Steely Dan – Birth of the Cool

Ihre musikalischen Einflüsse aus den Steely Dan-I Platten herauszufiltern, sagen Walter Becker und ¿ Donald Fagen, sei keine Herausforderung für Kenner. „Als dankbare Zweitverwetter musikalischer Ideen haben wir denselben Fehler gemacht, den alle Diebe machen, sonst würden sie ja nie erwischt“, meint Becker, „wir haben am Tatort Spuren hinterlassen.“ Anfangs sei ihr Klau noch recht primitiv gewesen, „weil wir so euphorisiert waren, es überhaupt hinzukriegen, dass wir nicht an die Folgen dachten“, assistiert Fagen, „und so waren unsere frühen Platten offene Bücher für Musikdetektive. Inzwischen gehen wir da gewiefter ran. Geliehene Akkordfolgen werden sorgsam drapiert, unsere Fähigkeiten etwa in der Vertuschung mittels Halbtonschritten nähern sich der Vervollkommnung.“ Eine reizvolle Aufgabe für jeden Fan, Dans Jazz-Figuren zu durchforsten, ihren R&B zu untersuchen, ihre Grooves zurückzuverfolgen, die Instrumentation zu durchleuchten?

Doch soll es hier nicht um die dingfest zu machenden Einflüsse von Steely Dan gehen, nicht um eine Diagnose, sondern um die Musik, die Fagen und Becker inspiriert hat, die ihre Persönlichkeit prägte, die sie bis heute lieben. AUthatjazz, ataglance. Natürlich vor dem Hintergrund ihrer Biografie. Wohlan denn. Donald Fagen wuchs in New Jersey auf, seine Familie war stets integraler Bestandteil jüdischer Communities, deren Traditionen hochgehalten wurden. Die Musik im Hause Fagen war von der populären Art: Musicals und Afternoon-Swing. Nichts Aufregendes, nichts Fesselndes. Das fand Donald im Radio. Rock’n’Roll. Mit Chuck Berry am Ohr schlief Don oft nachts ein, da war er keine zehn Jahre alt. Zwei Jahre später kultivierte er bereits eine frühreife Anti-Rock’n’Roll-Haltung, wieder primär Radio-bedingt. „Man wechselte die Frequenz und tauchte in eine fremde Welt ein“, erinnert sich Fagen. Am heimischen Piano versuchte er, mit Red Garlands Jazz Junction“ mitzuhalten, eine Übung übrigens, die ihn heute noch auf Trab hält. Garland hatte zuvor mit Charlie Parker gespielt und war dann jahrelang aktiv in jenem legendärsten Quintett von Miles Davis, das dieser nach seinen Jahren in der Heroin-Hölle gegründet und in nie gekannte Höhen improvisatorischer Intensität geführt hatte, an der Seite wechselnder Virtuosen wie Bill Evans,John Coltrane, Sonny Rolüns und Charles Mingus sowie einer der genialsten Rhythm Sections der Jazz-Historie: Paul Chambers und Philly Joe Jones. Jenes Quintett, das binnen Monaten die Alben „Workin'“, „Steamin“, „Cookin “ und „Relaxin'“ in eine, was Massenakzeptanz betrifft, erdferne Umlaufbahn geschossen hatte.

Was den jungen Fagen nur darin bestärkte, tiefer einzudringen in diese tiefschwarze, verbotene Zone. „Ich muss unausstehlich gewesen sein“, sagt Fagen heute grinsend, „ein richtiger Jazz-Snob, ich begann mich abzukapseln und mich in Gesellschaft Gleichaltriger unwohl zu fühlen.“ Der Anfang einer Persönlichkeitsentwicklung, die er als „anti-sozial“ und „nonkommunikativ“ bezeichnet. Blame iton bebop.

Bebop! Beginn einer neuen Zeitrechnung in den 40er Jahren. Hatte der Swing sein Publikum umgarnt, umkost und zum Tanz geladen, kehrte Bebop seinen Zuhörern den Rücken, zog sie hinter sich her, hinauf in lichte Höhen der Improvisation, dann wieder hinunter in scheinbar ausweglose, weil Melodie-feindliche Solo-Exkursionen. Bebop war wild und gehorchte nur den Gesetzen der jeweiligen Combos, Bebop war ein Freiflugschein für Musiker, ein Ventil für sein nachtaktives Publikum. Bebop war auch ein Ärgernis. Jazz-Traditionalisten und Swing-Könner fühlten sich „veräppelt“, so Tommy Dorsey, oder schimpften auf „schräge Akkorde, die keine Bedeutung haben“, so Louis Armstrong. Satchmos berühmte Klage im Fachblatt „Downbeat“, wonach Bebop „keine Melodie hat, an die man sich erinnert und keinen Beat, nach dem man tanzen kann“, drückte aus, was eine ganze Jazz-Generation zu denken schien. Tatsächlich waren die oft komplexen, polyrhythmischen Strukturen des Bebop nicht im Einklang mit gängigen Tanz-Schritten, liefen dem regelmäßigen Beat des Swing auf unerhörte Weise zuwider. Weshalb schon Mitte der 40er Jahre eine Gegenbewegung einsetzte, die jene unbotmäßig verschlungenen und verschleierten Melodien des Bebop, seine atemlosen Tempi, seine unschematische Harmonik und seine anstrengende Komplexität konterten mit Rückzügen in freundlichere Epochen der Jazz-Geschichte, etwa in Form eines New-Orleans-Revivals.

Das Genie des Bebop war Charlie „Bird“ Parker, ein Autodidakt mit manischen, selbstzerstörerischen Zügen. Parkers Gefühl für Timing und Orientierung in der Struktur waren so sicher, dass er ungeheure Spannungsbögen in seinen Stücken schlagen konnte, diese für längere improvisatorische Strecken verlassen und kühne Sprünge in entfernte Tonarten wagen konnte, ohne ins Straucheln zu geraten. Die schiere Länge und L) nberechenbarkeit von Birds Flügen ist dann auch der Hauptgrund dafür, dass viele seiner Aufnahmen nur fragmentarisch überliefert sind. Bandmaterial war rar und teuer, und so wurde oft erst auf „record“ gedrückt, wenn Parker zu einem Solo ansetzte, und sobald er sein Saxofon absetzte, auf „stop“. Fagen favorisiert jene Sessions, die Parker 1946 und 1947 für das Dial-Label aufnahm, Sessions, die er unterbrechen musste, weil er seiner Heroin-Sucht nicht Herr wurde, ein Hotelzimmer abfackelte, und für Monate in psychiatrischen und Reha-Einrichtungen dämmerte.

All das trug für Fagen zum Faszinosum bei, er gerierte sich als Jazz-Elitist, trug schwarze Rollkragenpullover, übte wie besessen Piano und besuchte Jazz-Clubs, wo er schon mal in der „kiddies‘ section“ Platz nehmen musste, dafür jedoch mehr als entschädigt wurde durch das Privileg, einige der Großen jener Zeit live erleben zu dürfen: Sonny Rollins, Miles Davis, Charlie Mingus oder Thelonious Monk. Die Jazz-Pioniere der 50er und frühen 60er Jahre, ohne deren Platten Fagens Leben „anders und armselig“ verlaufen wäre. Im Herbst 1967, Donald war gerade 19, fand der notorische Einzelgänger endlich einen Gleichgesinnten und, wie sich herausstellen sollte, geistig Ebenbürtigen. Fagen hörte im Vorübergehen Gitarrenklänge aus einem College-Club, ging hinein und sah einen blonden, bebrillten Jungen, der einer roten Epiphone-Gitarre Blues-Licks endockte. Dunkle Töne, die er durch einen kleinen Amp jagte und die lange seufzend im Raum standen. Donald hatte so etwas noch nie gehört. Er stellte sich vor, erfuhr, dass der blonde Bursche Walter Becker hieß, aus Queens stammte, 17Jahre alt war und diese für Fagen so faszinierenden Sounds zu Hause auch auf Platten hatte. Sie verabredeten sich, und Fagen entdeckte auf diese Weise Howün‘ Wolf und Muddy Waters. Und fand einen Freund.

Walter Becker kannte sich erstaunlich gut aus für sein Alter. Durch ihn überwand Fagen seine Pop-Phobie endgültig. Er hatte sich bereits 1965 und 1966 eingestehen müssen, daß nicht alles elend war, was so aus dem Radio drang. Bob Dylan hatte es ihm angetan, die Stones und Tamla Motown, doch war es erst Beckers unverkrampfter Umgang mit Musik, der Fagens Vbrbehalte gegen die Popwelt ins Wanken und wenig später, ab 1968, zum Einsturz brachte. Allerdings nur, weil Walter Becker seine Hauptliebe, die zum Jazz, bedingungslos teilte. Es war vollkommen okay, Phil Spectors Wall Of Sound anerkennend zur Kenntnis zu nehmen, solange Konsens war, dass es letztlich nur ein primitiv gezimmertes Klangmäuerchen war, verglichen mit dem Genie eines Charlie Parker.

Terence Boykn kann ein Lied oder zwei davon singen. Boylan studierte mit Fagen und Becker am Bard College, musizierte mit ihnen und machte später auch selbst Platten. Damals aber, 1969, erläuterten ihm Becker und Fagen ihre Sicht menschlicher Evolution unmissverständlich: zuerst die Entdeckung des Feuers, dann die Erfindung des Rades, dann Charlie Parker und von da an „nur noch bergab“.

Und so verbrachten die Freunde ungezählte gemeinsame Stunden mit dem Studium von John Coltrane (dem frühen nur, der späte ist ihnen ein Graus), den Baritonsaxofon-Etüden von Gerry Mulligan oder dem Hard-Bop-Drive von Art Blakeys Jazz Messengers. Blakeys Snare-Drum-Wirbel sollten später in Rock-modifizierter Form auch Dan-Tunes zieren, ebenso wie natürlich andere Stil-Charakteristika kanonisierter Dan-Idole. Der kratzbürstige Ton von Sonny Rollins, die dynamischen Basslinien von Charles Mingus, Thelonious Monks kantig-perkussiver Anschlag. Den Duke haben Steely Dan sogar gecovert: Ellingtons „East St. Louis Toodle-Oo“ ziert „Pretzel Logic“. Die erschien im März 1974. Fagen schickte dem Verehrten die LP zu dessen Geburtstag im April, im Mai war der Großmeister tot. Bad timing.

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