Transzendenz von der Müllhalde

Mit „Generation X" schrieb DOUGLAS COUPLAND Geschichte. In seinem neuen Roman sucht er nun in der trivialen Kolportage nach dem tieferen Sinn

Sie war perfekt geschminkt und im Stil der Zeit frisiert“ – steht da bereits im allerersten Absatz. Meint er das wirklich ernst? Diese Phrase, die selbst noch dem Jerry Cotton“-Schreibsklaven einen aufmunternden Schulterklopfer („Wird schon noch!“) vom Bastei-Lübbe-Lektor eingebracht hätte? Ganz offensichtlich, denn Kitsch und Kolportage sind in Couplands gerade aufDeutsch erschienenem Roman „Miss Wyoming“ Methode. „Er langte nach dem Wandtelefbn neben der Toilette und hieb mit der Handfläche auf den Freisprechknopf. Ein Freizeichen durchschnitt die Stille wie ein Rasiermesser.“ Und wie sind wohl die Nächte in diesem Reißer – heiß und feucht? Mitnichten. „Die Nacht war geradezu ungemütlich kühL“ Je nun, wir lassen das jetzt besser. Zumal die Handlungsstruktur der Textoberfläche in nichts nachsteht und ebenfalls mit Pulp-Mustern angereichert wurde. So sind die Lebensläufe seiner beiden Protagonisten Sue Colgate und John Johnson, die Coupland nachgerade kontrapunktisch nebeneinander herfuhrt – sie immer wieder unterbrechend und zwischen den Zeitebenen hin- und herspringend -»so dermaßen plakativ parallel, dass ihnen ja von Rechts wegen gar nichts anders übrig bleibt, als sich am Ende zu kriegen und zusammen in den Sonnenuntergang zu fahren – geritten wird ja leider nicht mehr. „Susans Augen waren so offen und weit wie der kobaltfarbene Himmel über ihnen.“ Jawoll!

Sie ist die titelspendende ehemalige Miss Wyoming, von ihrer ehrgeizigen Mutter schon als Kind zur Laufsteg-Karriere dressiert und, da das allein längst nicht mehr reicht, dann auch bald operiert. Als Teenager-Star einer daily soap wird sie für kurze Zeit berühmt, erweist sich aber als zu untalentiert für die Schauspielerei, bekommt folglich keine seriösen Angebote mehr. Um wenigstens finanziell abgesichert zu sein, heiratet sie kurzerhand einen schwulen Heavy Metal-Star, der eine Green Card und ein lupenreines Hetero-Image braucht. Sie kehrt in die große Öffentlichkeit zurück, fühlt sich als ScheinEhefrau jedoch etwas unausgelastet und flüchtet sich in den Drogenrausch. Man kennt das… Die Erfblgskurve des Schwermetallers neigt sich schließlich, die Zahlungen bleiben aus. Notgedrungen versucht sie ihre Schaupielkarriere wiederzubeleben und stürzt nach einem Vorsprechen mit dem Flugzeug ab, überlebt aber als Einzige. Sie taucht unter, und während die Medien ihr Ableben betrauern, schläft sie auf Parkbänken und wühlt in den Abfallcontainern der McDonalds-Filialen nach lauwarmen Burgern. Schließlich trifft sie auf einen ehemaligen Preisrichter, der sich selbst in die Luft sprengt, nachdem er seinen Zweck erfüllt und ihr ein Kind gemacht hat Sie entbindet im Wohnzimmer eines ihrer Fans und beschließt nun, die Anonymität wieder zu verlassen, noch einmal ganz von vorne anzufangen, das Kind aber vor der Öffentlichkeit zu verbergen.

Jetzt trifft sie John, den erfolgreichen Filmproduzenten, der schließlich nur noch Flops zuwege gebracht, sich dann ebenfalls den Drogen ergeben hat, ebenfalls beinahe gestorben und infolgedessen für ein paar Monate als Hobo durch die Lande gezogen ist, und der nun – denkt nur! – auch nach einem Neuanfang sucht. Und als er ihr dann auch noch hilft, das Kind zu finden, das zwischenzeitlich von der bösen Mutter entführt wird, wendet sich wirklich alles alles zum Guten.

Nun, unter dieser rasanten, an den Haaren herbeigezogenen, sich um Plausibiütät gar nicht erst kümmernden, aber recht spannenden Kolportage steckt doch ein Kunstprinzip. Coupland spiegelt hier in der Handlungsstruktur die trivialen Hollywood-Action-Streifen, mit denen Susan und John ihren Lebensunterhalt verdient haben – und demonstriert damit auch auf der formalen Ebene, was inhaltlich immer wieder unter Beweis gestellt werden soll: nämlich dass sich aus Trash etwas machen läßt, dass wir hier sozusagen das Substrat haben für jegliche Form von Kreativität, in der Kunst wie im Leben. Die Protagonisten ernähren sich eine Wfeile vom Müll und entsteigen ihm phönixgleich; eine der Nebenfiguren, Couplands künsderisches Alter ego, wie er mir bestätigt, baut Skulpturen aus Müll, sogar Johns vermeintlich lebensrettender Fiebertraum im Krankenhaus, in der ihm Susan als eine Art Engel erscheint und ihm zum Weiterleben überredet, ist gewissermaßen Trash-induziert.

Kommt diesen Überresten populärer Kultur, frage ich Coupland, also mitunter sogar so etwas wie eine religiöse oder heilsbringende Funktion zu?

„Da gab es einmal diesen Film, ,A Thing of Beauty* mit Andie MacDowell“, antwortet er, „in dem eine kleine Henry Moore-Skulptur gestohlen wird und schließlich in einem Haufen Müll auf einer englischen Schuttabladestelle landet. Diese Vorstellung hat mich immer begleitet. Wir müssen wirklich immer auf der Hut sein, gerade in den banalsten Momenten, um es nicht zu verpassen, wenn blitzartig Epiphanien und Transzendenz in unser Leben treten.

Himmel und Hölle sind nur einen Atemzug entfernt, sagte Andy Warhol einmal.“

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