The Flaming Lips in: Die Furchlosen Freaks

Keine Angst, die wollen nur spielen – obwohl es bei den Flaming Lips immer auch um die wichtigen Dinge des Lebens geht: Liebe, Tod, überdimensionale Hasen. Die Band, die vor 23 Jahren als Chaos-Garagen-Truppe startete, ist heute ein wahrer amerikanischen Pop-Klassiker. Anläßlich des neuen Albums „At War With The Mystics“ – der große bunte Rückblick.

Und der alte, alte Mann dachte scharf nach und bemerkte, als er mit dem Nachdenken halbwegs fertig war (denn ganz fertig ist man nie), daß ihm seine Weisheit auch zum Nachteil werden könnte. Denn er war ja ein Rock’n’Roll-Star.

„Ich dachte mir“, sagt Wayne Coyne, heute 45, Sänger der Band Flaming Lips aus Oklahoma City, über den entscheidenden Wendepunkt seiner Karriere, „ich dachte mir: Hier stehe ich, ein 40 Jahre alter Mann, und im Prinzip predige ich über den Tod. Ich singe über das Unbehagen, das die Menschen spüren, wenn sie darüber nachdenken, was wohl nach dem Sterben passiert. Und ich dachte mir: Ich kann solche Lieder doch nicht für die ganzen 25jährigen da draußen singen!“

Coyne meint die Zeit ums Jahr 1999, als seine Flaming Lips eben das erdenschwere, sternenleichte Album „The Soft Bulletin“ veröffentlicht hatten und es darum ging, wie sie die neue Musik live spielen sollten, zum Trio geschrumpft, mit einem schwer Heroinabhängigen in der Band. „Die ganzen ^jährigen im Publikum, die lieber Drogen nehmen wollen und Sex mit ihren Partnern haben wollen, während ich den ganzen Abend auf der Bühne sitze und über den Tod singe! Also…“ – auf die Erleuchtung kann man sich besser verlassen als gemeinhin bekannt-,,… also dachten wir uns: Bringen war ein paar Luftballons mit! Bringen wir Handpuppen, bringen wir Tierkostüme! Und ich garantiere jedem Einzelnen im Saal, daß es auf der einen Ebene reines Entertainment ist, aber daß es auf einer anderen Ebene auch eine tiefere Bedeutung hat, für alle, die mehr haben wollen.“

Er holt Luft, endlich. „Ich sage es noch mal deutlich: Ich will euren Samstagabend nicht ruinieren! Ich will, daß es der beste Samstagabend wird, den ihr je erlebt habt! Es sieht aus wie eine Geburtstagsparty, aber es geht um den Tod.“

Und wie immer, wenn Wayne Coyne eine seiner flamboyanten kleinen Ansprachen gehalten hat, bei denen ihm die schwarzgrauen Haare elektrisch abstehen und seine Augen leuchten wie das UFO in „Unheimliche Begegnung der dritten Art“, wie immer senkt er dann kurz die Stimme und setzt die anständig bescheidene Anti-Klimax. „Maybe it’s just dumb luck, vielleicht ist es nur das Glück der Dummen, aber es funktioniert.“

Würden ein Außerirdischer, ein rosa Roboter oder ein überproportionierter Hase vom Himmel auf die Erde plumpsen, was würden sie beim Anblick der Flaming Lips denken? Oder auch: Was denkt einer, der die Flaming Lips nicht kennt, weil sie nur einen einzigen echten Hit hatten und den nur in Amerika und außerdem vor zehn Jahren? Der Nicht-Kenner wird sich darüber wundern, wie der Sänger einer Gruppe, die sinngemäß eine Indie-Band ist (wörtlich sind die Flaming Lips seit 15 Jahren beim Major Warner), im Siebziger-weißen Anzug und mit riesigen Tieren auf die Bühne gehen, sich dort das Gesicht mit Kunstblut übergießen und eine Las-Vegas-Wanderzirkus-Fete feiern kann. Wie eine ursprünglich so wacklige Provinzband trotz mediokrer Plattenverkäufe zu einem wahrhaftigen amerikanischen Pop-Klassiker werden konnte. Und der Außerirdische, der Roboter und der Hase werden glauben, daß die Musik auf Erden allgemein eine ungeheuer farbige, freundliche, extrovertiert humanistische Angelegenheit ist.

Dabei wirken die Flaming Lips bei allen Blubberblasen, Mutterbrüsten, gitarrespielenden Delphinen und Oden an das Leben vor und nach dem Tod keineswegs wie eine Band, der man leicht über den Weg trauen kann. Noch vor 20 Jahren hatten sie ein Motorrad auf der Bühne, quälten die Zuhörer mit grellen Direktübertragungen aus dem Auspufftopf, trugen wuchernde Acid-Punk-Frisuren. Diese Band ist mal im Vorprogramm der ersten Hardcore-Brigaden aufgetreten, hat auf geklauten Instrumenten gespielt, im Studio Gitarren unter Wasser gesetzt und einem Soundeffekt zuliebe ein Klavier zerschlagen. War später bei einer Folge von „Beverly Hills 90210“ dabei, hat eine Symphonie aus Autoradios dirigiert und vier CDs veröffentlicht, die man gleichzeitig abspielen muß – heute sind die Flaming Lips die einzige Gruppe, die den zweiten amerikanischen Punk-Aufbruch, die Grunge-Zeit und den Alternative-Rock-Boom gleichermaßen überlebt hat, bis in eine sonderbar transzendente Pop-Existenz hinein.

Und im Schwung dieser Verwandlung haben sie nicht nur den Wert des musikalischen Kunsthandwerks, des Richtig-Spielens (im Gegensatz zum absicht1ichen Schräg-Spielen) erkannt und eine äußerst überzeugende Art und Weise entdeckt, alternde Punks zu sein. Sie haben es auch geschafft, eine Idee von Moral und menschlicher Verantwortung in ihre Musik zu pflanzen, und sie können einem zweifellos auch damit noch genug auf die Nerven gehen, keine Angst.

Warum Wayne Coyne seine Drogen-Deals am liebsten im New-Hollywood-Stil abschließt Wer die Flaming Lips ein bißchen kennt, kennt Michelle. Die hübsche Frau aus dem „Turn It On“-Video, die dort mit zwei übermütigen Freundinnen eine Waschsalon-Choreographie aufführt, sich mit ihnen eine Seifenschaum-Schlacht liefert, während die Band unterm Tisch hockt. Das Mädchen, das im „She Don’t Use Jelly“-Video im Plantschbecken sitzt, lasziv Orangen ißt und sich Eigelb auf die Nasenspitze schmiert. Diese blonde Michelle ist rein zufällig auch die Ehefrau von Wayne Coyne, hat die Flaming Lips früher fotografiert, sucht Wayne die schönen Anzüge aus, begleitet ihn auf den Weltreisen, öffnet die Tür des Hotelzimmers, wo in der Ecke ihre psychedelisch buntgestreiften Koffer stehen – oder sind es seine? – , spielt die Gastgeberin, wenn ihr Mann gerade kurz verhindert ist. Und sie ist eine der wahrscheinlich wenigen Ehefrauen der Welt mit solchen Problemen: Mit genervten Augen spricht sie von der vermaledeiten Raumkapsel in ihrem Garten wie andere Leute von einem fehlplatzierten Zierfischteich.

„Ja, die Kapsel ist noch da“, sagt Michelle Coyne und sucht mit dem anderen Auge im Laptop nach Shopping-Möglichkeiten in der Kölner Innenstadt. „Ich habe keine Ahnung, wie wir die jemals loswerden wollen. Wahrscheinlich integrieren wir sie irgendwie in den Garten, pflanzen ein bißchen was drüber und machen da eine Art Lesebank draus.“ Die Raumkapsel ist eigentlich ein Fiberglas-Benzinspeicher, den Michelles Ehemann vor knapp fünf Jahren einem Tankwart in Oklahoma City abgeschwatzt hat, als entscheidendes Set-Stück für seinen Privatspielfilm „Christmas On Mars“, der noch immer nicht fertig ist.

Wayne Coyne hat an einem ganz anderen Laptop gerade noch den Radio-Edit der neuen Single „The Yeah Yeah Yeah Song“ abgenommen, einem für die wiedergeborenen Flaming Lips hundertprozentig typischen Barbershop-Glamrock-Stomp mit Bo-Diddley-Beat, Handclaps, Peter-Frampton-Gitarre, Helium-Stimmen und unglaublich eingängiger Melodie – ein Stück, dem man bei aller Poppigkeit so überdeutlich anmerkt, wie lange die Musiker daran herumgefummelt haben, daß es Absicht sein muß, daß man das merkt. Coyne segnet die Radio-Version lachend ab, wie könnte er anders, wie könnte er überhaupt jemals unfreundlich, unaufgeschlossen oder auch nur uneuphorisch sein? Früher kam er sogar zu Interviews in den biedermeierlichsten Auslands-Hotels in einem seiner Blendax-weißen Bühnenanzüge, dieses Mal trägt er ein rosa Hemd mit enger, graphitfarbenen Weste und schwarzer Nadelstreifenhose, die Kragenfliege aufgebunden. Wenn man Wayne Coyne trifft, fühlt man sich wie in einem New-Hollywood-Film aus den Siebzigern, und das ist toll.

„Ich sehe das so: Wenn ich vor Gericht erscheinen müßte, dann wüßte ich, daß die Richter über mich urteilen werden“, sagt Wayne Coyne. „Und dann frage ich mich: Soll ich meine Straßensachen anziehen oder soll ich gut aussehen für die Leute? Ich will ja, daß sie mich mögen! Außerdem: Ich mag die Vorstellung, ein kolumbianischer Drogenbaron zu sein, den die Leute im Hotel aufsuchen, mit einem Koffer mit einer Million Dollar für einen großen Heroin- oder Kokain-Deal. Das gefällt mir. Ich bin freilich kein normaler Dealer, ich bin hip, ich verkaufe nur an Rockstars und Models und so weiter.“

Ob die Flaming Lips das Sonderbare, Überdrehte, Flash-Farbige, Harmonie-Potenzierte eigentlich ernst meinen oder nicht – die Frage liegt so nah, obwohl sie genau gesehen keinen Sinn ergibt, denn was könnte an einem Mann im Zebrakostüm ernst gemeint sein? Die Person Wayne Coyne dagegen kann den flüchtigen Gesprächspartner in dieser Hinsicht ziemlich ratlos machen: der

einerseits bürgerlich-joviale, im Detail aber hippiehaft zerzauste Bart, die Ideen, die er lächelnd und mitreißend, überbordend freundlich und doch irgendwie manisch und irre vorträgt, die ganze Anmutung Coynes zwischen Zirkusdirektor, Kinderpsychologe, Freikirchen-Pastor und schlitzohrigem Fleckentferner-Vertreter, all das macht ihn zwar zu einem der charmantesten Typen, die man auf dem großen Lollapalooza so trifft. Es läßt einen aber auch bis zum Schluß in dem unguten Verdacht, daß man gerade im großen Stil hochgenommen wird.

Am Acid liegt das nicht. Das, was durch die Jahre über die Drogen-Manieren der Flaming Lips bekannt wurde, ist erschreckend genau bekannt, wie wir später sehen werden – Wayne Coyne, der an einem großen Teil der bizarren Artworks und grellblubbergefärbten Videos mitgearbeitet hat, hat nach eigenen Angaben zwar in der High School einige Male LSD genommen, fand das aber so unangenehm, daß er es später nie mehr in die Versuchung gekommen sei. Trotzdem stellte er sich als magerer, solarisierter Christus im Paisley-Hemd ans Kreuz, färbte sich die Haare so orange, daß selbst Beavis und Butthead aufmerksam wurden, ein selbst hinfrisierter Ikonenkasper des psychedelischen US-Untergrund. Jahrelang.

Den Respekt, den Wayne Coyne und mit ihm die Band mittlerweile genießen, kann man – wenn man heute mal simpel sein will – auf zwei Oberflächenfaktoren zurückführen.

Faktor eins: die Haare. „In der Nähe des Studios, das unserem Produzenten Dave Fridmann gehört, gibt es einen kleinen Lebensmittelladen, in dem wir immer einkaufen“, erzählt Coyne. „Als wir 1998 anfingen, ‚The Soft Bulletin‘ aufzunehmen, hatte ich den Bart und trug den Anzug, ich ging in den Laden, und plötzlich sagten die Leute, die mich ja schon jahrelang kannten: ,Sir, kann ich Ihnen behilflich sein? Darf ich Ihnen etwas bringen?‘ Und ich antwortete: .Komisch, gestern war ich auch da, aber da haben Sie mich so was nicht gefragt!'“

Faktor zwei, den hatten wir allerdings schon und es ist allein Coynes Meinung, die er aber ständig wiederholt: das pure Glück der Doofen. „Die Flaming Lips haben es geschafft, in die großen Ideen hineinzuwachsen, nach dem Epischen und Schönen zu greifen und gleichzeitig die Unschuld und Albernheit zu bewahren. Aber das ist alles nur Glück, dumb luck, Zufall.“

Warum die Who-Fans von den Punks nicht geprügelt wurden

Das waren nebenbei auch die zwei Gründe, aus denen die Flaming Lips in Oklahoma City Mitte 1983 überhaupt gegründet wurden. Zufall, weil Wayne Coynes Bruder Mark zufällig bei einer Party vorbeiging, die im Haus seines entfernten High-School-Mitschülers Michael Ivins gefeiert wurde. Und Haare, weil der besagte Ivins damals einen eher raren, an den Schädel-Schmalseiten hochrasierten Punk-Afro trug. Mark Coyne, Football-Quarterback, privat Hut- und Latzhosenträger, erkannte sofort den natürlichen Underground-Star-Appeal, und sein Bruder Wayne und er überredeten Michael Ivins eher mühelos, in der Gruppe mitzumachen, die Wayne Coyne nach dem Kauf einer wunderschönen Gibson-Les-Paul-Gitarre nun mal gründen mußte.

Das eigentliche Problem war dasselbe, das anderswo und Jahre später den Bandleader Kurt Cobain umtreiben sollte: Um die Flaming Lips herum spielten damals dogmatische Hardcore-Bands, die im Ernst der jungen Bewegung die Spaße keineswegs zulassen konnten, die den Lips auf der Zunge lagen. „Alle wirkten so, zumindest in ihrer Musik, als oh sie furchtbar angepißt wären und alles hassen würden“, schrieb Wayne Coyne im Begleittext zur Frühwerk-Compilation „Finally The Punk, Rockers Are Takjng Acid“. „Zuerst fand ich das irgendwie witzig… aber… bald wirkte es… ein wenig zurückgeblieben, und zwar mit Absicht.“ Die Punks sahen die Flaming Lips jedoch als Geistesbrüder – wahrscheinlich, weil sie nicht mitkriegten, wie die Coynes nach den Konzerten auf dem Parkplatz The Who und die Bee Gees hörten. Andere sagen, die Lips seien nur deshalb eine so gern gesehene Vorgruppe gewesen, weil sie die Einzigen in Oklahoma City waren, die eine Verstärkeranlage besaßen.

„Die frühen Achtziger waren in Oklahoma eine Zeit der Depression“, sagt Wayne Coyne. „Keine Jobs, kein Geld. Viele Leute, die ich kannte, lebten vom Drogenhandel. Also setzten wir auf dem Schwarzmarkt das Gerücht in Umlauf, daß wir eine Anlage suchten, Mikrophone. Mischpult, Boxen, für maximal 400 Dollar. Uns war es völlig klar, daß man uns irgendetwas Geklautes anbieten würde. Soweit ich weiß, wurde es aus einer Country-Bar gestohlen, die versichert war. Außerdem war es ziemlich altes Zeug.“Die Flaming Lips supporteten auch Hüsker Dü, Green On Red, die Minutemen. Kurz bevor Mark Coyne die Band verließ, brachten sie 1985 ihre erste 5-Song-EP heraus, die nach früher UFO-Club-Psychedelia klingt, nach dem Garagen-Rhythm’n’Blues der Sechziger und nach britischem Ratten-Punk, je nach dem, welches Lied man hört.

Wieso im Studio die Toilette überlief und ein Klavier sterben mußte

„At War With The Mystics“ ist im April 2006 das elfte Album der Flaming Lips, das siebte für Warner Brothers, und es klingt nach Progressive Rock vom Berge des Propheten, auf dem Wayne Coyne mit den hohen Tönen kämpft, nach Beatkeller-Orgel-Schmacht, nach bekifftem Post-Woodstock-Kommunen-Irrwitz, nach goldbesohltem Teenager-Rock’n’Roll und afrohaarigem Motown-Funk mit Jeansweste. Wobei es relativ egal ist, welches Lied man hört, weil alles überall durchscheint.

Stilistisch aufgefächert, eklektisch sind heute im Prinzip ja alle Rockbands – bei den Flaming Lips ist es nur leichter nachzuweisen als bei anderen, und auf der neuen „Mystics“-Platte demonstrieren sie berauschend und überdeutlich, wie man pathetische Pop-Formen verschneiden und ihnen dabei das Wichtigtuerische austreiben kann, ohne die Harmonie zu opfern – unter dem Risiko, zu angestrengt clever zu wirken. Stringent komponierte Hit-Songs sind wenige dabei, anders als auf den letzten zwei Meisterwerken „The Soft Bulletin“ und „Yoshimi Battles The Pink Robots“ ist der Soundtrack-Charakter wieder stärker geworden. Genau so, wie Wayne Coyne die Konzerte erklärt: Die tiefere Bedeutung findet man schon, wenn man mag. Sie stört allerdings die Leute nicht, die nur auf den Trip scharf sind.

Und so, wie jedes Album wahrscheinlich sein definierendes Dreh-Moment hat, war es bei „At War With The Mystics“ die an die Flaming Lips herangetragene Bitte, neben Joss Stone, Los Lobos, Rooney und Sum 41 ein Stück für den Queen-Tribute-Sampler „Killer Queen“ aufzunehmen. „Bohemian Rhapsody“. „Wir wollten es zuerst nicht machen“, sagt Coyne, „weil wir uns denken konnten, was für ein unermeßlicher Aufwand es sein würde. Wir haben den Song dann eine Woche lang von allen Seiten angeschaut und gedreht und gewendet. Und es war ein Riesenglück für uns, an einem solchen Beispiel mal zu sehen, wie schrankenlos absurd ein Pop-Stück sein kann! Eines der bestverkauften Lieder aller Zeiten, aber, wenn man es analysiert, ein siebenminütiges Chaos, freaky, unheimlich. ,Bohemian Rhapsody‘ hat uns wirklich einen neuen Weg gezeigt, was Musik und Rhythmus und Albernheit und Songs im allgemeinen anbelangt.“

Trotzdem: Flaming Lips-Sessions laufen heute gesittet und öde ab, höchstens noch mit beschwingt-angeregten Diskussionen und ein bißchen Zähneknirschen und Fäusteballen, wenn sie mit dem uralten Freund und Stamm-Produzenten

Dave Fridmann alle in einem Zimmer sind und kein Parallel-Projekt haben, auf das sie zur Entspannung kurz ausweichen können. „Früher haben wir manchmal die aufwendigsten Aufbauten gemacht“, sagt Wayne Coyne, „und was am Ende dabei herauskam, klang nach gar nichts.“ Wie 1990, beim auch von Dave Fridmann betreuten Album „Hit The Death In The Future Head“, als Mercury Rev-Sänger Jonathan Donahue bei den Flaming Lips Gitarre spielte. „Jonathan hat absichtlich die Toiletten überlaufen lassen, hat zusätzlich alle Wasserhähne aufgedreht. Er wollte tief im Wasser stehen, während er mit beiden Händen seine Gitarre vollsprenkelt. Es sah toll aus, aber man hörte einfach nichts. Es machte Bsss, Bsss, sonst nichts. Die Angst, daß er einen Stromschlag bekommen könnte, war aufregender als das musikalische Experiment.“ Ein Grund, warum sie heute das Nachdenken der Wunderlichkeit vorziehen.

1987, als die noch frischen und albernen Lips ihr zweites Album „Oh My Gawd!!!… The Flaming Lips“ aufnahmen, kauften sie sich für die Sessions in Dallas ein preiswertes Klavier. Es tat ihnen so wenig leid, daß sie am Ende einige Mikrophone aufstellten, das Piano mit Hämmern und Beilen zerteilten und die Geräusche zum Song „Love Yer Brain“ dazumischten. Sie mußten die Spuren mehrfach doppeln, weil auch das Zerhacken eines Klaviers für sich allein nicht genug Krach macht.

Kurz darauf gingen die 80er Jahre überraschend zu Ende, und die Flaming Lips (damals Wayne Coyne, Michael Ivins, Jonathan Donahue und Schlagzeuger Nathan Roberts) waren zwar zu einer musikalisch vergleichsweise feinsinnigen und extraordinären Psych-Pop-Band gewachsen und hatten kaum zimperlich überall in Amerika gespielt, wo man sie haben mochte. Geld, von dem sie auch zwischen den Tourneen leben konnten, hatten sie so allerdings nicht verdient. Die große Legende ist kaum zu durchleuchten, doch angeblich rief die Band gemeinsam bei der Plattenfirma Warner an und verlangte „irgendjemanden von Jane’s Addiction“. Wirklich flog bald ein A&R nach Oklahoma und sah eine Show aus der Feuer-Phase der Band, in der Schlagzeuger Roberts seine Becken in Brand setzte, mehrere Mitglieder beim Draufhauen Funkenflug erzeugten und Michael Ivins‘ immer noch immenses Haar ab und zu Feuer fing. Als das Telefon klingelte und die gute Nachricht kam, glaubte Manager Scott Booker an einen Spaß-Anruf und legte einfach auf.

Warum es ungerecht ist, daß sich kein Mensch Vaseline aufs Frühstücksbrot schmiert

Daß die Firma Warner sich die Band bis heute leistet, wurde oft mit gespieltem Erstaunen diskutiert. Es hat mit dem besagten Hit zu tun, der genau zum richtigen Zeitpunkt kommen sollte, außerdem damit, daß Flaming Lips-Alben im Gesamtvergleich Billig-Produktionen sind, daß die Band viele Konzerte gibt und den Medien extrovertiert begegnet – ein solches Indie-Feigenblatt schmerzt keinen Major. Künstlerisch gesehen kam das wichtigere Ereignis in der Lips-Historie nämlich erst anderthalb Jahre nach dem Deal. Jonathan Donahue und Schlagzeuger Roberts waren gegangen, ihre zwei Nachfolger brachten völlig neue Musik mit, Gitarrist Ronald Jones, ein Virtuose ohne jeden Chaos-Koeffizienten, und vor allem: Steven Drozd, der als Drummer einstieg, sich aber in kürzester Zeit als Meister aller Instrumente erwies. Heute, im Jahr 2006, spielt er auf Flaming Lips-Alben praktisch alles. „Wir haben das bei den letzten Platten gemerkt, die wir mit Hilfe von Computern gemacht haben“, sagt Wayne Coyne. „Mit Computern kriegt man die Musik überraschenderweise so hin, daß sie menschlicher klingt, als wenn sie von echten Musikern gespielt wird. Menschen wollen ja so exakt wie möglich spielen, sie lassen keine Unsauberkeit zu. Man brauchte mindestens einen wie John Coltrane, der sich von solchen Vorstellungen gelöst hat, aber wie oft trifft man so jemanden? Steven ist so einer. Er ist so talentiert, daß man förmlich spürt, wie die Musik aus ihm herausströmt. Manchmal spielen wir alle zusammen, aber öfter ist es Steven allein. Jeder trägt etwas bei, jeder liefert Ideen. Aber Steven bleibt der Musikmeister, das Medium für die Dinge, die wir ausdrücken wollen.“

Erste Frucht wurde im Sommer 1993 das gleißend poppige Album „Transmissions From The Satellite Heart“, mit dem die Band sich als niedlich-schräge Sidekick-Truppe im Alternative-Rock-Boom positionieren konnte. Ein unfreiwilliger, aber sehr willkommener Karriere-Zufallszug. Im August 1994 stieg die Single „She Don’t Use Jelly“ – in deren eindrücklicher erster Strophe Wayne Coyne den Widerspruch geißelt, daß Vaseline zwar zur Lippenpflege, aber nie als Brotaufstrich verwendet wird – in die Billboard-Charts ein, die Band durfte mit den Red Hot Chili Peppers und den Stone Temple Pilots auf Tour gehen. Zusätzlich zum David-Letterman-Guestspot kam das unfaßbare Glück, in einer Konzertszene der mächtigen „Beverly Hills 9O210“-Serie aufzutauchen. „Tori Spelling und die anderen kannten uns natürlich nicht“, erzählt Coyne. „aber wir kannten sie! Wir durften beim ganzen Drehtag dabei sein und miterleben, wie sie jeden Dialog hundertmal wiederholen mußten, weil immer irgendwas falsch war.“ Ausgerechnet in dieser turbulenten, vollfleischigen Zeit waren die Flaming Lips jedoch ohne ihr Wissen dabei, sich auf das „Sgt. Pepper“-Erlebnis zuzubewegen, auf den Knall, mit dem Studio- und Bühnenkunst so radikal auseinanderbrechen sollten, daß viele sie hinterher gar nicht mehr als richtige Band gelten lassen würden. Im Sommer 1996 gaben sie ihr letztes Konzert, bei dem sie zu viert und ohne Playback-Bänder auf der Bühne standen. Gitarrist Ronald Jones verließ die Band, offenbar wegen psychischer Probleme, die keiner genau erklären will. Nach drei eher verborgenen Jahren kam im Sommer 1999 die gewaltige Wiedergeburt. „The Soft Bulletin“.

„Das war der Bruch, die Wende“, sagt Coyne. „Zuerst waren wir eine Rockband, nach demselben Prinzip wie Good Charlotte oder die Strokes, man schreibt Songs und spielt sie und nimmt sie auf. Als wir ‚The Soft Bulletin‘ machten, änderte sich unser Ansatz. Obwohl wir zwar immer noch wie die Flaming Lips aussehen, haben wir heute eine ganz andere Herangehensweise an unsere Platten. Mehr wie HipHop-Produzenten, die Sounds kreieren. Es ist nicht mehr so wichtig, ob man Schlagzeuger oder Gitarrist ist, man zerstört einen Teil seines Egos und baut einen anderen auf. Wahrscheinlich ist das der Punkt, an dem der Bart ins Spiel kommt. Wir wurden die Produzenten. Wir begannen, Anzüge und Barte zu tragen. Genau.“

Was man von Gwen Stefam nicht über das Leben lernt

Ein Phänomen, alles andere als typisch für Rockbands, erst recht nicht für psychedelisch angehauchte, ist bei den Flaming Lips in einem seltsamen Extrem zu beobachten: Wortreichtum.

Es fängt an bei frühen Songtiteln wie „One Million Billionth Of A Millisecond On A Sunday Morning“, „Talkin‘ ‚Bout The Smiling Deathporn Immortality Blues (Everyone Wants To Live Forever)“ und „Guy Who Got A Headache And Accidentally Saves The World“, es erstreckt sich durch die ausführlichen Interviews und Kommentare, die alle Bandmitglieder mitteilungsbedürftig geben, und mündet in Wayne Coynes fast schon exhibitionistische Bereitschaft, alle seine Songs zu erklären, die Gedanken, Träume, Fabeln und Geschichten darzulegen – die zugegeben meistens so geistreich sind, daß man versteht, warum er sie den Leuten lieber aufdrängt, als falsch oder gar nicht interpretiert zu werden.

„The Sound Of Failure“ zum Beispiel, eines der besten Stücke von „At War With The Mystics“: Im Lied muß ein Mädchen den Tod seiner besten Freundin verkraften und will deshalb die aufdringlich sorglose Musik von Britney Spears und Gwen Stefani nicht mehr hören. „Es geht darum, daß in dieser Musik genau die Dinge ausgelassen werden, die einen als Mensch wirklich weiterbringen könnten. Diese Fröhlichkeit, der alles egal zu sein scheint… Obwohl doch gerade die Enttäuschungen und Widrigkeiten des Lebens uns helfen, zu wachsen, mehr über das Leben zu erfahren – wir wollen es doch verstehen, wollen alle Seiten kennenlernen, und wenn wir jemanden treffen, dessen Vater stirbt, wollen wir doch nicht sagen: ,Tja, viel Glück damit, man sieht sich dann!‘ Das gehört auch in die Musik. Ich sage den Leuten: Ich weiß, daß deine Eltern sterben werden. Ich weiß, daß du sterben wirst. Du kannst es dir nicht aussuchen!“

„Life without death is just impossible“, sang Coyne schon im zarten, ebenso aufrechten wie wehmütigen Wolkenmarsch „Feeling Yourself Disintegrate“ auf „The Soft Bulletin“. Das war kein Spruch – kurz davor war sein Vater nach langer Krankheit gestorben, und es ist nicht das einzige Stück der Platte, dem man anmerkt, daß der Songtexter in einem der sensibelsten Momente seines Leben stand. „Race For The Prize“ erzählt von zwei Wissenschaftlern, die die Menschheit vor einer tödlichen Krankheit retten wollen und dafür am Ende selbst ihr Leben opfern, „What Is The Light?“ spielt mit der Annahme, daß die Ausschüttungen in den Gehirnen verliebter Menschen dieselbe chemische Formel haben, die zum Urknall und der Geburt des Alls geführt hat. „Suddenly Everything Has Changed“ handelt davon, wie auch banale Situationen wie Wäschewaschen oder Einkaufen das Leben radikal ändern können, wenn man dabei von irgendeiner existentiellen Erkenntnis überrascht wird.

Abgesehen davon, daß „The Soft Bulletin“ 1999 mit seiner Klangmacht und Feierlichkeit, seinen Adlerflügel-Melodien, seinem Weltraumhall und sanft-schweren Orchesterleuchten die bisher magischste Musik der Flaming Lips war, hatten Texte und Gesang plötzlich einen lebensweisen, humanistischen, bei aller Todesfixierung strahlend optimistischen Zug bekommen. Gigantisch mutierte Käfer, die Städte auffressen, würde es hier nie mehr geben. Das Irre war aus der Musik hinausverlagert worden, in die Konzepte hinein.

„Ich will auf keinen Fall ein Bob-Dylan-Typ sein“, sagt Coyne, „so in der Art: Jetzt versteht ihr mich, also verändere ich mich komplett, damit ihr immer verwirrt bleibt und mein Rätsel erraten müßt. Ich finde es ganz großartig, wenn das Publikum ganz auf meiner Seite ist und nachvollzieht, was ich singe und daß ich immer auf der Seite des Optimismus stehe. Und daß ich mich trotzdem weiterbewegen kann, ohne komplett mißverstanden zu werden.“

Wie die Band in ihrer Extrovertiertheit mit den besonders heiklen Themen umging, konnte den Betrachter aber auch verunsichern statt trösten.

Vor allem die Szene in der Lips-Dokumentation „The Fearless Freaks“, für die sich Steven Drozd vom langjährigen Kamera-Begleiter Bradley Beesley detailliert dabei filmen ließ, wie er sich einen Heroinschuß setzt – Drozd war sechs Jahre lang abhängig, machte in dieser Zeit allerdings voll funktionstüchtig seine beste Musik. Vor vier Jahren zog er zum Entzug nach New York, seither gilt er als rückfallslos geheilt.

Warum riesige Blubberblasen kein reines Spielzeug sind

Ist Wayne Coyne denn ein Weltverbesserer-Typ wie Bono und Bob Geldof? Irgendwie ja, weil in seinem flammenden Blick das Sendungsbewußtsein flattert, weil er sich von Ironie und Zynismus mit einer Entschiedenheit distanziert, die den coolen Drogenbaron schon wieder etwas uncool macht. Bono, Geldof? Irgendwie doch nicht, denn heute stehen die Flaming Lips lustigerweise noch immer in dem Konflikt, den sie einst mit den politischen Hardcore-Bands hatten: Während die einen die Welt da draußen verändern wollen, geht es den anderen um die Welt da drinnen. Doktor Freud würde im Flaming Lips-Konzert kleine Tänze aufführen vor Freude-Tiere, gigantische runde Blasen, nackte weibliche Brüste, Blut, Verletzungen. In der Post-„Soft Bulletin“-Bühnenshow und in den Videos setzt die Band alles ein, was Unterbewußtsein, Schlüsselreiz-Portfolio und Kindheitstraumata freiwillig hergeben. Nur die anale Phase ignorieren sie, wohl aus rein praktischen Gründen,

Mittlerweile werden vor den Shows auch Zuschauer dazu eingeladen, als Hasen im Konzert mitzuspielen. Coyne zieht sich falsche Schaumstoff-Hände an, läßt Froschpuppen singen, bläst riesige, mit Konfetti gefüllte Ballons auf. Da die Band die komplexen neuen Stücke unmöglich ganz live hinkriegt, laufen Playback-Spuren, Coyne spritzt sich Kunstblut auf die Stirn (seit er ein Foto des im weißen Anzug äußerst schick blutenden Miles Davis gesehen hat) und macht später den großen Space-Bubble-Gang durch die Menge, den Peter Gabriel sich nur auf der Bühne getraut hat.

„Wir feiern das alles, wir übertreiben es auch. Wir wollen das Leben wie Kinder genießen und trotzdem wie Erwachsene sein. Deshalb behandeln wir auch die schlimmsten Dinge des Lebens. Und die besten. Es ist Entertainment, aber Entertainment ist wunderbar, es ist eine transzendentale Erfahrung. Es kann dem Leben ändern.“

Die Flaming Lips haben 2003 den Grammy bekommen („Best Rock Instrumental“, für das unscheinbare Schlußstück der „Toshimi“-Platte), waren als Backing-Band von Beck auf Tour, was ihnen die nächstgrößere Fan-Schicht erschlossen hat. Sie haben in Glastonbury die unpäßlichen White Stripes vertreten, in rot-weißen Anzügen, sie spielen auf Jam-Band-Festivals und eigens veranstalteten psychedelischen Kreuzfahrten. Um Himmels Willen, gibt es denn überhaupt noch irgendjemanden, der diese unerträglich nette Band aktiv haßt?

„Ja“, sagt Coyne. „Wenn einer Radiohead mag, so richtig mag, dann wird er bei uns Dinge entdecken, die ihm zu… klamaukig sind. Allein, weil ich auf der Bühne rumhüpfe. Thom Yorke wird ganz leise verrückt, ich bepisse mich dabei.“ Und weil der Sänger mit schon heisergeredeter Stimme mitten im Drive ist, legt er ein letztes, ein allerletztes Mal sein Selbstverständnis dar: „Ich wünsche mir, daß die Leute in mir den ehrgeizigen Menschen sehen, der für das Gute im Leben steht. Wie ein Kapitän: Schaut, wir sind durchs dunkle Wasser gesegelt, aber wir sagen euch, daß bald die Sonne aufgeht! Ich glaube, ich kann das.“

Dann wachsen Wayne Coyne auf einmal Fühler und zusätzliche Arme, eine UFO-Tür öffnet sich, und er schwebt mit mächtigem Stevie-Wonder-Falsett-Gesanggen Himmel. Okay, war ein Witz.

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