Kommentar

Taylor Swift, Netflix und Sexismus: Geht’s nicht auch eine Nummer kleiner?

Ein banaler Witz in der neuen Netflix-Serie „Ginny & Georgia“ wird für Taylor Swift zum Anlass, grundsätzlich zu werden. Doch taugt der Joke überhaupt für den Sexismus-Vorwurf?

„2010 hat angerufen und es will seinen faulen, zutiefst sexistischen Witz zurück.“ Das schreibt Taylor Swift auf Twitter, um dann grundsätzlich zu werden: „Wie wäre es, wenn wir aufhören, hart arbeitende Frauen zu entwürdigen, indem wir diese Pferdescheiße als lustig definieren.“ Worum geht’s? Die Sängerin hatte mitbekommen, dass sich ihre Fanbase über eine Bemerkung in der soeben gestarteten neuen Netflix-Reihe „Ginny & Georgia“ aufregte.

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Dabei handelt es sich um eine Art gechilltes Update der „Gilmore Girls“. In kürzester Zeit wurde die Serie mit Brianne Howey als patenter Mutter und der wunderbaren Newcomerin Antonia Gentry zu einem Hit beim Streamingdienst, der ja auch mit den alten Folgen der schrägen Comedy von Amy Sherman-Palladino täglich noch starke Streamingzahlen aufweisen wird (auch wenn das ja niemand so genau weiß, weil Netflix es nicht verrät). „Gilmore Girls“ war stets für seinen scharfzüngigen Humor bekannt. Es ist nicht übertrieben, zu sagen, dass es eine ganze Generation prägte. Auch „Ginny & Georgia“ will hier nicht nachstehen.

#RespectTaylor

Und dann streiten Georgia und Ginny, wie es Mütter und Töchter eben so machen, über die richtige Beziehungsführung. Wer solche Gespräche schon einmal geführt hat, weiß, dass es hier kaum fair und oft nichtmal sonderlich ernst zugeht. Jedenfalls sagt Ginny über ihre Mutter, die sie für ihr chaotisches Liebesleben tadelt: „Was interessiert es dich? Du hast einen größeren Männerverschleiß als Taylor Swift.“

Der Aufschrei im Netz folgte auf den Fuß. Die Swift-Anhänger(innen) sind zwar nicht so gut organisiert und bissfest wie jene von BTS und anderen K-Pop-Bands, aber sie schauen anscheinend fast alle Netflix. In kürzester Zeit trendete bei Twitter das Hashtag #RespectTaylor.

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Eine Brandrede nach der nächsten verdammte den unwürdigen Stil, wie man hier mit einer verdienten Künstlerin umgehe. Wie könne es überhaupt sein, dass ein Streamingdienst, der ansonsten auch noch (freundlich-banale) Dokumentationen über die vielleicht größte Musikerin der westlichen Hemisphäre im Programm hat, nun derart unverschämt werden könne? Als hätte Netflix nur einen Autor, als gäbe es eine Netflix-Politik.

Shake It Off – Taylor Swift und ihr Liebesleben

Taylor Swift hat sich nun dieser scharfen Kritik an einem harmlosen Gag, wie er in der Form in fast allen Comedy-Serien nicht nur bei Netflix vorkommt (wer einmal die Großmutter aller Sitcoms, die „Golden Girls“, schaut, der wird scharfzüngige, rabiate Witze auf Kosten von so vielen Prominenten hören, dass ihm oder ihr die Ohren schlackern) angeschlossen und dabei noch einmal an ihren Kampf gegen die Boulevardpresse erinnert, die schon zu Beginn ihrer erstaunlichen Karriere recht unverblümt ihre Liebhaber und Dates aufzählte.

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Swift thematisierte dieses Problem, das sie so sehr bedrängt, übrigens mit einem ihrer bekanntesten Songs: „Shake It Off“. Ein Stück, das wahrscheinlich öfter gestreamt wurde als das Komplettwerk von, sagen wir, St. Vincent.

Der Vorwurf von Swift (mit kleinem Giftpfeil in Richtung Netflix, das ja eben noch so schön Werbung für die Musikerin machte) ist klar und deutlich benannt: Hier handelt es sich um einen elenden sexistischen Witz auf ihre Kosten und angeblich auch auf Kosten aller hart arbeitenden Frauen, deren in der Öffentlichkeit beschriebenes Liebesleben gegenüber ihrer Lebensleistung zurückzustehen habe.

In der Sache hat die Sängerin natürlich recht. Das Privatleben auch der bekanntesten Stars ist privat. Aber dass es ein öffentliches Interesse daran gibt, das in juristisch festgelegten Grenzen mit Berichten auf Papier oder im Netz gefüttert wird, ist nicht neu. Geht es also auch eine Nummer kleiner?

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Sexismus in Serien sieht oft anders aus

Der Witz kommt aus dem Mund zweier Serienfiguren, Taylor Swift spielt hier ansonsten keine weitere Rolle. Es wird nichts weiter vertieft, das Swift in irgendeiner Form verletzen könnte. Man mag diesen platten Joke, der als solcher gekennzeichnet ist und letztlich als Analogie selbst beim zehnten Mal schauen nur umso harmloser erscheint, als im Kern sexistisch verdammen, wenn man zugrunde legt, dass eine solche Äußerung über einen Mann wohl nie gemacht würde. Also etwa: „Du hast einen größeren Frauenverschleiß als Brad Pitt.“ Oder um ihm Bilde zu bleiben: „Du hast einen größeren Frauenverschleiß als Justin Bieber.“

Szene aus „Ginny & Georgia“

Aber das alleine macht diesen kleinen Seriendialog immer noch nicht zu einem Problem, das angeblich „hart arbeitende Frauen zu entwürdigen“ versucht werden. Der Kampf gegen strukturellen Sexismus muss geführt werden; er benötigt noch sehr viel mehr Mutige dafür. Aber wer Sexismus nur im Kino und Fernsehen zu dechiffrieren versucht, macht es sich erst einmal zu einfach und verwechselt indirekte Rede mit direkter Rede, Fiktion mit Realität. Denn weder das Publikum wird hier angesprochen noch Taylor Swift persönlich verspottet (schließlich heißt es ja, dafür ist kein sensible oder close reading nötig: „Du hast einen größeren Männerverschleiß als Taylor Swift“).

Warum schreibt sich hier die Sängerin in einen Diskurs ein, der mit ihr nur am Rande etwas zu tun hat und nur deshalb Bedeutung bekommt, weil sie erwähnt wird? Wäre es nicht auch vorstellbar, dass ein anderer Name statt ihrem in diesem Witz fallen könnte? Etwas weniger Twitter-Pointierung und Dünnhäutigkeit – die ja vor allem auch im angedeuteten Vorwurf gegen Netflix durchscheint – wäre hier souveräner.

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Eher interessant wäre darüber hinaus auch, die mit feministischen Codes spielenden, aber schließlich konservative Lebensmodelle bestätigenden Liebesspiele in derartigen Netflix-Serien und anderen Rom-Coms unter latenten Sexismus-Verdacht zu stellen. Wird das Bild starker Frauen in vielen TV-Serien nicht schon deswegen wieder auseinander genommen, weil schließlich viel zu oft dem Love Interest mehr Bedeutung beigemessen wird als dem oft nur behaupteten, aber meist nicht durch Spielszenen nahegelegten Erfolg im Beruf? Das Problem Sexismus im Fernsehen existiert, aber es sieht anders aus, als es uns Taylor Swift weismachen möchte.

Leider bleibt im Fall Taylor Swift vs. „Ginny & Georgia“ nur viel zu viel heiße Luft und keine Erkenntnis über den etwas beunruhigenden Fakt hinaus, dass selbst eine freundliche, ungefährliche Serie für die ganze Familie von einem Moment auf den anderen zum Spielball eines oftmals an den falschen Fronten geführten Kulturkampfes wird.

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