Ruhe auf dem Dancefloor

Toten Hosen-Produzent Jon Cafiery nahm mit zwei Briten als KHAO ein Album auf, das keine Zeit und alle Stile beansprucht

Treffen sich zwei Produzenten und ein Musiker. Sagt der erste: Laß uns ’ne Platte machen. Sagt der zweite: Keine Zeit. Meint der dritte: Fein, dann können wir sie ja in drei Jahren rausbringen. Ist kein Witz, eher der zeitliche Rahmen, in der „Crazy, Diseased AndBarmy“ entstand, die erste Platte von Khao. Hinter diesen vier Buchstaben (chinesisch für Leben) verbergen sich Mark Rutherford, James Whelan und Jon Caffery.

Früher verbrachten Produzenten zu viel Zeit in dunklen Kellern, kleinen, schmutzigen Neonbunkern ohne jedes Tageslicht Dann immer wieder die Kompromisse mit kleinkarierten Rockmusikern, die ihren Hintern für einige Rotationen auf der Videoschiene verkaufen. Eine Fußnote im Booklet – finden Produzenten. Das alleine konnte es nicht sein. Lockte denn nicht der Ruhm, einen Sound, eine neue Welt zu erschaffen – extra für diese eine Band im Studio? Jon Caffery hat es in über 20 Jahren hinter dem Mischpult zu erheblicher Reputation gebracht: Er produziert die Toten Hosen („Enge Freunde, Leute, die ich wirklich mag und mit denen ich gerne aufnehme“). Er arbeitete mit Reggae- und Dub-Legenden wie Linton Kwesi Johnson, Prince Far I und I-Roy zusammen, er saß ganz früh bei den Einstürzenden Neubauten und Abwärts, später bei den Rainbiids an den Reglern. „Reggae war meine erste Liebe“, erzählt Caffery, der als Ex-Belgier in London aufwuchs und mittlerweile in Düsseldorfwohnt, „dann entdeckte ich die Factory Bands und Magazine. Mit 13 hörte ich Krautrock. Mit 16 war ich bei Conny Planck im Studio. Bei den Dub-Bands der 70er saß ich selbst an den Reglern. Da hattest du als Produzent absolute Kontrolle über alles. Es gab einfach keine Regeln. Das ist ohne Vergleich, vom Free Jazz einmal abgesehen. Je mehr Anarchie du in den Sound packtest, desto mehr liebten dich die Musiker dafür. Ohne Dub ist der ganze moderne Dance-Sound undenkbar/‘ So wundert es nicht, daß Caffery sich nach langer Zeit mal wieder seiner first love widmete. „Zuerst wollten wir ein rein instrumentales Dub-Album machen.“ Aber dann kam alles anders. Aus dem Treffen der beiden Produzenten Caffery und Mark Rutherford (arbeitete mit Drum 8i Bass-Hero Goldie im Projekt Rufige Kru) mit dem Musiker James Whelan von der Band Sugardog wurde eine fortlaufende Session, die weder einen Boß noch feste Rollen oder Kompromisse benötigte.

Das vorliegende Ergebnis auf dem für seine „DJ Kicks“ gefeierten Berliner Studio K7 Label ist ein Zwischenden-Stühlen-Sound, ein Amalgam aus Dub, Drum & Bass und Dope Beats, durch Naturgeräusche und tierische Laute bereichert. Und auch Gitarren müssen bei Khao nicht draußen bleiben. Zwischen den Stühlen, das muß man sich bildlich vorstellen. „Das war ein ständiger Wechsel“, berichtet Caffery: „Während einer von uns den Baß aufnahm, arbeitete der nächste in einem anderen Raum an Samples. Da gab es absolut kein Ego. Jeder machte alles. Ein wunderbarer Flow.“ Und Whelan brachte dann die südafrikanische Sängerin Mandisa ins Spiel, die sofort überzeugte: Mit einer rauhen, störrischen Stimme, die an Nina Simone in ihrer RastelBlues“-Pk&se Mitte der 60er erinnert Nun wird eine Live-Band zusammengestellt Die Tournee muß präzise geplant sein: Denn Rutherford ist weithin ausgebucht. Cafferys Terminplan vermerkt bereits die Demos für eine neue Hosen-Platte. Und im Januar soll ihr Album auch noch in England erscheinen. Auf die Dancefloors schielen Khao jedoch nicht. Was gestern in Sachen Samples und Loops als amtlich galt, kann beim Publikum schneller denn je starke Störungen auslösen. Die Umlaufgeschwindigkeit der kapitalen Re-Definitionen und Neuentwürfe erreicht Spitzenwerte: eine Entwicklung, die das Mehrjahresprojekt Khao mit seiner schimmernden Vielseitigkeit lokker umschifft Anachronistisch, up to date, wer will das entscheiden?

Für Caffery ist die Arbeit im Studio das Spannendste. Was macht ein gutes Studio aus? „Tageslicht Ich habe lange in Basements gearbeitet“

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