Subjekt der Begierde

Ist Unberührbarkeit sexy? Autorin Kate Mossman glaubt: Kate Bush weiß genau, wie interessant man sich durch Abwesenheit macht.

Angeblich ist es besonders schwer, über Dinge zu schreiben, die man liebt. Als Redakteurin, die den Rezensionsteil eines britischen Musikmagazins betreut, weiß ich daher auch, wann ich die Schutzbrille aufsetzen muss: wenn die neuen Kate-Bush-Besprechungen von männlichen Kollegen reinkommen. Harte, zynische Kerle, mit Beefheart-Platten groß und stark geworden, geübt im lauwarmen, gönnerhaften Lob, schrumpfen plötzlich auf die Größe von liebeskranken Lancelots – sobald es um „La Bush“ oder „Lady Catherine“ geht, wie sie selbst sie nennen. Die höfische Minne, es gibt sie noch.

Die Begehrte wird in der echten Welt eher selten gesichtet, lebte einmal sogar auf einer Insel (in der Themse) und bewohnt heute offenbar ein mysteriöses Land, in dem der Schnee fällt, wann und wie sie will. Selbst die Texte ihres Albums „Aerial“ von 2005, die sich mit eher Diesseitigem wie Haushalt und Familie befassten, wirkten seltsam entrückt – als wäre die Dichterin zu einem Leben verdammt, in dem sie das Magische in ihrer Waschmaschine suchen (und finden) müsste. Auf Männer wirkt Kate Bush streng und eigensinnig, keusch und unfassbar, nicht so raubtierhaft und sexualisiert wie Madonna oder Courtney Love. Wie das Mädchen, mit dem man sich die ganze Nacht in der Bar unterhält, das einem dann ins Ohr flüstert: „C’mon, darling, let’s exchange the experience“ – und dann, wenn man kurz weg war, um den Mantel zu holen, verschwunden ist.

Auf die weibliche Vorstellungskraft wirkt sie anders. Da ist sie die Nymphe im Ballettanzug, die sich nach nur sechs Wochen on the road (1979 auf ihrer bisher einzigen Tour) für immer den Blicken des echten Publikums entzog. Kate Bush verkörpert den Sieg der künstlerischen Integrität über jede Form von Image, einen Sieg durch Beharrlichkeit. Je seltener Fotos von ihr in Umlauf geraten, desto kostbarer erscheinen sie. Lady Gaga oder Florence Welch, so aufregend sie sein mögen, sind am Ende die Hauptfiguren von Bühnenshows – barocken Historienspielen, an denen ganze Teams arbeiten und zu denen ständige Kostümwechsel gehören, um das Volk zu unterhalten.

Kate Bush dagegen gibt ein Foto frei, auf dem sie ein Clownskostüm trägt oder eine Schere in der Hand hält – und wir müssen uns damit begnügen. So sieht für mich wahre Macht aus. Und trotzdem (oder deshalb) ist sie einer der ganz wenigen weiblichen Stars, die auch noch im mittleren Alter auf den Titelseiten der Musikmagazine erscheinen.

Ihre Alben Nummer vier und fünf, „The Dreaming“ und „Hounds Of Love“, waren die Früchte von Bushs störrischem Kampf um künstlerische Selbstbestimmung, den sie in frühen Jahren gekämpft hatte. Das weltweite Publikum akzeptierte ihre Bedingungen, liebte die seltsame Musik, nannte sie genial. Auch ihre neue Platte „50 Words For Snow“ mag bezaubernd sein – aber modern klingt sie wirklich nicht. Man bekommt den Eindruck, diese Songs kämen aus einem luftdicht abgeschlossenen musikalischen Königreich, wo, soweit wir wissen, in den letzten 20 Jahren keine Neuigkeiten von draußen angekommen sind. Bei manchen Künstlern wäre diese Vorstellung besonders grauenhaft – bei einer Kate-Bush-Platte ist sie geradezu aufregend. Man darf einen Blick ins Allerheiligste werfen. Alles echt und unberührt.

Zuletzt hat Kate Bush oft davon gesprochen, dass bei ihr privat so „viel los“ sei – weil sie damit die langen Pausen zwischen ihren Platten erklären wollte. Sie meinte ihr Familienleben: Irgendwas würde da immer dazwischenkommen, wenn man gerade mal Musik machen wolle, sagte sie andeutungsreich.“Nie hat man Zeit, oder?“

Aber mal im Ernst: Wenn Kate Bush irgendetwas hat – ist es dann nicht Zeit? Sie hat einen Ehemann (und Mrs. Bartolozzi!), der ihr im Haushalt helfen kann, und ihr einziges Kind ist aus dem Grundschulalter raus. Ich könnte mir gut vorstellen, dass sie in Wahrheit die meiste Zeit damit verbringt, an Akkordfolgen herumzutüfteln, sich Wörter für Schnee auszudenken und aus dem Fenster zu schauen – das perfekte Künstlerdasein. Eines, das nur wenige junge weibliche Stars jemals genießen können: ausgebrannt, in Knebelverträgen gefangen, von Bühnenchoreografien am spontanen Ausdruck gehindert.

Vielleicht ist das ja der wünschenswerte Zustand, den Kate Bush erreicht hat: eine stille, scheinbar bedeutungslose Alltagsexistenz, in der man trotzdem die ganz große Kunst produziert.

Kate Mossman ist Redakteurin der englischen Musikzeitschrift „The Word“.

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