U2: Bono und die Teufelskralle

Gelsenkirchen, Veltins-Arena. Es waren gerade die kleinen Risse In der Perfektion, mit denen U2 auf Schalke berührten.

Wer hätte gedacht, dass je eine Kulisse zu groß sein könnte für U2? Die Band, die in den vergangenen Jahren den Stadion-Rock definiert hat wie keine andere, wirkt erschreckend klein unter dieser Teufelskralle, die aussieht wie Will Smiths schlimmster Albtraum. Und der einzige Man in Black hier ist Bono, der zu Beginn erst mal mit seiner eigenen Stimme kämpft. Trotz des lauen Sommerabends ist das Dach der Veltins-Arena ausgefahren worden, um die Bühnenkonstruktion zu beschützen und den Sound möglichst gut zur Geltung zu bringen. Leider ist das eine unnötig, das andere gelingt nicht. „Space Junk“ nennt Bono das metallische Konstrukt, das im Laufe der folgenden zwei Stunden immer mehr blinkt und leuchtet, bis man fast Angst bekommt, dass es die vier winzigen Typen mit ihren Instrumenten gleich verschluckt und nicht wieder ausspuckt. Wo ist das Blitzdingsgerät, das einem hilft, diese missglückte Sci-Fi-Konstrukt zu vergessen, die so gar nicht zu dieser doch so bodenständigen Band passt? Im direkten Vergleich kommt einem sogar „PopMart“ plötzlich wie ein sinnvolles Konzept vor. Da ging es immerhin um Konsumkritik, irgendwie.

„Breathe“ geht im Eröffnungs-Bohei ein wenig unter, bei „No Line On The Horizon“ finden die vier langsam einen gemeinsamen Groove, doch erst mit „Get On Your Boots“ geht die Show richtig los. Die vielzitierten „360 Grad“ erreichen U2 hier nicht, die Kralle steht gar nicht in der Mitte, die Zuschauer hinter der Bühne haben doch Pech gehabt. Kleine Brücken führen zu verschiedenen Plateaus, näher an die Massen heran. Es wirkt wie ein hilfloser Versuch der Verbrüderung. Den U2 gar nicht nötig haben, denn wenn sie sich nur auf ihre Songs konzentrieren, steht die Verbindung sofort.

Für „I Still Haven’t Found What I’m Looking For“ holt The Edge die Akustik-Gitarre raus, und Bono wirft sich in das Stück, als sänge er es nicht schon zum 1000. Mal. Weil sie keine besonders guten Musiker seien, sagte er einmal, müssten sie sich immer besonders anstrengen, um gut zu sein. Und manchmal schaffen sie es dann sogar, großartig zu sein. Das ist keine Koketterie, sondern bei Konzerten immer wieder nachvollziehbar. U2 rollen nie so unbeirrbar durchs Programm wie etwa die E Street Band, sie kämpfen sich manchmal ganz schön durch. Und die kleinen Momente der Interaktion – wenn Larry Mullen und Adam Clayton sich abstimmen, wenn The Edge und Bono kurz konferieren, wies weitergeht – konterkarieren den Gigantismus und machen die Zeremonienmeister wieder zu Menschen. Gerade die Risse in der Perfektion berühren am meisten. „Vertigo“ brechen sie nach der ersten Strophe ab, als Bono merkt, dass das Zusammenspiel nicht mehr zu retten ist, und fangen noch mal von vorne an. Leider versauen sie das wunderbare „I Go Crazy If I Don’t Go Crazy Tonight“ mit einer stumpf wummernden Remix-Version, die jede irische Dorf-Disco begeistert hätte. Gelsenkirchen nur bedingt. Da nutzt es auch nichts, dass sich sogar Larry Mullen mit Conga auf den Weg zum Publikum macht. Alle laufen im Kreis herum, und der Song geht nirgendwo hin.

Die alten Hits sind natürlich Selbstläufer, ob „Sunday Bloody Sunday“, „Pride“ oder das viel zu kurze „MLK“. „Walk On“ widmen U2 wieder Aung San Suu Kyi, ein paar Dutzend Zuschauer dürfen mit Masken der burmesischen Aktivistin auf die Bühne. Plakativ, klar, aber solches Pathos trauen sich eben nur U2. (Nein, Chris Martin zählt nicht, der hat alles hier gelernt.) Und auch wenn man die Brandreden Bonos nicht schätzt: In diesen Augenblicken ist der Sänger ganz bei sich selbst und spielt nicht nur den routinierten Rockstar. Warum er zwischendurch „Rock The Kasbah“ anstimmt, weiß allerdings nur er selbst. Immer wieder streut er in die Songs kleine Versatzstücke anderer Lieder ein, ob „Here Comes The Sun“ oder „Movin‘ On Up“. Nicht immer passen sie problemlos.

Am bewegendsten ist auch an diesem Abend „One“; das anschließende „With Or Without You“ leidet ein wenig an Bonos angekratzter Stimme und seiner Tendenz, die Zeilen jetzt einfach mal ganz anders zu phrasieren. Was bei Bob Dylan längst Gewohnheit ist, stört die Hymnenhaftigkeit U2s gewaltig. Ganz am Ende zeigen sie dann noch einmal, wie es geht – so einfach, so schwer. Ohne irgendwelche Spielereien, ohne blinkende Anzüge oder herumfahrende Brückchen spielen U2 „Moment Of Surrender“. Bono gibt alles, und plötzlich siegt tatsächlich „vision over visibility“. Auf einmal wird die Kralle Nebensache, und der Song steht ganz allein im Fokus. Wer so große Lieder hat und so große Gesten kann, der sollte gar nicht versuchen, die Zuschauer mit Technik-Müll zu beeindrucken.

Danach, auf dem Weg zur Straßenbahn, sieht man plötzlich zwei Helikopter in den Nachthimmel steigen. U2 haben also doch nicht das Raumschiff genommen.

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