Vom Herzensbrecher zum Goldjungen: Als neuer Prinz in der Alternative-Country-Nische wurde RYAN ADAMS bejubelt, als Ende 2000 sein erstes Solo-Album erschien.

Mittlerweile gilt der 27-Jahrige sogar in der Tagespresse als Zukunft des Rock'n'Roll. Im Interview spricht er als unbändig Kreativer, besessen von den Mythen des Rock.

Als kurz vor 13 Uhr das Feuerzeug flackert, entspannt sich das Gesicht von Ryan Adams. Besser: das, was zwischen Sonnenbrille, Schal und schwarzer Mütze von Ryan Adams‘ Gesicht übrig ist. „Meine erste Zigarette seit zwei Tagen“, sagt er, der Kettenraucher, und klatscht nach hinten ins Polster, I’m not gonna inhale, though.“ Obwohl dies nur die typische Rock’n’Roller-Erkältung ist, die man sich nach 16 Stunden transatlantischem Flug schnell holt. Dazu kommen die Schmerzen aus der gebrochenen Hand, die er im „Los Angeles House of Blues“ in eine Tür geklemmt hat und danach – wie unvernünftig – beim großen London-Konzert zum Gitarrespielen benutzt hat.

Wie er sich im Hamburger Hotel auf einen minimalen Sofa-Fleck kauert und die störenden Vogelscheuchenbeine (natürlich in Jeans) auf den Teetisch stützt, möchte man ihm am liebsten sofort eine heiße Ochsenschwanzsuppe bringen vor lauter Mitleid. Weil es richtig Spaß macht, auf Ryan Adams und seinen Charme hereinzufallen: Er kann wunderschön leiden, als Erkältungsopfer für die Kamera, als vom Glück vollständig Verlassener auf seiner ersten Solo-Platte „Heartbreaker“ im Jahr 2000, auf dem zweiten Album „Gold“ als Reisender, der Abschiedsschmerz, Ungewissheit des Unterwegsseins und Melancholie des Neuanfangs ständig präsent zu haben scheint Alles gleichzeitig.

Ryan Adams ist 27. Mit 27 hat sich Kurt Cobain erschossen, Gram Parsons starb zwei Wochen vor seinem 27. Geburtstag, und der unbeliebte Vergleich zeigt zumindest, dass der Mann aus North Carolina in Wahrheit ein resistenter Charakter ist. Keiner, der schnell verglüht. Mit 15 brach er die Schule ab, spielte im Küstenkaff Jacksonville Schlagzeug bei der Punkband Patty Duke Syndrome, wurde mit 17 professionell („real touring, in, like, vans and stuff) und arbeitet mit seiner momentanen Begleitgruppe The Sweetheart Revolution noch härter als bisher: Langsam wird alles größer.

Fühlt es sich komisch an, auf einer solchen Interview-Reise plötzlich wieder ganz allein unterwegs zu sein?

Nein. Außerdem ist das gut für die Band. Wir spielen sehr lange Konzerte, manchmal zweieinhalb Stunden, meistens dreieinhalb Stunden, jeden Abend. Wenn man das zehn Wochen am Stück macht, ist man körperlich am Ende. Die Band kann nach Hause fahren und sich ausschlafen, ich komme dann zum Beispiel nach Deutschland.

Dreieinhalb Stunden, wie die Grateful Dead und Bruce Springsteen.

Die mag ich beide sehr. Ich finde es grundsätzlich gut, wenn Konzerte lang dauern. Wir müssen das schon deshalb machen, weil wir so viele Lieder haben. Kann auch sein, dass wir schon nach einer Stunde den Spannungsbogen so hoch gezogen haben, wie er unserer Ansicht nach bei einem Rock-Konzert sein sollte, dann machen wir auch früher Schluss. Aber manchmal ist es besser, einfach weiterzuspielen. Und wenn was zurückkommt aus dem Publikum, will ich das auch auskosten.

Weiß deine Band immer genau, was du vorhast? Hast du je Schwierigkeiten, ihnen zu erklären, was du willst?

Nein, nie. Das meiste machen die von selbst, verantwortlich fühle ich mich nur für meinen Part, für Gesang, Gitarre oder Klavier. Ich suche mir meine Leute auch so aus, ich nehme nur die, die meiner Einschätzung nach den richtigen Sound und die richtigen vibes haben. Wenn ich den Musikern sagen würde, was sie spielen sollen, könnte ich gleich alles selbst machen und alle Spuren im Studio nacheinander einspielen. Das will ich nicht, das raubt dem Plattenmachen den menschlichen Zug.

Klingt einfacher, als es in der Wirklichkeit oft ist. Wie machst du das im Studio, wo alles schnell und gut funktionieren muss?

Mit ganz wenigen Ausnahmen wurden die Songs auf „Gold“ erst 20 Minuten vor den Aufnahmen geschrieben. Keiner in der Band hatte Zeit, groß darüber nachzudenken, was er spielen würde. Das war wie bei Bob Dylan, als er „Blonde On Blonde“ gemacht hat: Er hat eine Idee gehabt, hat die anderen rausgeschickt, nach einer Stunde wieder reingeholt, ihnen die Akkordfolgen gezeigt und dann zum Produzenten gesagt, er soll die Bandmaschine starten. Was mit der Methode herauskam, ist auf „Gold“ zu hören. Es sind alles first takes.

Auf den Dylan-Platten, die so entstanden sind, kann man ja auch eine Menge Verspieler hören.

Bei uns auch! Hör‘ dir die Platte über Kopfhörer an, da sind haufenweise falsche Noten. Ein paar davon sind von mir. Ziemlich viele sind von Ryan Adams hatte es satt, Frontmann einer Band zu sein. Angeblich hat er aus dem Grund vor knapp drei Jahren die Gruppe Whiskeytown aufgelöst, die schon deshalb als Thesenwerkstatt des Alternative Country gilt, weil sie in der ersten Nummer des „No Depression“-Magazins groß vorgestellt wurde. Andere sagen, die Gemeinschaft in der notorischen Sauftruppe hätte den Drogen und allen resultierenden Problemen nicht mehr standgehalten. Und manche glauben (was nicht so weit hergeholt klingt), dass Ryan Adams es eigentlich nur satt hatte, einer Band vorzustehen, die zu viele Kompromisse und Diskussionen von ihm verlangte.

Der Rest der Geschichte wurde zuletzt so oft erzählt, dass es ganz kurz geht: Umzug nach New brk, der großen Liebe entgegen, Ende der Liebe, Stadtflucht zurück nach Jacksonville, dann Nashville und das „Heartbreaker“-Album, in gut zwei Wochen komponiert und aufgenommen, mit wichtigen Freunden wie Gillian Welch und Emmylou Harris. Umzug nach New York, dann Los Angeles, wieder der Liebe entgegen, die dieses Mal schon Winona Ryder hieß. Wenn in L. A. die Sonne untergeht, sagt Adams, sehen die Straßen und Häuser wie Gold aus – die zweite Platte. Winona Ryder hatte längst einen Neuen, jetzt wohnt Ryan Adams wieder in New York, wenn er nicht dienstlich oder privat in, sagen wir, Detroit oder Chicago ist. Er lässt sich gern auf Betten sitzend oder liegend fotografieren. Aber er ist sicher kein bedsitter.

Viele, die so persönliche Songs schreiben wie du, bleiben lieber allein zu Hause mit ihnen. Du scheinst den Drang zu haben, sie den Leuten draußen vorzusingen.

Manchmal bleibe ich doch auch am liebsten mit der Gitarre daheim. Aber: Ich reise gern, ich liebe meine Band, alles selbstverständlich. Ich mache auch honte recordings, aber richtige Platten sind besser. Ich bin ja Schallplatten-Fan. Ich habe so viele Schallplatten, dass ich auch welche von mir selbst haben will, die ich reinstecken kann in den riesigen Stapel. Das ist, wie wenn man als Schüler in der Bibliothek sitzt und denkt, wie schön es wäre, hier Bücher ins Regal zu stellen, die man selbst geschrieben hat. Damit was zurückbleibt, wenn man irgendwann geht.

Ich arbeite längst an der Nachfolge-Platte zu „Gold“. Naja, ein paar neue Platten sind schon fertig, aber keine davon soll rauskommen, bis ich das echte dritte Solo-Album fertig habe.

Rick Rubin produziert es, wir werden es noch im Frühjahr fertigmachen. Meine Tour-Band spielt, wir klingen sehr tough, wie eine Kreuzung aus den Rolling Stones und X (Country-Punk-Batid der frühen Achtziger aus Los Angeles, Annt. d. Red.). Ich bin sehr, sehr aufgeregt, das wird eine Platte mit zehn Stücken, allerhöchstens zwölf, das soll ein modernes „Sticky Fingers“ werden.

Die elende Frage nach zukünftigen Projekten lässt bei vielen Künstlern das Gespräch endgültig stillstehen, beim eh schon eloquenten Ryan Adams hetzen und überschlagen sich die Vokabeln. In der Unordnung der Gedanken hat trotzdem – wie in den Wühlkisten seiner geliebten Plattenläden – jedes imaginäre Album, jede imaginäre Band einen Namen: Die Akustik-Platte, die er mit Steel-Gitarrist Bück Baxter aufgenommen hat, heißt „The Suicide Handbook“, das tatsächlich von einem Alanis-Morissette-Konzert inspirierte Rock-Album heißt „48 Hours“, die noch vor „Heartbreaker“ geschriebenen Stücke sind „Destroyer“. Mit der englischen Sängerin Beth Orton hat er nach der gemeinsamen Aufnahme einer „Brown Sugar“-Version die „fun pop crazy band“ The Candy Cane Killers gegründet, mit Evan Dando(Ex-Lemonheads), James Dia (Ex-Smashing Pumpkins) und Melissa Auf Der Maur (Ex-Hole) bildet er The Fucking Virgins, über deren stilistische Orientierung Ryan Adams sich offenbar noch unschlüssig ist und die, das gibt er zu, so bald auch nicht zusammen spielen werden, weil keiner Zeit genug hat. Zum großen Teil sind das die sinnlichen Rock’n’Roll-Fantasien eines Besessenen, aber ein Gedanke drängt sich dennoch auf: Adams, dem das Schreiben oft so leicht fallt, dass er für ein Lied nur 20 Minuten braucht, muss seine Energie anders ableitenin so viel gleichzeitig stattfindende Musik, die er mit nur zwei Gitarrenhänden nie wird spielen können.

Und es wäre so einfach, den 27-jährigen Landjungen, als Großkotz abzutun, der zuviel Metropolenluft geschluckt hat, wenn er nicht diese mächtigen Songs hätte. Ryan Adams‘ beste Argumente. „To Be Young (Is To Be Sad, Is To Be High)“ von „Heartbreaker“zum Beispiel, ein himmelstürmender Rockabilly, der am Anfang wie Bob Dylans „Subterranean Homesick Blues“ klingt. Adams singt mit angefiester Blues-Stimme über Schuld und Sühne („Young boy, you done me bad, I went and did ya wrong“) und treibt die Band – in einen Moll-Akkord, einen melancholisch-versöhnlichen Refrain mit Satzgesang: „One day when you’re looking back/ You were young and, man, you were sad!“ Welchen jungen Mann er damit meint?

Den gleichen, der in „Sylvia Plath“ auf „Gold“ von einer weltgewandten, verruchten Frau träumt, die er nur von Fotos aus den fünfziger Jahren kennt. Die lachend auf den Boden ascht, ihn mit Gin abfüllt und ihm beim Nacktschwimmen aus der Ferne zuwinkt. Die würde ihn nur unglücklich machen, selbst dann, wenn er sie überhaupt kriegen könnte, aber das hört man nur am bitter getupften Klavier, den Streichern und am Gesang, der so klingt, als habe Ryan Adams dabei auf dem Bett gelegen und an die Decke gestarrt.

Wie ist „Sylvia Plath“ entstanden? Auch in 20 Minuten?

Für den Song habe ich einen Abend gebraucht. Ich war in Melrose in Kalifornien und bin dort allein in eine Bar gegangen, weil ich mich ein bisschen traurig gefühlt habe. Ich habe den Text auf eine Serviette geschrieben, in einem Schwung. Am nächsten Morgen bin ich aufgewacht, hatte irres Kopfweh und habe dann die Serviette mit dem Text gefunden, gut lesbar und ohne Korrekturen. Später habe ich meinen Freund Richard Causon besucht, er hatte eine wundervolle Klavier-Melodie, die perfekt gepasst hat. Wir haben das Stück gleich aufgenommen, am selben Nachmittag.

„When The Stars Go Blue“ dagegen hast du, wie beschrieben, im Studio komponiert.

Das hat sich aus einer Jam-Session heraus entwickelt, das war wie bei Dylan. Den Songtitel hatte ich allerdings schon länger. Ich habe ein extra Notizbuch nur für gute Songtitel. Meistens habe ich da auch schon so ein Gefühl, worum es in dem Stück gehen wird – in dem Fall ganz klar um Winona. Es ist, wie wenn man einen Witz erfinden will und sich als erstes die Pointe ausdenkt.

Hast du dann auch gleich das Plattencorer-Artwork mit den Songtiteln vor Augen?

So ähnlich. Wie gesagt, ich bin in erster Linie Musik-Fan. Es ist für mich mehr das Gefühl, dass ich etwas beitragen will zum großen Kanon des Rock’n’Roll, als dass ich etwas für mich rausziehen oder auswerten will. Ich mag eine Menge verschiedene Musik, ich mag bestimmte HipHop-Sachen, alten Rock’n’Roll, Klassik, Soundtracks. In meinem aktuellen CD-Koffer sind Low, die Silver Jews, Goldfrapp, Beachwood Sparks, die White Stripes, The Go… ich kann mich gar nicht an alles erinnern, habe erst wieder einen Haufen neue Sachen gekauft. Für mich fühlt es sich sehr gut an, in diesem Business mit drinzuhängen. Ich versuche, das alles nicht zu ernst zu nehmen, aber gleichzeitig will ich, dass meine Musik mindestens so gut ist wie die Sachen, die ich selbst mag. Und wenn sie nicht so gut ist, soll sie wenigstens genauso viel Spaß machen, und es soll spürbar sein, dass ich sie mit einem Sinn für Humor gemacht habe.

Ryan Adams‘ umfassender Sinn für Humor ist an dem Punkt blind, wo Leute im Publikum sich „Summer Of 69“ von ihm wünschen. Ist vorgekommen. „Ich will kein Arschloch sein“, hat er vor kurzem dem „New Musical Express“ geseufzt, „aber seht meine Not: Nur einen Buchstaben entfernt zu sein von einem kanadischen Rock-Idol der achtziger Jahre, das ist kein Spaß!“ Dass Bryan Adams zufallig am selben Tag im selben Hamburger Hotel übernachtet, bringt vor allem das Rezeptionspersonal durcheinander. Imnachträgliehen Rapport der Plattenfirma steht, Ryan habe bei Bryan geklopft und gefragt, ob er im Video zu „Answering Bell“ mitspielen wolle. Negativ. Ein anderer Stadion-Rockstar nahm dankend an, hatte sich wahrscheinlich selbst vorgeschlagen: Für die Kamera wedelte Elton John im Mohnfeld mit dem Zauberstab, der Mann, der noch vor kurzem um Eminems Gunst buhlte und seine letzte Platte Adams widmete-,Jw Ryan Adams, fbr making me want to do better.“ In New York und Toronto hat Elton den neuen Freund sogar auf der Bühne besucht, „Rocket Man“ gehört jetzt zum Zugabenprogramm der Sweetheart Revolution.

Du schließt riete Freundschaften, du bringst Dinge in deinen Texten geschickt auf den Punkt. Hast du soziales Talent?

Nein, ganz im Gegenteil. Ich habe ein paar sehr enge Freunde, nur zwei oder drei, und dazu meine Familie. Ich habe nicht genug Zeit, um viel unter Leute zu kommen. Natürlich lerne ich arbeitsbedingt viele kennen, aber die zählen nicht.

Aber die Inspiration für deine Texte scheint vor allem aus zwischenmenschlichen Enttäuschungen zu kommen. Vor allem aus Liebeskummer.

Nicht unbedingt Liebeskummer, aus Gefühlen allgemein. Die Zeit zwischen den späten Teenager-Jahren und den frühen Zwanzigern ist ja vor allem davon geprägt, dass man herauszubekommen versucht, was es heißt, kein Teenager mehr zu sein und doch noch kein richtiger Erwachsener. Man muss viel ausprobieren und aus seinen Fehlern lernen. Zum Beispiel, wenn man lernt, anderen ein guter Freund zu sein. Alle müssen dieses Auf und Ab durchstehen – der einzige Unterschied ist vielleicht, dass die meisten Menschen davon höchstens im Tagebuch schreiben oder es Freunden am Telefon erzählen. Ich habe diese Ventile nicht. Mein Ventil ist das Songwriting. Die Songs dokumentieren, was bei mir falsch läuft und wie ich im Leben vorankomme.

Du bist mit 27 immer noch in diesem Übergangszustand?

Ja, wie alle Menschen. Wir sind wie ein paar Milliarden Satelliten, die um dieses eine wichtige Ding kreisen, das wir nicht erkennen können. Und anstatt einfach so durch den Raum zu sausen, versuche ich, mir das bewusst zu machen und es aufzuschreiben. Die vergänglichen Dinge unvergänglich zu machen, auch wenn das jetzt übertrieben klingt. Sogar die traurigsten Lieder der Welt machen mich sehr glücklich, einfach weil sie ganz offen sagen, dass man ein verletzlicher, empfindlicher Mensch ist. Weil sie das zugeben. Eigentlich erzählen wir doch alle immer wieder die gleiche Geschichte, immer und immer wieder. Ein Shakespeare-Stück, der Prometheus-Mythos, alle suchen doch nur nach neuen Varianten, um die gleiche Geschichte zu erzählen. Und ich bin einer, der ein paar neue Schlagworte dafür erfindet.

Ein Autogrammjäger hat es bis zur richtigen Tür geschafft. Dem immer noch schwer Schniefenden erzählt der junge Mann, die Platte „Heartbreaker“ habe sein Leben gerettet. „Lustig“, sagt Ryan Adams, während er die viel zu kleinen CD-Cover unterschreibt, „mich hätte sie fast umgebracht“

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