The Beat On

Zwischen '63 und '67 lärmten hunderte heimischer Beatbands. Wer nur Lords oder Rattles kennt, dem sei das Buch "Shakin' All Over" empfohlen

Deutsche Beatmusik hatte im Ausland etwa den Stellenwert, den die Jacob Sisters heute im nationalen Heavy-Metal-Lager haben: Der Ätz-Faktor 100 wurde zwar pauschal vergeben, doch zum Ablachen waren die Beatbands allemal gut.

Beat aus Deutschland, das bedeutete für Aktive und Ausgehungerte aber auch in-der-Haaaimatt, in der Heimat meist den Erwerb der Arschkarte. Ursache: Das kulturelle Diktat eines debilen Österreichers auf dem Kreativsektor. Spätfolge: Eine komplette (Musiker-)Generation fiel quasi aus, null Fundament. Und das so genannte Ordentliche wirkte auch bei den Rezipienten nach: Du kriegst das Fell voll, wenn du das Langhaarigen-Geheul in mein Haus (!) schleppst!

Dass unter solchen Bedingungen überhaupt eine Beat-Szene zwischen Flensburg und Garmisch entstehen konnte, ist überraschend genug.

Die Bewegung aus dritter Hand von Briten klauen, die sich schon bei den Amis bedient hatten – blieb vermeintlich auf nur wenige Namen beschränkt: Rattles, Lords, Boots, aus. Dreieinhalb Hits, Ende. Vier Artikel, fünf Discographien, Schluss.

Dass da viel, viel mehr war, dokumentiert jetzt „Shakin‘ All Over“, ein längst überfälliges Buch von Hans-Jürgen Klitsch. Zum ersten Mal (!) nach rund 35 Jahren ging ein Autor auf intensive, detaillierte Spurensuche quer durch die Republik. Klitsch, ehemals Herausgeber von Fanzines wie „Gorilla Beat“ und „Hartbeat!“, ist damit ein Standardwerk gelungen; er hat die Messlatte für potenzielle Nachfolger in den zehnten Stock gehängt. Das Ergebnis mehrjähriger Arbeit ist beeindruckend, beginnt mit dem „Blick in die Zeit- und Musikgeschichte“. Klitsch hat dafür sackweise Mitglieder von nicht weniger als 600 (!) Beat-Bands aufgespürt und interviewt.

Deren ebenso authentische wie launige Auslassungen sind informativ und machen Spaß: Etwa die über beliebte Hirnriss-Wettbewerbe im Dauerbeat (Rekord: 251 Stunden durch die Clerks aus Kassel…); oder die über „Rammel-Rituale“ – bisweilen mit dem Abpfiff noch vor dem Anstoß.

Abenteuerlich die Enthüllungen über pekuniären Mega-Beschiss durch abzockende Manager oder strikt umsatzorientierte Dorfbums-Wirte (Motto: Wenn ihr nicht sofort „Wullebulle“ spielen tut, gibts aufte Fresse). Herrlich die optischen Erinnerungen an knorke Beatmode mit partiell irreführender Reklame („Machs dir selbst – dein Op-Art-Kleid!“), an Schlaghosen, Fellwesten und fettige „Lang“-Matten. Thematisiert wird sogar das Permanent-Drama um verreckte Band-Busse, was nicht immer an der Technik lag. Rolf Tacht (The Rollicks): „Einmal hatte unser Organist den Motor verkauft.“

In 29 Unterkapiteln entstand so ein Stück fühlbare, nachvollziehbare Musikhistorie aus unmittelbarer Nachbarschaft. An den unterschiedlichsten Stellen taucht dabei Musikprominenz in spe auf: Mustangs-Drummer Udo Lindenberg, der samt Schlagzeug aus dem VW-Kasten kippte; Konzertveranstalter Marek Lieberberg als Sänger der Echoes; Frank(ie) Farian und seine Schatten – die Liste ist lang.

Teil zwei des opulenten Wälzers (mit über 3000 Einträgen im unverzichtbaren Namens-Index!) wird Beat-Archivaren Tränen in die Augen treiben. Auf über 300 Seiten zeichnet Klitsch die mit seltenen Fotos angereicherte „Karte der deutschen Rockprovinzen“: über „Berliner Bären“, „Mosel Saar Ruwer“, „Ruhrgebeat und grüne Lunge“, „Reeperbahnboogie“, „Leinerock“; hier ist, regional sortiert, so ziemlich jeder erfasst, der zwischen 1963 und 1967 ein Instrument halten konnte – allein die beigestellten Discographien dürften so manchen collector at work freudig erschauern lassen.

„Shakin All Over“ (Verlag: High Castle, ca. 500 Seiten, 98 Mark) steht nicht allein da. Zunächst fünf CDs eröffnen eine auf 30 Scheiben ausgelegte Compact-Reihe mit ausgesuchten Beispielen deutschen Beatschaffens jener Jahre des mutig-bemühten Aufbruchs. Zwei CDs bündeln erstmals sämtliche 60s-Singles der Ratdes (mit diversen unveröffentlichten Titeln; Bear Family BCD 16451 und 16456). Ferner feiern CD-Premiere: Pete Lancaster (16454), die Poor Things (16459) sowie Peter Reese & The Pages (16453).

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