Vom Folk zum Folk Rock

Es war nicht zuletzt die Rivalität zwischen Cambridge und New York City, die in den Jahren I960 bis 1964 die begabtesten Sänger, Songwriter und Musiker in den Nordosten der USA lockte. Hier fanden sie Auftrittsmöglichkeiten und Aufmerksamkeit, hier nahm der Folk-Boom seinen Anfang, hier erreichte er seinen Höhepunkt. Dann wurde es lauter.

Für die Medien waren diese Folkies ein gefundenes Fressen. Ein so junges wie buntes Völkchen, offenbar ohne Beschäftigung, massiert anzutreffen auf den gepflegten Rasenflächen um die Harvard University in Cambridge, in den Coffee Shops von Boston oder nächtens im Greenwich Village. Äußeres Erkennungsmerkmal: umgehängte Gitarre, ersatzweise Banjo, ungekämmte Haare, Bart, Cordjacke, Jeans. Die weiblichen Folkies, so berichtete der „Examiner“ im Herbst 1959, trugen ihr langes Haar offen, gingen gern barfuß und verschmähten Make-up. „Weird“, so der Reporter kennerhaft, habe in dieser Szene „nicht unbedingt eine abwertende Bedeutung“, der Folkie an sich sei freundlich und erscheine nur aggressiv, wenn er zur Gitarre greife und einem selbstgeschriebenen Song mimisch Nachdruck verleihe. Immer- „Newsweek“ legte mit einem Report hin, so erfuhren die Leser des konservativen Blattes, handele es sich bei diesen Songs meist um „radical Statements“ zu „political issues“, die zwar legitimen Gebrauch machten vom verfassungsmäßigen Recht auf freie Meinungsäußerung, jedoch durchaus Grund zu Besorgnis böten. Alarmierend sei vor allem, dass diese Szene einen „enormen Zulauf zu verzeichnen habe von „jungen Leuten mit College-Bildung“ und „angehenden Akademikern“.

Eine Beobachtung, die ¿wenige Monate später das „Time“ Magazin bestätigte und mit Statistiken zu unterfüttern wusste. „The U.S. is smack in the middle of a folk-music boom“, verkündete die renommierte Zeitschrift, „young people are speaking their minds.“ Es seien bereits mehr als „50 Professional folk singers“ unterwegs, denen die wachsende Begeisterung für Folk ordentliche Einkommenbeschere. Die Konkurrenz von über ausverkaufte Konzerte „in halls with capacities of from 1000 to 4 000“ nach „easily filled by ardent audiences“. Das „folk music revival“ sei „indeed a major social phenomenon“ heißt es in dem Artikel, erst recht unter dem Aspekt, dass es sich um eine heterogene Szene handele, die anders als die Folk-Bewegung der 50er Jahre keiner politischen Strömung zuzurechnen sei. Was sie verbinde, sei die Auflehnung gegen Anpassungsdruck und die Übereinstimmung in Anti-Haltungen: „antiwar, anti-commercialization, anti-profit motive, anti-mass-culture, anti-conformism, anti-authorities“. Die in den Songs und im Lebensstil der Folkies aufscheinende Sehnsucht nach Authentizität sei eine „rückwärtsgewandte Reaktion“ auf jede Art von Fortschritt und ein Angriff auf den „American way of life“.

Die Folk-Postille „Sing Out!“, nicht gerade ideologiefern und seit 1950 solidarisch an der Seite singender Gesellschaftskritiker wie Pete Seeger, Tom Lehrer oder Theodore Bikel, konterte humorvoll. Mit einem Cartoon, der bourgoise Eltern auf dem heimischen Sofa zeigt, der Vater mit Krawatte, die Mutter mit Dauerwelle und Halskette, vor ihnen stehend die Teenage-Tochter mit trotziger Miene und geballten Fäustchen. „Why should we buy you a guitar“, bellt der Haushaltsvorstand den frustrierten Nachwuchs an, „just so you can sing against our way oflife?“

Gegen etwas ansingen, sei es Armut, schwere Arbeit oder schicksalhaftes Unglück, war bereits ein wesentlicher Impetus jener Folk-Songs, die in mündlicher Überlieferung Jahrzehnte und Jahrhunderte überdauert hatten, im Laufe dieser Zeit variiert wurden und das Fundament jedes Folk-Revivals bilden, entweder in einer tradierten Form oder aktualisiert. Auch die amerikanische Folk-Bewegung der frühen 60er Jahre bediente sich des reichen Fundus vornehmlich englischer, schottischer und irischer Folk-Songs. Joan Baez ließ an der Trauer über „The Death Of Queen Jane“ teilhaben, Judy Collins gab das verlassene Liebchen in „Sailor’s Life“.

Britische Folkloristen hatten das Material mühsam gesammelt und gesichert, ebenso wie später, in den 30er Jahren, Forscher wie Alan Lomax oder Harry Smith in die entlegensten Winkel Amerikas reisten, um Kulturschätze zu bergen, bevor sie unwiederbringlich verloren gingen. Nicht selten im Wettlaut gegen die Zeit, der leider nicht immer gewonnen werden konnte. Am schlimmsten, so Lomax, sei es gewesen.

wenn der gesuchte Künstler verstorben war, kurz bevor ihm sein Tonbandgerät zu Unsterblichkeit verhelfen konnte. Er habe sich dann gefühlt „wie ein Archäologe in Ägypten, der teststellen muss, dass die eben entdeckte Grabkammer bereits geplündert worden war“.

Die wenigsten der jungen Folk-Amateure, die sich auf dem Harvard Square oder dem Washington Square Stelldicheins gaben und diese Songs tauschten, wussten um die Geschichte ihrer Herkunft oder gar ihrer Wiederentdeckung. Sie kannten sie von Reissue-LPs wie Smiths „Anthology OfAmerican Folk Music“, hatten sich die Griffe selbst beigebracht und spielten nun Fiddle-Tunes auf ihrem Banjo, stimmten die Gitarre wie Bukka White oder bedienten sich der Phrasierung von Blind Lemon Jefferson. Mit soviel Hingabe und Fleiß indes, dass es um den Harvard Square nur so wimmelte von „bluegrass virtuosi, balladeers, blues guitarists and ragtime experts“, wie sich Joe Boyd, selbst damals in Harvard immatrikuliert und fasziniert vom gelehrigen Treiben, nicht ohne Sarkasmus erinnert. Worauf Smith und Lomax insgeheim hofften, als sie das musikalische Erbe Amerikas für die Nachwelt katalogisierten und konservierten, wurde tatsächlich wahr.

Die nachwachsende Generation von Folkies interessierte sich nicht nur für den Nachlass ihrer Väter, die Songs von Woody Guthrie etwa, sondern fand Gefallen und zog Gewinn aus vorzeitlich anmutendem, archaischem Material. Eric Von Schmidt, der sich einen durchaus eigenen, lyrischen Folk-Blues erspielt hatte, halbwegs zwischen der lakonischen Melodik John Hurts und Blind Willie Johnsons religiöser Inbrunst, galt bald als Respektsperson, obwohl er nicht viel älter war als seine zahlreichen Bewunderer. Von Schmidt hatte ein Problem damit, seinen eigenen Songs den Folk-Stempel aufzudrücken. Für ihn wie auch für seinen New Yorker Gegenpol, den kommunistisch gesinnten Folie- und Blues-Barden Dave Van Ronk, war Folk tradierte Musik. Sie sahen sich entweder als Interpreten oder als „singer-songwriters who write and sing in the folk and blues idiom“. Eine Differenzierung, die verstanden wurde, jedoch ob ihrer Sperrigkeit kaum Schule machte. Man war Folk-Sänger und schrieb Folk-Songs, schon der Einfachheit halber. Und lachte trotzdem pflichtbewusst über die humorige Standard-Ansage, auf die kaum ein Kollege verzichten mochte: „Here’s a folk song I wrote last week“.

Cambridge war cool und überschaubar, Boston cooler, weil urbaner. Im Club 47 in der Mount Auburn Street spielte alles, was Rangund Namen hatte im Folk Circuit New Englands. Mehr noch: Wer dort auftrat, hatte damit Rang und Namen. Was es genau war, das Massachusetts in Sachen Folk-Bnsanz so überlegen machte, zeitweise sogar New York City in den Schatten stellend, ist umstritten. Harvard, klar. Doch gab es überall Universitäten mit riesigen Reservoirs an kreativen Kräften und potenziellen Hörern.

Das geistige Klima in Amerikas Nordosten, so argumentiert Von Schmidt, sei für liberale, im Zweifel linke Kultur bekömmlicher als das in anderen Landesteilen. Van Ronk führt die geografische Nähe au New York an, von der nicht wenige Pendler profitiert hätten, er selbst eingeschlossen. Joe Boyd nennt das Newport-Festival als Kristallisationspunkt, im besonderen das erste im Jahre 1959. „The spark that lit up the local scene was Joan Baez’s barefoot appearance“, schreibt er in seinem Buch „White Bicycles“, „she brought the house down, triggering a boom in guitars, long hair and black turtlenecks.“

Queen Joan of Cambridge erwies sich als benevolente Herrscherin, im Glanz ihres Ruhmes sonnten sich viele. Nicht immer die Talentiertesten, doch schien die Szene Raum für alle zu bieten, die dem Versprechen der Medien Glauben schenkten, hier könne man sich mit Folk-Music schneller einen Namen machen als sogar in New York. Tom Rush beispielsweise hatte es vorgemacht, war weiter südlich aufgetreten, in Philadelphia und New York, schaffte den Durchbruch dann aber in Cambridge. Wobei ihm zwei Umstände sehr zupass kamen: Er war Harvard-Student und die Mädchen flogen auf ihn.

Einige waren nur auf der Durchreise wie Richard Farina, der Joan Baez jüngere Schwester ehelichen sollte, oder Jack Elliott, dessen Lebensmittelpunkt jahrelang England gewesen war. Andere sattelten um, wechselten das Fach im Angesicht paradiesischer Zustände. Bob Neuwirth, bildender Künstler aus Akron, war zum Studium gekommen und griff zunächst nur zur Gitarre, um sich nebenbei etwas zu verdienen, bevor er sich unversehens in einer der In-Crowds wiederfand, die nicht nur musikalisch den Ton angaben. Geoff Muldaur, eigentlich Gegner der Vorstellung, Weiße könnten Blues singen oder dürften sich überhaupt an ihm vergreifen, mutierte zum Blues-Sänger. AI Wilson, den sie später „Blind Owl“ nennen sollten, reifte zum Connoisseur und Produzenten, dem sich gastierende Blues-Meister wie Bukka White, Skip James und Robert Pete Williams anvertrauten. „Natürlich hatten alle Labels längst ihre Scouts vor Ort“, so John Sebastian, der sich seine ersten Jugband-Sporen in Boston verdiente, bevor er mit The Lovin‘ Spoonful auf Hit-Kurs ging, „es war eben der Ort, wo alles zuerst passierte. Man hatte das unbedingte Gefühl, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein.“

Dasselbe Gefühl kannte man freilich auch in New York. Die Rivalität zwischen den Folk-Hochburgen nahm bisweilen skurrile Züge an. „Ich mochte dieses elitäre Gehabe nicht, das so mancher an den Tag legte, der die heiligen Hallen von Harvard durchschritten hatte“, redete Dave Van Ronk nicht um den heißen Brei, „wer in Manhattan lebt, ist nicht empfänglich für derlei Attitüden.“ Joe Boyd, der Van Ronk als Künstler wenig schätzt und ihm unterstellt, den Blues als politische Einstellung zu kultivieren „rather than for the beauty of the form“, bestätigt das Gefälle. „The inter-city rivalry“, räumt Boyd freimütig ein, habe wenig zu tun gehabt mit grundlegenden Differenzen in weltanschaulichen oder ästhetischen Fragen, sehr viel aber mit Arroganz auf beiden Seiten. „Der bloße Umstand, dass das Phänomen Dylan seinen Anfang in New York genommen hatte, ließ in uns Zweifel aufkommen. Bloß noch so ein politischer Songschreiber, dachten wir. Seine erste LP bestätigte unseren Verdacht: Seine eigenen Songs waren kaum nennenswert und seine Versionen traditioneller Songs unoriginell. If this was the best New York could come up with, our smug superiority was secure.“

Natürlich ließ sich Boyds Sicht auf das „Phänomen Dylan“ nicht lange aufrecht erhalten in Anbetracht der sich überschlagenden Ereignisse. Spätestens im Jahr darauf, 1963, mit der Veröffentlichung von „TV Freewheelin‘ Bob Dylan“, machte manch anfängliche Skepsis der notfalls nüchternen Erkenntnis Platz, dass hier ein Ausnahmetalent heranreifte. Allerspätestens, als ihndie Queen erhörte. „By the spring of 1964, Dylan and Baes had become folk’s royal couple“, so Boyd salbungsvoll, „uniting the rival New York and Boston camps with their musical energy while becoming sexually potent icons of populär culture.“

Auch die meisten anderen Dylan-Kntiker knickten irgendwann ein, aus unterschiedlichen Gründen. Dave Van Ronk, von dem Dylan manchen Trick abgeschaut und ganze Arrangements übernommen hatte, gab sich später versöhnlich. „Bob war ein Dieb, aber wer war das nicht in diesem Alter? Wir haben versucht, ihn für alles mögliche einzuspannen, aber er ließ es nicht zu. Und am Ende behielt er recht, ignorierte die Regeln, die wir für uns aufgestellt hatten. Und er tat das, ohne zu triumphieren. Dafür immerhin hat er meinen Respekt.“

Im übrigen sei es absurd, ausgerechnet auf dem Gebiet des Folk, der doch von Tradierung lebe, wechselseitige Inspiration zu ächten. Eric Von Schmidt sah das ähnlich. Er konnte sich indes ohnehin nicht beschweren, so charmant bedankte sich Dylan bei ihm im Intro von „Baby, Let Me Follow You Down“. Nicht irgendwo sei er „Ric“ begegnet, nein, „in the green pastures of Harvard University“.

Ein paar Kollegen, die sich despektierlich über Dylan geäußert oder offene Dispute mit ihm ausgetragen hatten, sind inzwischen tot. Richard Farina, der Dylan aus nächster Nähe erlebt hatte, starb 1966, ohne sein enormes Potenzial als Songwriter und Schriftsteller auch nur annähernd ausgeschöpft zu haben. Sein Roman „Been Down So Long It Looks Like Up To Me“ wird noch periodisch aufgelegt und sei zur Lektüre dringend empfohlen. Seine Musik indes ist leider weitgehend in Vergessenheit geraten, im Falle des Albums „Did Farina & Eric Von Schmidt“ von 1964 nicht weiter tragisch, auch wenn darauf ein gewisser Blind Boy Grünt zu hören ist, der bürgerlich Robert Allen Zimmerman heißt, gebürtig aus Duluth, Minnesota. Äußerst hörenswert dagegen sind die

beiden LPs, die Farina im Duett mit seiner Frau Mimi 1965 herausbrachte: „Celebrations ForA Grey Day“ und „Reflectiam In A Crystal Wind“. Dick und Bob schätzten einander, mochten sich nicht, teilten aber vorübergehend eine Behausung. Erschwerend kam hinzu, dass die Ladies, mit denen sie verbandelt waren, beide auf den Nachnamen Baez hörten, und dass Bob dabei war, sein Ende der Bande auf eine Art zu lösen, diejoan nicht mitbekam, Mimi jedoch schon und Dick dadurch erst recht. Die Worte „Schuft“ und „Frettchen“ sollen zu den harmloseren gehört haben, die das kurze Zusammenleben beendeten. In einem Zeitungsartikel titeis „Baez ii Dylan: A Generation Singing Out“, den Farina im August 1964 publizierte, hatte sich das noch ungleich harmonischer angelassen. Halb deskriptiv, halb analytisch, zieht Farina eine ganze Reihe, zum Teil weit hergeholte Parallelen, von denen die mit James Dean eine so ahnungsvolle wie makabre Dimension bekommt, bedenkt man, dass Farina wenig später bei einem Motorradunfall ums Leben kam, und dass Dylan demselben Schicksal nur um Haaresbreite entging. „There was an impulsive awareness of his physical perishability*‘, schrieb Farina, „Catch him now, was the idea. Next week he might be mangled on a motorcycle.“

Auf weniger persönlicher als politischer Ebene bewegte sich Dylans Zwist mit Phil Ochs. Das heißt, so weit es Dylan betraf, gab es keinen. Es war Ochs, der sich darauf versteift hatte, Dylan müsse der Welt als Mahner und Moralist erhalten bleiben, noch Jahre nach „Masters Of War“. Ein Missverständnis, unter dem Ochs litt.

Nicht das einzige freilich in einem an tragischen Verwicklungen reichen Leben, das den Texaner ins Folk-Eldorado New York geführt hatte, wo er mit seinem lyrischen Realismus im Geiste Woody Guthries mehr polarisierte, als ihm lieb war. Als sich der frühe Erfolg, unter anderem auch mitjoan Baez-Version seines Songs „There But For Fortune“, in der Post-Protest-Ansicht reproduzieren ließ, trudelte Ochs unaufhaltsam auf den Abgrund zu. Ein Stimmbandschaden, lähmende Schreibblockaden und schizophrene Schübe gaben ihm den Rest. Im April 1976 erhängte er sich.

New York ging nicht gnädig um mit seinen Helden, kümmerte sich aber rührend um Neuankömmlinge, Als Bob Dylan an einem bitterkalten Dienstag im Januar 1961 in New York eintraf, flüchtete er vor dem Schneetreiben in den Untergrund, nahm die Subway runter ins Greenwich Village und stapfte zur MacDougal Street. Im „Cafe Wha?“ war Hootenanny Night, doch war der Schuppen halb leer. Dylan fragte, ob er spielen dürfe, und er durfte. Ein kurzes Set aus Woody Guthrie Songs später hatte er seinen ersten Job. Als Harmonica-Begleiter der arrivierteren Folkies Fred Neil und Mark Spoelstra,

„blowin‘ my lungs out for adollar a day“, wie er sich im flugs geschriebenen „Tal‘ kin‘ New York“ ausdrückt. Bob Dylan liebte New York. Der „struppige, hungrige junge Hund“, so charakterisierte ihn Dave Van Ronk, war nicht lange auf Knochen angewiesen.

„New York was a dream“, schwärmte Dylan noch 1985, „It was a dream of the cosmopolitan riches of the mind.lt was a great place for me to learn and to meet others who were on similar journeys.“ Weitere 20 Jahre später, in Dylans autobiografischen“Chronicles“, liest sich das abgeklärter, leicht relativierend: „America was changing. I had a feelingof destiny and 1 was riding the changes. New York was as good a place as any.“

Tatsächlich offerierte das Village dem lernenden Folkie eine breite Palette von Möglichkeiten zum Auftreten, Abhängen und Anschlussfinden. Gegenüber vom „Cafe Wha?“ lud „The Folklore Center“ zum Verweilen ein. Der Folk-Enthusiast Izzy Young hatte den Laden 1957 aufgemacht, verkaufte Noten, Platten, Instrumente. Ein Dreh- und Angelpunkt der lokalen Szene, wo man ins Gespräch kam und nicht mehr heraus fand. Spider John Koerner, den es auch von der University Of Minnesota nach New York verschlagen hatte, war Dauergast, Ramblin‘ Jack Elliott schaute regelmäßig herein. Im Hinterzimmer, auf Youngs alter Schreibmaschine, schrieb Dylan Ideen für Songs auf, und es war auch Young, der für ihn das erste einigermaßen professionelle Konzert organisierte, am 4.November 1961, in der Carnegie Chapter Hall.

Gleich nebenan befand sich das „Gas-Hght“, ein unterirdischer Club, der früher Beat-Poeten wie Allen Ginsberg oder Gregory Corso eine Bühne geboten hatte, ab i960 aber dem Folk verschrieben war. Die MacDougal runter, Ecke Minetta Lane, ebenfalls im Kellergeschoss, machte das „Fat Black Pussycat“ von außen „nicht eben einen einladenden Eindruck“, wie Van Ronk sich erinnerte, entpuppte sich innen jedoch als „geräumig und nicht ungemütlich“. Als Dylan zum ersten Mal hier aufgetreten war, kurz nach seiner Ankunft in New York, hatte das Etablissement noch den Namen „The Commons“ getragen, im April 1962 wurde es zur historischen Stätte.

David Blue, selbst seinerzeit rasch aufgehender Stern am Folk-Himmel, erzählte: „Wir saßen im ,Black Fat Pussycat‘ und tranken Kaffee. Dylan begann, etwas auf einen Zettel zu kritzeln, reichte mir seine Gitarre und bat mich, bestimmte Akkorde anzuschlagen,

während er den Text dazu schrieb. Als er damit fertig war, gingen wir rüber ins ,Folk City‘ und Bob spielte das Lied Gil Turner vor. Der fand es ganz fantastisch und sang es gleich für das anwesende Publikum, während Bob wie unbeteiligt von der Bar aus zuschaute. Der Song war ,Blowin In The Wind‘.“

Gemeint war „Gerde’s Folk City“ in der 4th Street, positively, allabendlich Schaufenster für zahllose hoffnungsvolle Folkies, von Judy Gollins über Phil Ochs bis zu Eric Andersen, dem Romantiker aus Pittsburgh, der erst 1964 in New York aufschlug, sich aber schnell einen Namen machte. Die Sonntagnachmittagewaren freilich reserviert. Dam fand man sich am Sprin: brunnen des Parks am Washington Square zum Hootenanny ein, wie beinahe jede Woche seit Ende des 2.Weltkriegs.

Dave Van Ronk liebte die Folk-Jams unter freiem Himmel, „weil dort niemand nach Plattenverkäufen beurteilt wurde, der Umgang untereinander war ein egalitärer, kollegialer, ohne Gift und Neid. Und kostete keinen Eintritt“. „Washington Square war ein Ort, wo man Leute treffen und kennenlernen konnte“, assistierte Bob Dylan, der diese Gelegenheit gern nutzte, „it was like a world of music. Bongo drums, conga drums, Saxophone players, Xylophone players of all nations and nationalities, poets who would rant and rave from the statues. It was all happening.“

Das New-England-Pendant zu den Stelldicheins am Washington Square waren die Hootenannys im Club 47, die bisweilen in Bluegrass-Hoedowns mündeten oder in kollektive Jugband-Marathons. Die Jim Kweskin Jugband hatte sich zur Attraktion gemausert mit ihrer eigenwillig-infektiösen Adaption von Ragtime-Rhythmen. Zum Line-up gehörten unter anderem Banjo-Picker Bill Keith und am Mikro Geoff Muldaur und Maria DAmato, die bereits ein Paar waren, „an item“ in der Szene-Lingo, aber noch nicht verheiratet. Natürlich fehlten auch die zwei üblichsten Verdächtigen nicht, die Musiker und Insider Jim Roonev und Eric Von Schmidt, deren Ende der 70er Jahre erschienenes Buch „Baby, Let Me Follow You Down“ über ihre Erlebnisse in Cambridge nicht nur mit einer Fülle von Informationen aufwartet, sondern auch mit großartigen Fotos und Illustrationen. Joan Baez hatte sich etwas rar gemacht, stiftete aber als gefeierter Star jedes Jahr ein Konzert, das niemand missen mochte. Die Statik des Folk-Kontinuums, so schien es, war eine stabile, weil gewachsene, und jedenfalls nicht zu erschüttern. Eine Täuschung, denn das musikalische Beben mit den Epizentren London und Liverpool, dessen Auswirkungen Amerika als „British Invasion“ erlebte, pflügte 1964 nicht nur im Pop-Business alles unter, was nicht britisch war oder doch wenigstens britischen Anstrich hatte. Auch der Folk-Sektor war betroffen, und das gründlicher, als es viele Folkies wahrhaben wollten. Bob Dylan hatte die Revolution vor Ort in England auf sich wirken lassen, traf die Beatles, die Stones, die Animals. Vor allem, was letztere mit „House Of The Rising Sun“ angestellt hatten, einem Song, den er selbst nachgesungen hatte, brachte ihn aus der Fassung. „You oughta hear what’s goin‘ on over there“, riet erFreunden, „it’s fuckin’wild! Blew my mind!“

„Dylan knew electricity was definitely the direction“, so Eric Von Schmidt, „and he was going with that flow.“ Paul Simon auch, allerdings ohne es zu wissen. Folk-Songwriter Simon lebte in London, als ihn im April 1965 die Nachricht erreichte, dass „The Sounds Of Silcnce“. ein Song, den er mit Partner Art Garfunkel aufgenommen und innerlich bereits ad acta gelegt hatte, die US-Single-Charts hinaufstürmte. In einer Version, die Simon nie gehört hatte, nachträglich im Studio elektrifiziert vom Columbia-Produzenten Tom Wilson. Eine Initiative, die durchschlagenden Erfolg brachte und Schule machte. Im Juni wurde Dylans „Mr. Tambourine Man“ zum Hit, unwiderstehlich harmonisch im Jangle-Gewand der Byrds; im August legte Dylan selbst nach, mit „Like A Rolling Stone“. Dem Folk-Rock gehörte nun die Zukunft, Folk war ein alter Hut. Bis zum nächsten Revival.

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