Sie lieben die Tradition – und ziehen sie respektlos durch den Fleischwolf: ALABAMA 3

„Ein Musiker ist heute so gut wie seine Plattensammlung.“ Soviel vorab, soviel zum Grundsätzlichen. Rob Spragg lehnt sich jedenfalls schon mal zufrieden zurück – auch wenn die tiefschürfende Erkenntnis längst eine Binsenweisheit der Dance-Generation ist. Andererseits: Wieviele Techno- oder House-DJs gibt es wohl, die Namen wie Leadbelly und Robert Johnson überhaupt in der Optik haben?

Robs Plattensammlung hingegen ist die des vorurteilslosen Pop-Historikers. Er doziert über die Spiritualität in Dylans John Wesley Harding“, zitiert Kanonisches von Hank Williams, spricht aber nicht minder enthusiastisch über House-Music, „that sweet Acid-House music“, wie sie sein Alter Ego, der fiktive Prediger D. Wayne Love, auf dem Debüt-Album von Alabama 3 nennt. Nämliche Band, Robs Band also, liebt Country & Blues, nähert sich der Tradition aber aus der Perspektive des House-DJs. Wobei die raumzeitliche Ausdehnung dieses Musik-Kosmos wahrhaft enorm ist: Das Älteste und das Aktuellste treffen sich auf dem neutralen Tanzboden, Akustik-Gitarre meets House-Beat.

Nährboden dieser unorthodoxen Mixtur ist Brixton, das Kreuzberg Londons. An einem für Außenstehende unsichtbaren Netz wird hier geknüpft, an einem Verbindungssystem subkultureller Einheiten, aus dem heraus die merkwürdigsten Mischungen entstehen. In Brixton ist immer Platz für musikalische Dissidenten, die nicht auf den überfüllten Brit-Pop-Zug springen wollen.

Rob, wieder grundsätzlich: „Unsere Musik ist eine Reaktion auf diesen verdammten Brit-Pop-Hype. Das tote Empire klammert sich an die zwei Dinge, die ihm geblieben sind: Waffen und Popmusik.“ Die heimische Pop-Presse beschimpft er als „inkompetent und anti-amerikanistisch“ durchaus verständlich, wenn man im „Melody Maker“ selbst als „musikalischer Wichser“ denunziert wird.

Unzweifelhaft jedenfalls ist, daß A 3’s Amerika-Phantasien nicht einer momentanen Trotzreaktion entspringen. Ihre Konzerte sind höchst unterhaltsame Amerikanistik-Vorlesungen mit Drumcomputer und Cowboyhut. Was auf Platte als intellektuelle Masturbation über amerikanische Fundamentalismen (miß-) verstanden werden kann, wird live zur Party. Beim Gig in der „Garage“, einem gemütlichen Club im Norden Londons, kommt man sich vor wie bei einem Biker-Treffen, auf das sich Studenten verirrt haben. Mit süffisanter Ironie wird hier Südstaaten-Folklore in ihre Bestandteile zerlegt. Zugnummer der Show ist Spraggs Kunstfigur „D. Wayne Love“, der so etwas wie eine fundamentalistische Elvis-Religion verkündet. Der „First Minister Of The First Presbyterian Church Of Elvis The Divine“ hat gar einen Katechismus publiziert, der bei Alabama-3-Konzerten verteilt wird.

Der Beifall von Freaks und Kiffköpfen ist ihnen ob der kulturellen Blasphemie vielleicht sicher – aber führt die Fixierung aufden Gag nicht unweigerlich in die Nähe von kurzlebigen Blödel-Kapellen wie beispielsweise Dread Zeppelin?

„Gefahr erkannt, Gefahr gebannt“, stimmt Rob zu. „D. Wayne Love und seine Anhänger werden aus diesem Grund noch 1998 Massenselbstmord begehen. Dann ist die Sekte tot.“ Seine Augen funkeln. Er scheint sich auf das Blutbad zu freuen wie ein Kind auf Weihnachten. Hilf, Elvis, hilf!

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