Sein Debütfilm „Slacker“ taufte eine Generation. In „Die Newton Boys“ benutzt Richard Linklater nun den klassischen Plot

Verkehrte Welten. Obgleich der Regisseur Richard Linklater seinem selbstvergessen mit Gedanken zur Gegenwart riffenden Schwatzfest „Slacker“ entsprungen wirkt, plant er künftig historische Texas-tales. Der gemächliche Neo-Western „Die Newton Boys“ ist ein Anfang. Danach hofft er, eine Story über die Schlacht von Alamo anno 1836 zu stemmen, „so lustig das aus meinem Mund klingen mag“. Nicht bei näherer Betrachtung. Seinen Wurzeln und seiner Jugend „in einem Kaff voller Pferde und Halbirrer“ wolle der Filmemacher erzählerisch Loyalität erweisen. So locken ihn inzwischen „Romanstrukturen statt verschachtelter Kurzgeschichten“ aus der Reserve. Americana statt Abhängen. Oder mit den Soundtracks zur Zeit gesprochen: Von der Sonic Youth aus „subUrbia“ mitten in das pralle „Newton Boys“-Dixieland.

Derweil legt Mitspieler und Musiker Dwight Yoakam vor einer Filmkamera und „minus that hat“ vorliebig Country-Klischees ab. Sein „Newton“-Part eines verkniffenen Panzerknackers, der die Co-Stars wie Matthew McConaughey und Ethan Hawke als Backpfeifengesichter herumstehen läßt, ist auch bewußt eine Rolle rückwärts. Zum einen komme er aus den Bergen in Kentucky und wolle nicht die Männer-Mythen des flachen Südens über die Maßen romantisieren. Verknüpft mit dem Ziel, daß der Schauspieler Yoakam, dem noch als Redneck-Bastard in Billy Bob Thorntons „Sling Blade“ ein Quantensprung in die erste Garde der amerikanischen Charakterdarsteller gelang, nicht mehr allzu leicht mit dem Crooner Yoakam identifiziert werden möge.

Keine überstürzte Flucht vor Images, aber der Verweis auf Freiräume, die sich Linklater wie Yoakam in Tippelschritten erkämpft haben. Für den Regisseur ist der Sprung riskanter, der einen Tag vor der Weltpremiere seines ersten Studiofilmes aber erst mal sein Heimspiel auskostet. „Newton Boys“ hat mit 27 Millionen Dollar das fünfzigfache seines Debüts „Slacker“ gekostet und wurde gleichsam komplett in Austin gedreht. Die lokale Folklore blüht Jeder Plattendealer oder Kellner war am Set dabei und weiß hier eine freundliche Anekdote über diesen „seltsamen Kinofreak in einer Musikstadt“, so Linklater über sich selbst, zu erzählen, der unterdessen einer florierenden Film-Society vorsteht und seine Produktionsfirma einen Stock unter dem Schlafzimmer betreibt. Nicht zuletzt Linklaters Verdienst ist es, daß Austin mittlerweile als hippe Hollywood-Alternative gilt.

Ab Linklater mit „Slacker“ narrative Konventionen auflöste und einigen Dutzend Figuren den Staffelstab der Non-Story in die Hand drückte, komplimentierten Kollegen wie Gus Van Sant über Jahre, „until I felt like Darwin“. Aus einer gewissen Tunnelvision macht Linklater keinen Hehl: -Ich bin Autodidakt und wußte immer zu verhindern, daß die Lehrer in Filmschulen oder später Produzenten ihre Urteile über mich fällten.“ Ungehindert wollte er die Möglichkeiten dieses Mediums ausloten. Drehte Kurzfilme als Übungen in Schnitt und Lichtsetzung. Schmiß eine Kamera vom Dach, neugierig nur, wie das kaputte Filmmaterial aussehen würde. „Exakt jener radikale Experimentalist“, der am Schluß von „Slacker“ seine eigene Kamera erschießt, „hätte ich selbst sein können“. Linklater wird überhaupt nichts Unpersönliches antasten. Die Kiffköppe in „Dazed And Confused“, die Verliebten in „Before Sunrise“ oder die Nihilisten in „subUrbia“ entsprächen allesamt seiner Persönlichkeit. Auch wenn der zuweilen jenseits der Grenze zur Humorlosigkeit introspektive Schlaks viel Phantasie beweist, ab er sich bei „Newton Boys“ ausgerechnet in dem von McConaughey gespielten Bandenführer und grinsenden Charmeur Willis Newton erkennt.

Existentialismus, Humanität, Generations-Porträts – wohl auch, da sich diese Themen zu einem Strick um seinen Hals zu verknoten drohten, hat Linklater beizeiten seine „Nische der freidenkenden Indie-Ensemblestücke zugunsten eines Plots verlassen, den man ausnahmsweise mal weitererzählen kann“. Credibility-Ausverkauf? Bewahre! „Ich bin ultimativ gefesselt an meine Weltsicht.“ In „Newton Boys“ zeigt er tatsächlich die wahre Geschichte von so friedfertigen Bankräubern, daß jede Dramaturgie auf der Strecke geblieben ist Produktionsdesign allein ist kein Fun. Daß ihm solche Einwände allenfalls ein Schulterzucken wert sind, macht ihn fast wieder zu einem Outlaw. Nie habe er als Drehbuchautor eine Figur getroffen, die er nicht mochte. Sogar beim Genrestoff wie dem Western fällt es ihm nicht ein, den Thrill-Hunger des Publikums zu nähren.

Linklater ist ein Dokumentarist, der sich als Erzähler tarnt, seine Postkarten aus Texas sind Grüße aus der Grübelei, egal wie bunt, teuer oder linear die Botschaft ausfallt Die unverhohlen sture Kompromißlosigkeit eint ihn mit Yoakam, und es kann niemanden überraschen, daß sie beide an weiteren Projekten feilen. „Es gibt viele Parallelen von mir zu Richard“, deutet Dwight, „denn wir wollen uns beide künstlerisch ausdehnen, ohne Integrität zu verlieren. Aber das geht nur, wenn man im Material ein sublimes, zugegeben oberfachliches Level seiner selbst findet Das ist für mich als Songwriter nicht anders als in der Schauspielerei. Mit der Gitarre in der Hand hätte ich oft Schaufensterschmuck in Filmen sein können. What’s the point? Die Schauspielerei ist eine Flucht vor Bühnenshows und Erwartungen.“ So stark ist die Fliehkraft, daß er es stets ablehnt, Songs zu Filmen beizusteuern, in denen als er Akteur geheuert ist Einen Score indes will Yoakam nicht ausschließen, „wenn meine Fähigkeiten als Dirigent steigt“. Sooner or Linklater..

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