U2 :: Discografie :: Silver And Gold

BOY 1980

Als U2 noch Joy Division waren. Obwohl Bono sein Flüstern noch nicht gefunden hatte und hier fast wie ein Punk-Sänger kräht, bleibt das ihre düsterste und geheimnisvollste Platte, mit bedrückten, grimmigen Basslinien, knapp klatschendem Echo, Xylofon und Resten von teenage angst, die der 20-jährige Sänger in desorientierte, wunderbare Oberschülerlyrik fasst: „I Will FolIow“, „Stories For Boys“ und „Out Of Control“ erzählen ratlos vom Erwachsenwerden, „A Day Without Me“ ist eine Selbstmord-Fantasie. The Edges Gitarre hallt schon wie gewohnt gegen die Betonwände, was den Grusel noch verstärkt. Steve Lillywhite produziert karg, eine Post-Punk-Platte. (4)

OCTOBER 1981

Dass der Refrain des Eröffnungs-Songs „Gloria“ auf Latein gesungen wird, ist reiner Katholizismus, kein Bildungsgemeier. Sie hatten hier im Prinzip alles richtig gemacht, die Techniken des Debüts verfeinert, sie spielten besser und komponierten mit mehr Fantasie. Doch vielen Stücken auf „October“ fehlt die prägnante Idee, außerdem wirkt Bonos weit ausholender lyrischer Gestus (den er im Studio rekonstruieren musste, nachdem in Seattle alle Songtexte verloren gingen) noch frühreif: Mittlerweile sind Religion, Moral und Tagespolitik seine Themen, oft scheint er sich mit so großen Worten im Mund selbst unwohl zu fühlen. Das folkloristische „Tomorrow“, in dem er ganz privat die Mutter betrauert, ist dann auch eines der besten Lieder. (3)

WAR 1983

Vier Männer im Schnee, und der Drummer hat die Marschmusik entdeckt: Mit „Sunday Bloody Sunday“ beginnt peitschend der Hauptteil der Band-Geschichte, und ebenso ist “ War“ die zeittypischste Platte von U2. Die Sehnsucht nach Revolution, die ungeheuer wütenden Pamphlete gegen militärische Gewalt und Aufrüstung sagen mehr über das politisierte Bürgertum der achtziger Jahre als die meisten Demo-Dokumentationen. Bono opfert alles Subtile, flüchtet sich nicht einmal in Metaphern und schreibt so einige seiner besten, entschlossensten Texte – während The Edge bei „New Year’s Day“ (Piano) und „Drowing Man“ (Gitarren und Streicher) als Arrangeur glänzt. Erst am Ende, in seiner Version des 40. Psalms, schaut der Sänger rauf zu Gott. Und der grinst zurück. (4,5)

UNDER A BLOOD RED SKY 1983

Das halbstündige Live-Album verdient seinen Platz in dieser Discografie, weil es für so viele Hörer der denkwürdige Einstieg war. Zum Hosentaschenpreis von zehn Mark, mit der berühmten Ansage, die für Studenten ein Signal war, zur Tanzfläche zu schlurfen: „This song is not a rebel song, this song is „Sunday Bloody Sunday“. Nur zwei Stücke stammen vom „Red Rocks-Konzert in Denver, das das Cover zeigt – eines wurde in Boston aufgenommen, sechs in St. Goarshausen bei Koblenz. „11 0′ Clock Tick Tock“ und „Party Girl“ gibt’s nur hier.(3)

THE UNFORGETTABLE FIRE 1984

In den Gewölben von Slane Castle fand die Gitarre endlich den Hallraum, den sie immer schon haben wollte. Der Einstand von Brian Eno und Daniel Lanois als Produzenten-Team ist ein Ambient-Klang-Trip, eine schwere Geburt mit Studiotricks und schwächeren Momenten, wie oft bei Experimenten. „Pride“, das konventionellste Stück, wurde ein entscheidender Hit, die Höhepunkte sind aber der wie ein Orkan brausende Titelsong und „Bad“, das mit zwei Akkorden im Lauf von sechs Minuten vom Nieseln zum befreienden Gewitterregen schwillt. Es ist die große Stunde für The Edge, der seine Gitarre in alle Ecken und Windungen schickt, in allen Farben, wie kein zweites Mal. (4)

THE JOSHUA TREE 1987

Das Album, das U2 zu den Heiligen aller Sinnsuchenden machen sollte, begann natürlich mit der dringlichen Gitarre von The Edge, aber es sind Bonos Worte, die den Weg bereiten: „I want to run/ I want to hide/ I want to tear down the walls/ That hold me inside…“ Im folgenden besteigt er die höchsten Berge und rennt durch die Felder und immer wieder gegen Wände. Er erzählt vom Elend in Dublins Arbeitervierteln („Running To Stand Still“), vom amerikanischen Imperialismus („Bullet The Blue Sky“) – und immer wieder von der Liebe („With Or Without You“). Auch wenn die ungebrochene Ernsthaftigkeit, der Anspruch auf die absolute Wahrheit heute etwas schwer zu schlucken ist: „The Joshua Tree“ war ein Lichtblick inmitten der 80er-Jahre-Leere. (4,5)

RATTLE AND HUM 1988

Den Film hätten sie vielleicht nicht machen sollen. Am Ende von „Rattle And Hum“ war man erschöpft von all der Bedeutsamkeit, den prätentiösen Ansprachen und musikalischen Begegnungen. Auf Platte klingt das weniger anstrengend. The Edge singt die Auswandererballade „Van Diemen’s Land“ entzückend verhalten, Bono betet den „Angel Of Harlem“ an und verteidigt John Lennon mit viel Verve („God Part II“). Die Coverversionen – „Heiter Skelter“, „All Along The Watchtower“ – sind überflüssig, die Live-Aufnahmen eigener Stücke in Ordnung, spannend vor allem die Kooperationen: mit B.B. King („When Love Comes To Town“) und Dylan („Love Rescue Me“). 3,0

ACHTUNG BABY 1991

Drei Jahre hatten U2 sich zurückgezogen, doch es kam einem vor wie ein halbes Leben. Als sie wiederkehrten, regierte zunächst Ratlosigkeit. Es gibt Menschen, die dachten, ihr Abspielgerät wäre kaputt, als sie „Achtung Baby“ einlegten und „Zoo Station“ begann. Aber unter dem Soundgewitter, zwischen den gewollt ironischen Zeilen („A woman needs a man/ Like a fish needs a bicycle“) und hinter den bunten Bildern waren U2 ganz die alten – zum Glück. „One“ ist ein Liebeslied für die Ewigkeit; „Who’s Gonna Ride Your Wild Horses“,“Mysterious Ways“, „Tryin‘ To Throw Your Arms…“ – allesamt nachdenkliche, eingängige, unvergessliche Songs. Und „Acrobat“ brachte Bonos ständige Mission auf den Punkt: „And you can dream/ So dream out loud/ Don’t let the bastards grind you down.(5)

ZOOROPA 1993

Da ging wohl der Experimentierwahn mit den Iren durch. Zu verkopft, zu gewollt klingt das Ergebnis. Die Beats wirkten aufgesetzt, aber vor allem waren die wenigsten Lieder bemerkenswert. Das zärtliche „Stay (Far Away, So Close!“) war die rühmliche Ausnahme, „Some Days Are Better Than Others“ und „Babyface“ auch ganz okay. Für U2-Standards eine magere Ausbeute. „Numb“? „Lemon“? Zu viel Falsett, zu viel Gedöns. Aber einen Fehler darf man einer Band im Laufe von 25 Jahren zugestehen. (2)

POP 1997

Die Ideen waren gut, es krankte nur an der Ausführung. Auf „Pop“ ist natürlich kaum Pop, dafür eine bunte Mischung aus U2-Hymnen und komischem Kram. „Discotheque“ war noch annehmbar, „Miami“ lustig, „Mofo“ Quatsch. Aber dazwischen gab es viel zu entdecken: das gospelige „If God Will Send His Angels“, das verzweifelte „Gone“, das mit Gott ringende „Wake Up Dead Man“. Ausgerechnet „The Playboy Mansion“ stellt noch einige existenzielle Fragen, aber richtig rund ist das nicht, denn: Die „Pop Mart‘-Tour war schon gebucht, U2 lief im Studio die Zeit davon – und ganz fertig wurde das Album nie. (3,5) ALL THAT YOU CAN’T LEAVE BEHIND (2000)

The Edge packte wieder die großen Gitarren aus, Bono die großen Verse irony was over und doch blieb ein wenig Irritation zurück, und das war wunderbar so. Die mid life crisis, von der Bono sang, hatten U2 längst hinter sich. Ihre Songs waren so unverkrampft grandios wie lange nicht mehr, die Band hatte zu sich selbst zurückgefunden, scheinbar mühelos – auch wenn im Studio wieder mal die Hölle los war. Das hört man nicht, man hört nur Freude. „I can’t sing but I’ve got soul“? Eins davon stimmt. (4,5)

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