Sex Unter Dem Himmelszelt

Frank Schäfer über ungebetene AOL-Animation im Internet, flatternde Schmetterlinge im Bauch, romantische Ruderpartien & pochende Hormone

Von AOL, dieser dicken Spinne, ins Netz gezogen worden zu sein, erwies sich schon so manches Mal als großes Übel. Beispielsweise belästigte einen anfangs alleweil dieser Mensch vom Service und erläuterte eindringlich, wie ein ostfälischer Gauleiter, was man doch für ein Glück habe, hier „Mitglied“ sein zu dürfen. Warum überhaupt Mitglied! Will ich nicht einfach nur Kunde sein, ohne gleich mit der ganzen Bande Schweine zu hüten? Doch, Und nach dem Duschen noch auf ein Bier ins Vereinsheim? Nein. Aber wem manchmal so richtig groovy zumute ist wie mir, den macht es auch sehr froh, dabei zu sein, denn die AOL-Sekte hat ja auch ein hehres lebenspraktisches Ziel: Sie möchte ihre Mitglieder zu witzig-abgespaceten Hedonisten erziehen – und da kann man ja nur für sein!

Jüngst riet man mir, der ich zur Schüchternheit, zum Klemmi neige, es doch mal mit „Sex im Freien“ zu versuchen, so a la „Nur die Sonne war Zeuge“. Und die Begründung war auch so schlecht nicht: „Sommertage. Wir sind viel und gerne draußen! Da ist es kein Wunder, wenn wir das gemütliche Plätzchen auf der Wiese nicht nur für ein Picknick nutzen möchten: Eine wunderbare Alternative zu Stullen, Wurst und Bier ist Freiluft-Sex!“ Vorsichtshalber hat man aber doch noch vom „Bier“ einen Link zu „Grillen im Internet“ gelegt, für all die erotischen Temperenzler, präsenilen Bettflüchtlinge und frühfossilierten Loverboys da draußen. Wer nun dabei bleibt, sich nicht wegklickt ins versaute Universum von Carlsquell und Grill-Lümmel, der bekommt noch mehr so schlagende Argumente handgereicht: „Viel Vorbereitung braucht ein derartiges Vergnügen nicht. Anders als bei den meisten Outdoor-Aktivitäten benötigen wir für Sex unterm Himmelszelt auch keine Spezialausrüstung, sondern nur (Abenteuer-)Lust und Phantasie.“

Und davon, aber hallo, haben wir ja doch genug, nicht wahr? Und weil wir so viel davon haben, müssen wir uns auch diese Tipps durchlesen, denn vor lauter (Abenteuer-)Lust und Phantasie wird uns manchmal richtiggehend blümerant unterm Skalp, und das Naheliegende rückt in so weite Ferne. Deshalb nur keine falsche Scham, und rüstig weiter gelesen: „Unsere Ideen, ein verbündeter Wetterfrosch und das richtige Herzblatt bringen bei jedem die Schmetterlinge im Bauch zum Flattern und können geradewegs auf den Rasen führen!“ Oder wir packen einfach keine Badehose ein und fahren raus zu irgendeinem See: „Wir hören das Meeresrauschen. Eine sanfte Brise weht, zarte Wellen umspielen unsere Körper, und die Sonne verabschiedet sich am Horizont. Wir liegen im Sand. Genau dort, wo sich der Strand und das Meer vereinigen. Wir sind nicht allein! Eine Woge erfasst und durchströmt unsere Körper und schürt die pure Lust“ – Himmel, ich werde ohnmächtig. Und „als wir nach einer halben Ewigkeit aus dem Sinnestaumel zu zweit erwachen, steht der Mond schon hoch über der Bucht und wirft sein fahles Licht auf unser zerwühltes Wasserbett.“ Whooosh!

Als Alternative kommt natürlich allemal auch „eine romantische Ruderpartie auf dem lokalen Stadtparksee in Frage“. Man muss nur genau hinschauen: „Die Trauerweiden am Ufer mit ihren herabhängenden Ästen scheinen eine intime Rast geradezu einzuklagen.“ Und dann? „Den Takt gibt das Schwanken des Bootes vor, zuverlässig und angenehm monoton.“ Aber Obacht! „Eventuelle Seekrankheiten sollten im Vorfeld einkalkuliert werden. Ansonsten könnte diese romantische Bootspartie durch ein dramatisches SOS ein jähes Ende finden.“

Jetzt bleibt eigentlich nur noch eine Frage offen: Wann draußen? Nun: „Im Gegensatz zu unserem Körper sind unsere Hormone frühmorgens um acht Uhr schon hellwach und pochen mit Nachdruck auf Beschäftigung!“ Also meine nicht! Aber doch wohl die des hellwachen AOL-Texters, der die Tinte offensichtlich kaum noch halten kann, der vor lauter Triebdruck die letzten Meter bis zu seinem Arbeitsplatz zu laufen anfängt, um sich mal so richtig an der Sprache zu soulaschieren: „Lassen wir sie also nicht warten“, wir sind immer noch bei den Hormonen, „sonst ziehen sie sich womöglich trotzig in den hintersten Winkel ihres Gastwirtes zurück. In diesem Fall müssten wir nämlich leider bis zum Five o’Clock Tea warten.“

Genau, da gehört er hin, dieser spitzmündige, spreizfingrige, sabberlappige, biskuitige Teekränzchen-Sermon der Ladies und Gentlemen von AOL. Wenn ich könnte, würde ich jetzt einen Link legen zu „Kaffeeklatsch im Internet“. „Tupper-Party“ ginge auch. Neuerdings soll die gute alte Sitte der Hausfrauen und Freundinnen ja zum Austausch von Dessous und Sex-Spielzeug zweckentfremdet werden. Und da könnte AOL mit 23 Millionen Mitgliedern einhaken: Welche Prosa, ja Lyrik wird da erst möglich sein.

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