“ für Sandie Shaw schrieben und damit eine der großen Gestalten des untergegangenen Britannien wiederbelebten.

Auf das Cover des ersten Albums „The Smiths“ (1984, *****) nahmen sie, nahm also Morrissey den muskulösen Oberkörper von Joe Dallessandro aus Andy Warhols Film „Flesh“. Die Platte war so untergrundig, wie es ein Album nur sein konnte, das in der britischen Presse als das beste Debüt seit den Beatles gefeiert wurde. Die Songs handeln von unerwiderter Liebe, von manischer und obsessiver Liebe, von kranker und devoter Liebe, von Eigenliebe und schwuler Liebe auch – und im größten Song, „Suffer Little Children“, poetisiert Morrissey die berüchtigten Kindesmorde eines psychopathischen Liebespaars in der Nähe von Manchester. Die Perspektivwechsel und der metaphorische Reichtum weisen ihn als Kenner der englischen Schauerromantik aus: „Oh Manchester, so much to answer for/ Dig a shallow grave and I lay me down.“ Johnny Marr lässt die Rickenbacker-Gitarre am Ende süß jubilieren: ein Requiem. Ein weiterer Song, „The Hand That Rocks The Cradle“, taucht tief in die Wonnen und Schrecken der Kindheit. Yeats und Keats, die stets aufgerufenen Säulenheiligen, sind auch in der Belcanto-Ballade „Reel Around The Fountain“ präsent; hinzu kommt die Larmoyanz von „I Don’t Owe You Anything“, „Miserable Lie“ und „What Difference Does It Make?“.

Auf „Meat Is Murder“ (****) trat Morrissey für den Vegetarismus an – das Album ist sein „Animal Farm“ und „The Wall“, es zeigt die Systeme der Schule und des Kriegs als brutale Vernichtungsmaschinen. Johnny Marr hat sein Gitarrenspiel in verdichteten Songs wie „The Headmaster Ritual“ und „Rusholme Ruffians“ beschleunigt und verschärft, um dann in „Well I Wonder“ und zum Muhen der Kühe in „Meat Is Murder“ umso elegischer zu zirpen, während Morrissey leidet.

„The Queen Is Dead“ (1986, *****), Kulminationspunkt von Spott, Unzufriedenheit und Weltschmerz, trieb Morrisseys Lyrik auf die Gipfel Cioran’scher Verzweiflung: Die Schwermutstraktate „There Is A Light That Never Goes Out“, „I Know It’s Over“ und „Never Had No One Ever“ stehen kleinen Gemeinheiten wie „Frankly, Mr. Shankly“, „Vicar In A Tutu“ und „Some Girls Are Bigger Than Others“ gegenüber. Das Abschiedwerk „Strangeways, Here We Come“ (1987, **HH1/2) führte noch Bläser, Streicher und also ein üppigeres Klangbild ein, um dann im ätzenden Zerstörungsfuror von „Death Of A Disco Dancer“ und „Paint A Vulgar Picture“ leuchtend unterzugehen. Andererseits singt Morrissey seine allerschönsten Liebeslieder: die apokalyptische Sehnsuchts-Ode „Last Night I Dreamt That Somebody Loved Me“ mit bedrohlicher Klavier-Ouvertüre, das lind-aufrichtige „Girlfriend In A Coma“ und das zarte, stille „I Won’t Share You“ am Ende des Albums.

Essenziell bleibt „Hatful Of Hollow“ (*****), eine Sammlung von Singles und Aufnahmen, die noch vor dem zweiten Album erschien. Neben „How Soon Is Now?“ enthält die Platte erzromantische Lieder wie „These Things Take Time“ und „This Night Has Opened My Eyes“, das Folk-Stück „Back To The Old House“ und das weihnachtlich-flehentliche „Please Please Please Let Me Get What I Want“. Auf „The World Won’t Listen“ (1986, **HH) sind die späten Singles und B-Seiten – „Panic“, „Ask“, „Shoplifters Of The World Unite“, „London“ – versammelt, die Marr und Morrissey mit gleichbleibender Güte, aber auch Routine schrieben. „Louder Than Bombs“ (***), für den amerikanischen „Markt“ konzipiert, greift zurück bis „Hand In Glove“ und „Heaven Knows I’m Miserable Now“ und enthält fast nur entlegene Songs wie „Sweet And Tender Hooligan“, „Rubber Ring“, „Stretch Out And Wait“ bei vielen Überschneidungen mit „The World Won’t Listen“. Das erst 1988 veröffentlichte Live-Album „Rank“ (**H1/2) dokumentiert ein Smiths-Konzert vom Oktober 1986 und wird immer gescholten für all die Songs, die nicht drauf sind – dabei ist so viel bemerkenswerter daran, welche Songs sie spielten.

Die Mini Vinyl Replicas auf CD – formschön, praktisch und kostengünstig im Schuber – erlauben leider nicht die Lektüre der Songtexte. In „Paint A Vulgar Picture“ heißt es: „Re-issue! Re-package! Re-package! Re-evaluate the songs/ Double-pack with a photograph/ Extra track (and a tacky badge).“ (Rhino) arne willander

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