Voltaire – Heute ist jeder Tag
Wenn man bei einer Platte schon so genau spürt, daß sie den meisten Leuten, die man kennt, nicht gefallen wird- dann ist entweder an der Platte etwas faul oder an den Freunden. Das erste Album von Voltaire aus Bonn hat zudem eine für eine deutsche Major-Label-Produktion extrem komische Eigenschaft: Man kann auf Anhieb nicht sagen, auf welchen Zuckelzug das jetzt aufspringen soll.
Die Band geht zwar deutlich in die Pathos-Raumhall-Pop-Richtung, verweigert sich aber der naiven Lichtlein-Gläubigkeit, gibt sich an den entscheidenden Stellen plötzlich spröde und unnahbar.Ändert das Tempo, setzt eine verrückt hoppelnde Orgel, ein geisteskrankes Gitarrensolo, verminderte Akkorde oder einfach den Verzicht auf lebenswichtige Sachen wie Refrain oder Schlagzeug als Barrieren ein, an denen sich die Hörer auf dem Weg zum Glück garantiert irgendwas aufreißen. Daß die Voltaires teils klassisch gebildete Musiker sind, merkt man – ihre zerbrochenen, vom fahlen Nachmittagshimmel beleuchteten Regen-Suiten haben von der Attitüde her mit Tim Buckley mehr gemeinsam als mit Coldplay, mit denen sie aber öfter verglichen werden.
Ein ganz spezieller Fall ist auch der Sänger, Roland Meyer de Voltaire, der im Prinzip so singt, wie er heißt – am auffälligsten ist seine Manier, übergangslos von Brust- in jodelnde Kopfstimme zu wechseln, was ja nur zeigt, daß er ein dramatischer Interpret ist, mit vergleichsweise leisem Drama, einer, der eher die rätselhaften Zeichen an der Wand nachsingt als sie sich mit Filzer auf die Hand zu schreiben. „Gib mir Salz aufs Feuer, gib mir 01 auf meine Wunden“, „Hört auf zu bellen, ihr Hunde, und laßt mich bitte hier allein zurück“, „Unsere Klauen im Fleisch des anderen, um zu nehmen, was noch geht“, man braucht also durchaus einen Sinn für rührend gestelzte Boudoir-Lyrik, um hier nicht gleich mit Maff ay-Vergleichen zu kommen. Aus der Rätselhaftig-, Umständlich-und Biestigkeit von Voltaire kommt allerdings ganz bald das große Glück, nicht alles beim ersten Mal kapiert und abgeheftet zu haben, Urlaub vom Mitgefühls-Terror zu kriegen, eine sonderbar verschleierte Teestunde in der verwunschenen Stadt zu erleben, wahrscheinlich in Osteuropa, mit Bücherwürmern und Poeten.
Im Moment wird für Voltaire mit ihrer Musik nicht viel zu holen sein, aber wenn sie durchhalten und demnächst die richtig großen Lieder schreiben, könnte das eine der besten deutschen Bands sein.