Top-Act oder Traumtänzer?

Bandwettbewerbe sind in Deutschland in Verruf geraten, haben selten gute Künstler hervorgebracht und bringen dem Veranstalter oft mehr als den Teilnehmern. Seit drei Jahren schickt sich die Coca-Cola Soundwave an, die besser zu machen - was bietet sie den Bands wirklich?

Aus Sicht des Künstlers ist ein Bandwettbewerb eine zwiespältige Angelegenheit: Man bekommt gute Auftrittsmöglichkeiten, kann sich einem größeren Publikum präsentieren und obendrein Coachings oder Studioaufenthalte gewinnen – das ist das Positive. Als Gegenleistung dafür liefert man dem Veranstalter Fanbase und Freundeskreis quasi ins Haus und mobilisiert die komplette Web-Community für dessen Interessen – das ist das Grenzwertige. Bei vielen Wettbewerben entscheiden manipulierbare Online-Votings und Applausometer über das Weiterkommen, und bei manchen muss der Künstler dem Veranstalter sogar die Konzertkarten abkaufen, um sie dann an seine Fans weiterzuverscherbeln. Sprich: Wer den größten Abi-Jahrgang hat oder seinen Schützenverein aktiviert, kommt in die nächste Runde – das ist das Schlimme.

Die Damen und Herren bei der Coca-Cola Soundwave Discovery Tour wissen um diese Gefahren und haben sich überlegt: „Wir verfolgen einen gemischten Ansatz. Natürlich möchten wir die Fans mit einbeziehen, doch im Laufe des Wettbewerbs stellt unsere Experten-Jury eine qualitative Auswahl sicher“, erklärt Senior Brand Manager Clemens Piekarz. Der Verlauf der gerade geendeten Soundwave 2008 gestaltet sich so: Aus 2.000 Rammstein und Silbermond. Bewerbern, die jeweils einen Song einschicken, bestimmt die Jury 50 für die nächste Runde. Zu den Experten gehören z. B. Beatsteaks-Manager Eric Landmann, Mo Anayssi (Tourveranstalter von Ich+Ich), Oliver Plöger vom WDR und Torsten Gross vom Rolling Stone. „Im ersten Schritt werden vorrangig die musikalischen Qualitäten und die Eigenständigkeit der Bands betrachtet. Doch die Bands dürfen sich im Laufe des Wettbewerbs entwickeln, und so legen wir später weitere Maßstäbe an: Wie präsentieren sie sich? Welches Image, welches Songrepertoire und welche Live-Stärken können sie aufzeigen?“, sagt Piekarz. Das Wichtigste sei musikalische Eigenständigkeit und ein authentisches Profil. Jedoch: „Heutzutage geht es nicht mehr allein um gute Songs und eine gute Stimme, sondern auch darum, die Möglichkeiten der Selbstvermarktung zu nutzen. Die Fans lechzen nach Informationen und Interaktion. Man muss die Möglichkeiten des Web 2.0 gezielt ausschöpfen.“

Folglich lautet der nächste Schritt für die 50 Erlesenen nach der ersten Aussiebung: Online-Voting auf der MySpace-Seite der Soundwave. Ohne Registrierung, aber eben auch mit uneingeschränktem Stimmrecht – wer einen dressierten Schimpansen mietet, um tagelang Klicks zu generieren, kommt

weiter. „Ab diesem Moment bauen die Bands ihre Fans selbst auf und professionalisieren ihren Web-Auftritt via MySpace, Facebook und so weiter. Das ist heutzutage ein Muss für jede Band“, gibt der Brand Manager zu verstehen.

Danach wird gerockt: Die 24 Bands, die das Online-Voting für sich entschieden haben, werden im April auf eine Konzert-Tour geschickt und spielen als Support von Razorlight, Biffy Clyro, Reamonn und The Kooks. Während dieser Konzerte, bei denen der Eintritt frei ist, bestimmt der Applaus des Publikums, welche zwölf Bands für das umfassende Coaching-Wochenende zugelassen werden. Hierbei werden sie dann in den Bereichen Medienumgang, Performance, Vocal- und Instrumental-Qualitäten, Songwriting, Juristisches und Selbstvermarktung geschult.

Nach dem Coaching geht es zu Rock am Ring: Die zwölf Bands treten gegeneinander an, und die Experten-Jury wählt sechs Gewinner, die auf den großen Sommer-Festivals „Hurricane“, „Melt!“ und „Highfield“ spielen dürfen. Nach jedem dieser Festivals qualifiziert sich eine Band fürs Finale (wieder per Online-Voting), bis die drei Finalisten feststehen. Diese dürfen am Tag der Deutschen Einheit am Brandenburger Tor mit Top-Acts wie Silbermond oder Revolverheld vor rund einer Million Menschen spielen, bevor die Jury den endgültigen Sieger bekannt gibt.

So gestaltet sich die besagte Mischung aus Experten-Jury und Selbstvermarktung während der Soundwave. Über Online-Voting und Applausometer lässt sich streiten, doch angesichts der ausgezeichneten Auftrittsmöglichkeiten und des professionellen Supports erscheint der Nutzen für Coca-Cola dabei durchaus legitim: „Das Produkt Coca-Cola muss man keinem mehr erklären“, sagt Piekarz, „uns geht es darum, das Image der Marke in dieser Zielgruppe zu stärken, indem wir emotionale Erlebnisse mit der Marke bieten.“ Die Größe der Konzerte, die Verbindung mit Top-Acts, die qualifizierte Jury und die sinnvollen Coachings geben ihm Recht.

Am Ende fragt sich: Was bleibt den Bands nach dem Wettbewerb? Ein Satz aus der offiziellen Beschreibung der Coca-Cola Soundwave Discovery Tour trifft es am besten: „Wir bieten den Bands wichtige Schritte zur Professionalität.“ Nachvollziehbar, eingeloggt und für stimmig befunden. Immerhin ist allein der mehrmonatige Wettbewerbsverlauf ein Reifeprozess für die meist „unfertigen“ Teilnehmer, die währenddessen an ihrer Außendarstellung, ihrem Web-Auftritt, ihrer Performance und ihrem Songwriting feilen. Um den ganz großen Durchbruch geht es also gar nicht unbedingt, weshalb die Soundwave auch mit keiner Plattenfirma kooperiert und keine Band vertraglich bindet. „Die Bands gewinnen bei uns eine professionelle Aufnahme eines Songs und eine langfristige Förderung“, fasst Piekarz zusammen, „wir eröffnen ihnen sämtliche Netzwerke, die uns zur Verfügung stehen. Beide Gewinner der ersten Jahre haben auch dieses Jahr wieder vor dem Brandenburger Tor gespielt und stehen nun davor, ihr Debütalbum zu veröffentlichen. Die Gespräche laufen.“

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