Waterson : Carthy – Waterson : Carthy

Zweieinhalb Tage singt und spielt Britanniens berühmteste Folk-Familie für die Mikros und die Bandmaschine von TopicEigner Tony Engle. Das Resultat, ein Album von so bodenständiger wie übernatürlicher Schönheit, verleitet die englische Fachpresse zu Lobeshymnen und Wahrsagungen: Das Folk-Revival beginne hier. Schön wär’s.

Stellen wir jedoch erstmal die Dynastie derer von Waterson-Carthy vor. Mutter Norma Waterson hat den A-cappella-Traditionalismus der Watersons, Folk-Englands wichtigster Vokalgruppe, entscheidend mitgeprägt. Ihr robustes und beinahe beiläufig souveränes Intonieren war der Anker, der den Harmoniegesang der anderen Watersons vor dem Wegdriften in allzu wonnig-romantische Sphären bewahrte. „Frost & Fire“ ist noch heute, genau 30 Jahre danach, das ultimative Kalendarium albionischen Folk-Gesangs, Credibility à gogo.

Vater Martin Carthy nimmt in der englischen Folk-Szene eine ähnliche Ausnahmestellung ein wie Bob Dylan jenseits des Atlantiks. Der Mann ist ein Gigant. Sein Rang als inventiver und nicht nur technisch brillanter Gitarrist wird nur noch übertroffen von seiner Meisterschaft als Sänger, wobei sein nasaler Gesang ebenso stilprägend wie gewöhnungsbedürftig ist (wie im übrigen alle große Kunst). Carthys frühe Solo-Alben, seine oft grenzüberschreitenden musikalischen Abenteuer mit Fairport Fiddler Dave Swarbrick, seine Pionierarbeit in Sachen Folk-Rock mit der Urbesetzung von Sleeleye Span und später der Albion Band und Brass Monkey, machen ihn unumstritten zur wichtigsten Figur des englischen Folk-Revival der Sixties und Seventies.

Vor nicht ganz 20 Jahren wurde Norma und Martin eine Tochter geboren, die sie Eliza nannten: Muttermilch, Talent-in-die-Wiege, Musik-im-Blut, Tanzen und Singen, was auch sonst. Mit fünfzehn griff Eliza zur Fiddle – ihr Opa war gestorben und hatte ihr das Instrument anvertraut. Und das bringt uns zurück zu Waterson : Carthy.

Star des Familien-Trios ist, keine Frage, Eliza. Vor allem, weil sie als Katalysatorin Wunder wirkt. Mom & Dad agierten schon lange nicht mehr so aufgekratzt und hingebungsvoll, ihr Singen strahlt mehr aus als die von ihnen gewohnte Autorität: Elternstolz – und das nicht zu knapp. Akademisch war ihre Einstellung zur Traditionspflege ohnehin nie gewesen, doch Elizas unbekümmert-unfertiges Phrasieren und ihr sehr freies, noch nicht in Formeln erstarrtes Fiddle-Spiel geben dieser Platte, bei aller Intensität und Werktreue, ein Flair von Frische und Fun, etwas, was der englischen Folk-Musik in den letzten zwei Jahrzehnten abhanden gekommen war – Morris On hin, Silly Sisters her.

Dabei bleiben wir verschont von Fiedeldiedeldum und dancingaround-the-maypole-Murks. Die Schatztruhe traditioneller Musik im Hause Waterson-Carthy ist übervoll mit Kleinodien aus den verschiedensten Kulturen und Epochen. Der Texas-Waltzer „Midnight On The Water“ etwa, von Aly Bain seinerzeit in Europa verbreitet, lehnt sich hier eng an Ron Kavanas Bearbeitung an, doch würde es mich sehr wundern, wenn die wunderbare Version der David Bromberg Band nicht auch in der Ecke Pate gestanden hätte. An anderer Stelle wird – mehr intuitiv als bewußt – die Musik der Incredible String Band belehnt „Waterson : Carthy“ zeugt so nicht nur von tiefem Respekt vor Traditionen, sondern auch vom Willen, diese zu erneuern. Und – mehr als alles andere – von der Liebe zur Musik.

Der klassische Folk-Zausel in Sandalen und Latzhosen, ehedem weit verbreitet und gefürchtet ob seines verbiesterten Umgangs mit Musik, hat längst das Lager gewechselt und lauscht mittlerweile den Alis, Babas und Hassans der Weltmusik. Auf das große Revival englischer Folk-Kunst dürfen wir daher nur im Kleinen hoffen. „Waterson : Carthy“ markiert einen Anfang, unerwartet und schon deshalb höchstwillkommen. More, please.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates