To Live Is To Die

Ein Film widmet sich dem traurigen Leben von Townes van Zandt

Warum er denn immer so traurige Lieder schreibe, fragt ein Journalist. Die meisten seiner Songs seien nicht traurig, aber viele seien hoffnungslos, antwortet Townes van Zandt. Was aus dem Munde vieler anderer Künstler vielleicht wie ein kokettes Bonmot klingen würde, ist in dieser Szene aus Margaret Browns am 11. Dezember in deutschen Kinos anlaufender Dokumentation „Be Here In The Morning. A Film About Townes van Zandt“ nur ein weiterer Pixel im Bild vom Songpoeten von der traurigen Gestalt.

Gut möglich, daß dies die deprimierendsten 100 Minuten sind, die je in einem Lichtspielhaus von der Leinwand flackerten. Eine freudlosere Musikdokumentation ist schwer denkbar.

Vor allem, wenn man noch die strahlenden Bilder von Martin Scorseses vor wenigen Wochen erschienener Dylan-Dokumentation „No Direction Home“ im Kopf hat, in der der Protagonist aus jedem Konflikt als Sieger der Geschichte hervorgeht und sich – im Sinne einer modernen Fortschrittsgläubigkeit – immer weiter entwickelt.

In „Be Here To Love Me“ kann von einer „Entwicklung“ (im positiven Sinn) nicht die Rede sein. Es wird erzählt vom ungeliebten Problemkind, vom jungen Mann, der sich rückwärts aus dem vierten Stock fallen läßt, nur um – wie ein Kleinkind, das auf die sprichwörtliche Herdplatte faßt – zu sehen, wie sich das anfühlt, den man daraufhin zu einer Elektroschocktherapie zwingt, die all seine Kindheitserinnerungen löscht, und der vor der inneren Leere in die Sucht flieht. Man sieht Townes mit Pulle vor seinem Wohnwagen, Townes vom Heroin gezeichnet, ebenfalls vor seinem Wohnwagen und Townes vom Leben gezeichnet, mit bis an die Achseln hoch gezogener Hose in irgendeinem Wohnzimmer stehend wie eine schief gewachsene Trauerweide nach einem Hurricane. Immer und immer wieder diese Bilder, die genauso hoffnungslos erscheinen wie die Songs, die dazu laufen. „Waiting Around To Die“, das erste ernsthafte Lied, das er schrieb, klingt genauso niederschmetternd wie seine späteren.

Neben Townes‘ Frauen und Kindern, die Erschütterndes zu berichten haben, kommen auch die Freunde und Weggefährten wie Steve Earle und Guy Clark zu Wort. Letztgenannter empfängt die Filmemacherin Brown bereits um elf Uhr morgens mit dem ersten Drink, denn das sei man Townes schuldig. Willie Nelson lobt den Songwriter van Zandt über alle Maßen, auch wenn man – spätestens nach‘ dem man das lächerliche Video Zu seiner mit Merle Haggard aufgenommenen Hit-Version von „Pancho And Lefty“ sieht – daran zweifelt, daß er weiß, wovon er redet.

Zu seiner letzten Session erschien van Zandt im Rollstuhl, erzählt Sonic Youth-Schlagzeuger Steve Shelley, der ein Album mit ihm produzieren wollte. Townes‘ Hüfte war gebrochen, er traute sich nicht zum Arzt zu gehen und betäubte den Schmerz mit Alkohol. An vernünftige Aufnahmen war nicht zu denken. Wenige Wochen später, am i.Januar 1997, starb Townes van Zandt.

„Die gesamte Bewegung des Buchs gleicht einem ungeheuren Kratereinsturz“, schrieb Walter Benjamin über Dostojewskis Roman „Der Idiot“. Und auch „Be Here In The Morning“ könnte man kaum treffender beschreiben.

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