Wir sind Helden – Von hier an blind

Natürlich Geschmackssache, aber: Wären Sie gern ein perfekter Fleck? So ein fieser, der auch mit „Rei in der Tube“ nicht rausgeht? Ich persönlich wäre da ja lieber die Süßwarenabteilung im Supermarkt, aber gut. Wir sind Helden haben sich auf ihrer Single „Gekommen um zu bleiben“ für die schmuddelige Fleck-Metaphorik entschieden, um damit Zähigkeit und Unverschämtheit zu bedeuten. Und obwohl das swingende Lied mit dem Brummbär-Chor, verglichen mit dem Rest von „Von hier an blind“, musikalisch ein kleiner Ausreißer ist, ist seine Aussage doch recht typisch für die zweite, sogenannte „schwierige“ Helden-Platte: Statt, wie auf ihren bisherigen Singles, gegen etwas zu sein (gegen Konsumwahn, gegen dressierte Affen, gegen dezentes Flirten, gegen Zementierung von Gefühlszuständen), sind Wir sind Helden nun für etwas – für sich, genau gesagt, was nicht das Schlechteste ist. Zumal ihnen die Konsumkritik ja schon selbst zu den Ohren rauskommen soll. Darum gibt es diesmal keine Gesellschaftsanalysen, sondern nur zwei gezielte Nadelpiekser gegen die Musikindustrie: „Zuhälter“ vergleicht die Praktiken böser Produzenten und finsterer Medienbosse mit dem Prostitutionsgewerbe, weil sie die Liebe zur Musik auf die Straße schickten „in zu engen Hosen/in billigen Posen“ (lustig Rumhampeln beim „Echo“ ist aber okay). Außerdem wird in „Zieh dir was an, Mädchen“ arg Tante-Lisbeth-haft gegen Sängerinnen angesungen, die aus Marketingkalkül halbnackt auftreten – eine wohlfeile Zielscheibe, wo das eklige PR-Konzept der neuen Natürlichkeit, möglichst mit langem braunen Haar, doch viel verdammenswerter wäre als das bißchen Busen.

Das sind zwei beinahe pflichtschuldig wirkende Ausnahmen, denn in erster Linie ist „Von hier an blind“ ein großes Innerlichkeitsalbum – das glücklicherweise nicht nur davon berichtet, wie toll es zwischen zwei Menschen laufen kann, sondern auch sagt, was schiefgehen kann mit der Nähe, wenn zu wenig oder zu viel von ihr da ist Musikalisch wie textlich ist dieses Album weniger verspielt als „Die Reklamation“, es gibt mehr Gitarre und weniger Keyboard, doch Wir sind Helden klingen immer noch wie sie selbst – vor allem unverändert niedlich. Nicht niedlich wie flauschige Labradorwelpen, sondern deutlich zerzauselter, und das ist manchmal deutlich zuviel. Judith Holofernes singt wieder „gönau“, „alleinö“, „böhalten“, „fiihlö“, manchmal arg kleinmädchenhaft – das geht auf die Nerven. Viel wird bewahrt, geschützt, gehalten und getragen in ihren Texte, das klingt nur scheinbar abstrakt und ist doch sehr konkret. Wir sind Helden liefern keine Konsumkritiksprüche für den Kollegstufenzimmergebrauch mehr, wohl aber eine deutliche Botschaft: Liebö ist alles.

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