Wilco :: Summer Teeth

Summer Teeth REPRISE/WEA Schon gehört? Americana ist tot! Inklusive sämtlicher Inkarnationen, die da JNo Depression“ oder Alternative Country“ hießen. Daß einer der wesentlichen, wenn nicht der Geburtshelfer schlechthin jetzt auch gutgelaunt die Grabrede hält, entbehrt nicht einer gewissen Ironie, ist aber nur konsequent. In den geschichtsträchtigen Mantel der Galionsfigur wollte Jeff Tweedy ohnehin nie schlüpfen; noch heute ringt ihm die Erwähnung der for-Band Uncle Tupelo nur ein skeptisches Stirnrunzeln ab. Roots-Rock-Liebhabern, die nichts ab die reine Lehre gelten lassen wollen, zeigen Wilco mit „Summer Teeth“ die leuchtend rote Karte. „Pop“ steht ganz groß drauf, in strahlendem Weiß. Pop, der allerdings Lichtjahre entfernt scheint von dem, was heute sonst so unter diesem Begriff gehandelt wird. Pop mit latentem Hang zum Größenwahn, sicher ambitioniert, manchmal überkandidelt, aber nie bloß clever. Über 16 Monate war die Band in sieben verschiedenen Studios zugange. Onanaff, versteht sich, denn zwischendurch wandelten Tweedy und seine Mitstreiter Jay Bennett, Ken Coomer und John Stirratt ja auch noch mit Billy Bragg auf Woody Guthries JMermaid Avenue“, von Tweeedys Engagement bei Golden Smog und anderweitigen Session-Tätigkeiten mal ganz zu schweigen. Daß „Summer Teeth “ über Zeit und Raum wohl eher gewonnen als (sich) verloren hat – an Präsenz und Dichte, Sound, magic moments -, spricht für die Arrangier- und Editier-Künste einer Band, die sich unerschrocken vergangener Stärken bedient, um „In A 4,5 TONTRÄG E R IM MÄRZFuture Age“ (Schluß-Song) bestehen zu können. Daß dies nicht mehr (und eben doch noch) die Wilco der letzten Doppel-CD, schon gar nicht die vom Debüt ^A.M.“ sind, deuten schon die Credits zu „Summer Teeth „an. Erstmals tritt Jeff Tweedy nicht als AUeinunterhalter, sprich: alleiniger Songwriter auf. „Written, produced and performed by Wilco“ vermerkt das BookleL Die hübsche Ironie ist, daß sich der Tweedy gerade im neuen Kollektivgeist endgültig als großer Pop-Auteur der 90er Jahre etabliert, während er auf Jieing There“, das im Rückblick klar als Übergangswerk kenntlich wird, doch eher noch zögerlich im Nebel neuer Möglichkeiten stocherte, ohne von allzu Vertrautem lassen zu können. Nach dem durchaus symptomatischen Ausscheiden des Dobro-, Fiddle-, Mandolinen-Experten Max Johnston gewinnt so nicht zuletzt Jay Bennett an Profil, der auf,y/i.M. „ja noch gar nicht dabei war und jetzt als Multi-Instrumentalist mit schöpferischer, manchmal geradezu perfider Lust vor allem diverse Keyboards und Synthesizer durch die Manege zieht. Ja, Freunde, der Zirkus ist in der Stadt, und seine zweite Hauptattraktion sind Stimmen (die auch auch wundervolle Melodien singen). Tweedys Stimme natürlich – immer noch kein Gospel-Wonneproppen, aber ungeheuer effektiv-, vor allem jedoch viele, viele Background-Stimmen. Natürlich kann und darf man da die Beach Boys herbeizitieren. Aber die Vocal-Arrangements von Wilco, die sich hier in verschiedensten Wendungen auf zig-Spuren austoben, sind sich selbst genug. Inspiration, nicht Reproduktion ist das Stichwort. Thematisch steht am Anfang wieder mal ein Ende. „You know it’s all beginning to feel like it’s ending“, singt Tweedy und bringt „Can’t Stand It“ irgendwo zwischen Breeders und Big Star nach Hause. Danach bestimmt das elegische „She’s A Jar“ den Tenor des Albums, beileibe nicht die einzige Beziehungsdissonanz, die Tweedy schonungslos offenlegt, der bis auf das verschwubbelte Wiegenlied „My Darling“ (Bennett) sämtliche Texte verfaßt und es ohnehin besser hat. Denn: „When I forget how to talk, I sing.“ Wenn Tweedy nicht singt, träumt er. Das zum Beispiel: „I dreamed about killing you again last night“, heißt es zum Auftakt der grandiosen, eine weite Kurve fliegenden Heimkehrer-Ode „Via Chicago“. Und dann schiebt Tweedy lakonisch hinterher: „And it feit alright to me.“ Verstörende Momente zwischen Traum und Wirklichkeit geraten ins Visier, die sich eben nicht mehr so alright anfühlen.“How To Fight Loneliness?“ Tweedy empfiehlt todtraurig: Just smile all die time.“ Auch das aufgekratzte „Nothin’s Ever Gonna Stand In My Way (Again)“ klingt fast wie ein Akt der Selbsthypnose. In der fabulösen „Pieholden Suite“ hat sich unterdessen ein Verrat eingenistet, der selbst die schönsten Erinnerungen an hingebungsvolle Küsse zu ersticken droht. Wie aus dem Off weht plötzlich ein Banjo heran, schlendern lässig ein paar Bläser vorbei. Und plötzlich ist der Spuk vorbei. „Summer Teeth“skA von großen Momenten wie diesem, verliert dabei aber nie den großen (Album-)Trip aus den Augen. Und siehe da: Am Ende – nach dem locker ausgesessenen Spätherbst („Waking Up/Feeling Old“) – wird es doch noch mal Sommer. Zuckerwatte wird reichlich verteilt, Vögel zwitschern, eine Spieluhr leiert irgendwie vertraute Melodeien, ein paar Strandjungen blecken perlweiße Zähne. Da kann sogar die Zukunft wieder leuchten! Arnericana ist schließlich tot. Wilco aber leben – und besser denn je. JÖRG FEYER

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