The Cult: Sex in Flaschen

Sie kommen immer wieder: The Cult halten durch

An diesem Sonntagmittag ist er der blasseste Engländer der Welt. Gerade gestern in Madrid eingetroffen, mußte Fußball-Narr Astbury noch partout seiner Leidenschaft frönen: ab zur Kicker-Diva von Real – und in der kochenden Arena zusehen, wie es den Tabellenletzten abschlachtet. Ole. Danach, Leidenschaft Nummer zwei (oder drei?): ein Zug durch die madrilenische Clubgemeinde. Bis zum Morgengrauen.

Oh, ja, der ,Jurrrgn Kliiiinsmään“, gurgelt Astbury, der sei ja wirklich klasse, wirklich intelligent. Ein Prädikat, das für einen Fußballer ja eben so selten zutreffe wie für einen Musiker. Stichwort Musik. Spätestens mit „Sonic Temple“ (1989) standen The Cult in dem Ruf, eine „Heavy Metal-Band für Leute zu sein, die glauben, über Heavy Metal erhaben zu sein“. Später bezeichnete man solche – generell absurden – Phänomene in irreführender Verbrämung als „politically correct“. Was Wunder: „Sonic Temple“ war die kommerziell erfolgreichste Cult-Platte, produziert von Bob Rock – dem Mann aus Vancouver, dessen Name Programm ist: Er verwandelte schon die Roh-Ergüsse von Metallica, Mötley Crüe und Bon Jovi in Edelmetall.

Wie nicht wenige Bands leben The Cult in einer kreativen Zwangs-Ehe: Sänger Ian Astbury und Gitarrist Billy Duffy können nicht mit-, aber auch nicht ohneeinander. Und wie bei Zwangs-Ehen üblich, war der Ehekrach programmiert. Nach Ende der „Sonic Temple“-Tour im April 1990 brach die Band auseinander: Bassist Jamie Stewart entschied sich fürs Familienleben; Drummer Matt Sorum vergoldete seinen Hocker, und das, womit er daraufsitzt, bei Guns N‘ Roses. Und: „Mein Vater starb an Krebs. Ich war total destruktiv, hatte Alkohol-Probleme. Billy und ich konnten uns nicht mehr riechen“, flüstert ein teeschlürfender Astbury in die spanisch-koloniale Atmosphäre hinein. Das Management nahm auf emotionale Durchhänger keine Rücksicht, sondern drängte: unbedingt schnell mit neuer Platte nachlegen, im Gespräch bleiben.

„Ceremony“ (1991) geriet zum kreativen Desaster. „Erfolgsdruck nennt man das wohl. Allein die Kraft, um auf die Bühne zu gehen und vor einem großen Publikum zu bestehen – wenn man dieses Selbstbewußtsein gefriergetrocknen und verkaufen könnte: Das wäre der Clou! Wie wenn man Sex in Flaschen abfüllen könnte. Diese Energie ist unbezahlbar“, versichert Astbury.

Die „Ceremony“-Tour war für Astbury immerhin insoweit erfreulich, als daß er seine jetzige Frau Heather, ein amerikanisches Fotomodell, kennenlernte. Die Heirat – während der Riots in Los Angeles – war Stanley Kubrick-kompatibel: Das Paar wurde bei der Trauung nicht von Brautjungfern, sondern von schwerbewaffneten Polizisten umrahmt. Was blieb da noch übrig, als zu sagen: „Yes, I will.“ Nachwuchs hat man natürlich auch schon. „Dusty, 16 Monate“, sagt der offensichtlich stolze Vater. „Er hört schon Techno-Musik.“

Überhaupt: Die Lage besserte sich. Es gab ein Wiedersehen mit Rick Rubin. Mit ihm nahmen sie 1992 das technisierte Düsterlied „The Witch“ auf, erschienen im letzten Jahr auf dem Sampler „Pure Cult“. Wenig später fand sich das jetzige Line-up mit Drummer Scott Garrett und Bassist Craig Adams (Ex-The Mission) – seitdem die wohl beständigste Cult-Besetzung: Immerhin verzeichnet die offizielle Band-Chronik nicht weniger als sechs Schlagzeuger.

Das neue Album – nur streckenweise überzeugend – knüpft an alte „Love“-Zeiten an. Und über jene gerät Astbury noch heute ins Schwärmen. Die Band verkörperte damals die Essenz des britischen Wave/Punk/Gothic-Rock: Bauhaus und Killing Joke, obwohl Astbury gleichzeitig Glam-Hippie mit Beatnik-Attitüde war. „Ich stehe auf einen Bohemien wie Brian Jones, natürlich auf Hendrix und Jim Morrison. Und ich mag Jack Kerouac und Allen Ginsberg.“ Mit „She Sells Sanctuary“ wurde der damals 24jährige Beau zum Star in den Staaten: „Vogue“ feierte ihn als „schönsten britischen Rockstar seit Mick Jagger“. Selbst Madonna schrieb feurige Liebesbriefe.

„The Cult“ wurde wieder von Bob Rock vertont, der vermutlich heilfroh war, nach Mötley Crüe und anderen US-Poseuren wieder mal britische Bodenständigkeit unter die Finger zu bekommen. Erwähnenswert: die Ballade „Sacred Life“, die sich allerdings arg theatralisch von hingeschiedenen Ikonen verabschiedet – Kurt Cobain, River Phoenix, Andrew Wood (Sänger von Mother Love Bone) und dem ’68er Revoluzzer Abbie Hoffman. „Das ist kein berechnender Tribut an Kurt Cobain! Ich beschreibe meine Gefühle, als Cobain und all die anderen starben. Dies ist eine ehrliche Platte!“

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