U2 :: Achtung Baby

In Berlin erschufen U2 eine neue Version ihrer Band: abenteuerlicher, aber mit der alten Tiefe.

Als ich die Anfangstöne von „Achtung Baby“ zum ersten Mal hörte, dachte ich, mein Kassettenrekorder (!) sei kaputt. Für alle, die „The Joshua Tree“ liebten, war der erste Schock groß. Die neue Version von U2 hatte einen metallischen Klang, sie lud zum Tanzen ein, sie war fast so etwas wie sexy. Aber – Aufatmen! – es war dann eben doch nur eine aktualisierte Version, keine andere Band. Unter dem ironischen Rockstar-Getue tauchten die alten Themen auf: Liebe und Vergänglichkeit, Beziehungen und Brüche, Glaube und Zweifel. Wer ständig sein Herz hergibt, erklärte Bono später, braucht irgendwann eine Rüstung. Der Sänger warf sich auf „Achtung Baby“ noch häufiger auf die Knie als früher (zählen Sie mal, in wie vielen Songs gekrochen wird!), aber er trug Lederklamotten und eine dunkle Sonnenbrille, um sich zumindest ein bisschen zu schützen.

20 Jahre später haben U2 sich wohl daran gewöhnt, als Gigantomanen zu gelten. Also veröffentlichen sie ihr Meisterwerk prompt in bombastischen Versionen: als „normale“ Deluxe-Version, Super-Deluxe und Über-Deluxe. Bei Letzterer liegen noch Vinyl-Singles, Sonnenbrille und anderer Schnickschnack bei, die mittlere Variante mit sechs CDs und vier DVDs reicht allerdings auch. Neben dem Originalalbum gibt es den Nachfolger „Zooropa“, „Über Remixes“ und „Unter Remixes“, „B-Sides And Bonus Tracks“ sowie „Kindergarten“, das späte Demoversionen aller Stücke enthält. Ganz nett, das alles, aber die Variationen und zusätzlichen Lieder sorgen vor allem dafür, dass man merkt, wie perfekt „Achtung Baby“ war: kein Song zu viel, jede Version auf den Punkt. Vom „I’m ready“-Auftakt bei „Zoo Station“ bis zu den letzten Tönen von „Love Is Blindness“ ist es ein weiter Weg, und jede Minute entdeckt man eine neue Welt – die keine weitere Ausschmückung bräuchte.

Das 90-seitige Booklet im LP-Format und 16 Kunstdrucke illustrieren allerdings schön, wo die Iren Anfang der 90er-Jahre standen, genau wie mehrere MTV-Sendungen, Videoclips und das „Live From Sydney“-Konzert. Am erhellendsten ist die DVD-Dokumentation „From The Sky Down“: Die vier erinnern sich, wie sie auf dem Weg nach Berlin alles hinter sich ließen, was ihre Band ausgemacht hatte – und dann in den ersten Tagen im Hansa-Studio mit der Panik zurechtkommen mussten, die jeden befällt, der wieder bei null anfängt. Die Schockstarre löste sich erst bei „One“. Was wäre passender? Es gibt kaum eine andere Band, die trotz aller Differenzen so eins ist – „a very unromantic love, a very hard-bitten, tough, fuck off love“ nennt Bono es. Die Interaktion hat sich in 30 Jahren kaum verändert: Bono gibt den Ton an, The Edge setzt die Vorschläge stoisch um. Er sei „a solver of problems“, sagt er bescheiden, Bono hingegen „just one big idea“. Was beide ausmacht: Sie haben keine Angst. Man muss ihre Abenteuer nicht immer mögen – die „Zoo TV“-Tour hatte auch ihre schwer erträglichen Momente -, aber eins sollte man U2 lassen: Wenn sie die Wahl zwischen Sicherheit und Risiko haben, wählen sie immer den aufregenderen Weg. (Universal) birgit fuss

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