Schön sind wir sowieso

Wer im Kalten Krieg nicht frieren wollte, musste cool werden: Die 80er-Jahre waren das Jahrzehnt, in dem die Menschen endlich lernten, sich selbst zu bewundern, meint Trendexperte und „Leo’s“-Moderator Andreas Lukoschik.

Was für ein Jahrzehnt! So, wie es anfing, schwante einem erst mal nichts Gutes. In den USA wird mit Ronald Reagan ein alter Knattermime ins Weiße Haus gewählt, wo er sogleich mit grandiosem Glamour sein Ziel verkündet: „Nancy and I“ wollen den Warschauer Pakt totrüsten. Die US-Wirtschaft jubelt, uns Europäern wird dagegen mulmig, befindet sich doch unser Land auf demselben Kontinent wie der Ostblock, den „Ronnie“ mit NATO-Doppelbeschluss und Pershing-Stationierungen in die Knie zwingen will. Von unserem Boden aus. So schießen denn auch in ganz Europa ökologie- und friedensbewegte „grüne“ Parteien aus dem Boden. Und Wähler rotten sich zu machtvollen Friedensdemonstrationen zusammen. Von der 108 Kilometer langen Menschenkette auf der Schwäbischen Alb bis zur größten Demo mit Hunderttausenden in Bonn machen 1,3 Millionen Deutsche klar: Frieden ist uns wichtiger als Ronnies Western-Getue.

Dazu kommt, dass es an allen Ecken ohnehin schon scheppert: General Jaruzelski verhängt das Kriegsrecht über Polen. Der im Nahen Osten versöhnend wirkende ägyptische Präsident Anwar El-Sadat wird bei einer Militärparade von eigenen Soldaten erschossen. Und die Briten führen mit dem fernen Argentinien einen völlig überflüssigen Krieg um 3000 Einwohner und sieben Millionen Pinguine auf den Falkland-Inseln.

In diesem internationalen Durcheinander putscht sich der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Helmut Kohl mit Hilfe eines konstruktiven Misstrauensvotums an die Macht und schickt Helmut Schmidt in Rente, der mit kühlem Sachverstand Deutschland durch die Fallen der internationalen Politik gesteuert hatte.

Nun also ein Kanzler, den alle „Birne“ nennen. Nicht nur weil er diese unglückliche Figur hat – sondern weil er sie auch abgibt. Der Mann kann keinen geraden Satz reden, sobald eine Kamera auf ihn gerichtet ist. Und so lacht sich die Republik einen Ast über ihren Kanzler. Ein geradezu emanzipatorischer Akt in diesem von Obrigkeitsdenken geprägten Land. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, faselt „Birne“ auch noch etwas von einer „geistig-moralischen Wende“, für die er stehen will, und nimmt – wie als Beweis – mit seinen Spezln aus CSU und FDP in der Flick-Affäre fröhlich Bargeld entgegen. Mein Gott, Birne!

Wer einen Kopf auf seinen Schultern trägt und Gebrauch davon macht, fasst sich an denselben – und vergisst, was „die da oben“ treiben. Man orientiert sich um. Auf die Möglichkeiten, die einem das private Leben bietet.

Und das ist viel. Viel Neues. Der Yuppie betritt die Bildfläche – der young urban professional. Äußerlich erkennbar an tadelloser Businesskleidung, Brille im Design der 40er-Jahre und in der Hand seine Bibel – den Filofax, den Status-Vorläufer des Handys. (Das gibt es erst im nächsten Jahrzehnt, weshalb man auch noch nicht überall erreichbar ist.) Ubiquitär ist allerdings zum ersten Mal die Musik. Mit dem Walkman kann man dem eigenen Musikgeschmack frönen, wo immer man will. Kassetten machen’s möglich, die bald durch CDs ersetzt werden.

Die Abende verbringt man im Rausch der Diskotheken. Türsteher werden wichtige Zeitgenossen, und das unbedingte Dabeisein-Müssen nimmt pseudoreligiöse Formen an. Logischerweise nennt sich denn auch eine aufstrebende Popsängerin Madonna. Und wird durch eine konsequente Schocktechnik Weltstar. „Geil“ und „cool“ werden Worte des Alltagsgebrauchs, und auf den Schreibtischen tauchen die ersten Heimcomputer auf. Sie tragen Namen wie Atari oder Commodore. Auch Apple hat die Garagen-Lötphase hinter sich und erscheint als Macintosh. Wer es lieber analog hat, fummelt sich an Rubiks Würfel das Hirn wund.

In diesem Szenario entwickelte ich mit einem Team vom Bayerischen Rundfunk in München – der definitiven Hauptstadt der Konsumrepublik – eine Fernsehsendung, die die aktuellen Trends sowie die „gute Gesellschaft“ allwöchentlich auf den Arm nahm. Sie entlarvte sie als das, was sie war – überflüssig und amüsant. In Spitzenzeiten schalteten fünf Millionen Zuschauer bei „Leo’s Magazin“ ein. Ein absolutes must für jeden, der mitreden wollte. Tenor: In den Spiegel schauen kann jeder – wir sehen uns im Fernsehen an.

Überhaupt das Fernsehen. Es gab dieser Zeit seine Bilder: Kristiane Backer moderierte als erste Deutsche MTV, Thomas Gottschalk übernahm „Wetten, dass …?“, Reich-Ranicki dominierte von Beginn an das „Literarische Quartett“, durch den „Tatort“ Duisburg fluchte und menschelte sich Horst Schimanski alias Götz George. Sat 1 und RTL suchten noch brav ihre Identitäten – immerhin schon in Farbe.

Am Ende des Jahrzehnts änderte sich dieser gigantische Kindergeburtstag rapide. Die Mauer fiel. Birne, inzwischen zum Kohl gereift, wuchs zum überlebensgroßen Staatsmann, und Deutschland erwachte aus seinem champagnerseligen Jubelrausch, um nahtlos in den Wiedervereinigungstaumel zu kippen. Es begann der Aufbau der neuen-alten Hauptstadt Berlin, und die „Neue Bescheidenheit“ wurde ausgerufen. Aber das ist eine andere Geschichte. Und gehört in die 90er-Jahre.

Andreas Lukoschik, Jahrgang 1953, wurde als Moderator, Schauspieler und Autor bekannt. Heute leitet er die Agentur Amadeus AG und sitzt im Vorstand der Hilfsorganisation „Children For A Better World“.

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