Vor dem Frühstück – Roger Hodgson von Supertramp spricht über „Crime Of The Century“
1973 standen Supertramp vor der Auflösung. Ein Jahr später veröffentlichten sie "Crime Of The Century" und wurden eine der größten Bands der Welt - das Album beschallte mehr Schulfeten als fast jedes andere. Hodgson geht nun noch einmal auf Tour - und erzählt von damals.
Die beiden ersten Alben von Supertramp gehören zu den wenigen Alben einer berühmten Band, die niemals wiederentdeckt wurden. Es gibt keine Schmuck-Editionen mit Outtakes und Live-Aufnahmen von ihnen. Wahrscheinlich gibt es nicht einmal Outtakes. Und auch keine Live-Versionen. „Supertramp“ und „Indelibly Stamped“ erschienen 1970 und 1971 und hätten die Geschichte von Supertramp beinahe beendet. Sie hatten in Belgien gespielt und in Norwegen, an Universitäten und in Gemeindehäusern, und sie hatten eine Tournee mit Ten Years After unternommen. Dann verließ der Schlagzeuger die Band, danach der Gitarrist. Roger Hodgson, der Keyboards spielte, übernahm auch die Gitarre. Der Bassist ging. Und im Frühjahr 1973 verließ der Saxophonist Dave Winthrop, der bei Konzerten vorn gestanden hatte, die Ruine Supertramp. Es war einsam geworden um Rick Davies und Roger Hodgson.
Der war 22, hatte einen Plattenvertrag, und er hatte eine Band ohne Musiker, die nach einem Roman von W. H. Davies benannt war: „The Autiobiography Of A Supertramp“ von 1908. Er handelt von einem Hobo, der durch England und die USA reist – „Supertramp“ beschreibt also beinahe Supertramp, die bald auch durch Amerika reisten – nicht als Hobos, aber ziemlich abenteuerlich. Dass sie überhaupt eine Tournee unternehmen konnten, lag an dem Album, das sie 1974 produzierten: „Crime Of The Century“.
„Wenn ‚Crime‘ kein Erfolg geworden wäre, hätten wir uns vielleicht tatsächlich aufgelöst“, erinnert sich Roger Hodgson im Gespräch mit ROLLING STONE. „Wir hatten ja schon vorher daran gedacht, weil wir vier Jahre lang herumkrebsten und kaum vorankamen. Mein erster Hit war dann ‚Dreamer‘, und sehr bezeichnend, weil ich ja wirklich so viele Träume hatte – und viele davon wurden auch noch wahr.“ Hodgson sagt „mein erster Hit“, denn er hat „Dreamer“ geschrieben. Auch sein Partner Rick Davies schrieb Songs, aber von Hodgson stammen „School“, „The Logical Song“, „Give A Little Bit“, „Breakfast In America“ und „It’s Raining Again“, also die Stücke, die einem einfallen, wenn man an Supertramp denkt.
Hodgson verließ die Band 1983, nach dem Album „…Famous Last Words…“, während Davies Supertramp weiterführte. Beide waren nie mehr so erfolgreich, wie sie es gemeinsam gewesen waren. Heute reklamiert Hodgson, der in Nordkalifornien lebt, die Songs für sich, die Davies noch immer mit Supertramp spielt. „Damals war es ein freundlicher Wettbewerb. Jeder gab sein Bestes, und dann fochten wir aus, was aufs Album kam. Ich bin sehr, sehr stur – ich bekomme meistens meinen Willen. Manchmal war es hart, weil Rick und ich unterschiedliche Philosophien hatten: Ich musste um meine Songs kämpfen, weil er sie manchmal nicht mochte oder nicht verstand.“ Rick Davies schrieb die ironischen, die satirischen Lieder. Hodgson schrieb die romantischen, die erinnerungssatten. Davies, sechs Jahre älter als Hodgson, hatte zunächst Schlagzeug gespielt, wechselte aber zum Klavier. Mit verschiedenen Bands, darunter The Joints, war er gescheitert, als er 1969 Hodgson kennenlernte. Und Hodgson hatte die Melodien.
Als Roger Hodgson zwölf Jahre alt war, trennten sich seine Eltern. Der Vater gab ihm eine Gitarre als Abschiedsgeschenk, und bald schrieb Roger – inspiriert von den Beatles – die ersten Songs. „Mein Vater wurde mein bester Freund“, sagt Hodgson. Der schüchterne Junge besuchte die Stowe School, ein strenges, renommiertes Internat im Südosten Englands, und blieb ein introvertierter Außenseiter. Er war der Typ, der für die Musik zuständig war. „Wie die meisten Jugendlichen habe ich zwar viel gelernt an der Schule, sie aber verwirrt verlassen. Ich hatte keine Ahnung, wer ich bin. Noch heute krankt das Schulsystem daran, dass es den Kindern nicht vermittelt, was der Sinn des Lebens ist. Mir hat diese Ahnungslosigkeit aber auch Auftrieb gegeben – ‚Hide In Your Shell‘ hätte ich sonst nicht geschrieben. Ich war ein junger Mann mit vielen Fragen.“
Mit 19 Jahren spielte er im Studio mit der Band Argosy, die von dem jungen Reginald Dwight geleitet wurde, der bald als Elton John berühmt wurde. Mit Rick Davies und der ersten Besetzung von Supertramp bekam er einen Plattenvertrag bei dem Label A&M, doch die Alben hinterließen so wenig Eindruck, dass sie nicht einmal verrissen wurden. Im Frühjahr 1973 wollten sie aufgeben – Hodgson plante, ganz im Zeichen der Zeit, eine Reise nach Indien. Nach einem langen Disput beschlossen Davies und Hodgson, es noch einmal zu versuchen. Hodgson hatte „School“ und „Dreamer“ geschrieben, Davies trug „Bloody Well Right“ bei.
Sie hatten einen neuen Bassisten, Dougie Thomson, der die geschäftlichen Angelegenheiten übernehmen sollte. „Als Erstes gab mir Roger eine Tüte mit Quittungen“, erinnert sich Thomson. Der amerikanische Schlagzeuger Bob Siebenberg kam hinzu, der mit Bees Make Honey etwa so erfolglos wie Supertramp gewesen war. „Ich hatte noch nie von ihnen gehört. Sie waren ganz gut, aber ich wusste nicht, ob das irgendwohin führt.“ Bei Proben in London hörte Siebenberg dann „School“ und „Bloody Well Right“ – aber es waren „Normal Day“ und „Asylum“, die ihn überzeugten. Siebenberg war dabei.
Der fünfte Musiker war John Anthony Helliwell, ein Jazz-Saxofonist, der sich von „From Now On“ überzeugen ließ, einem Stück, das erst 1977, auf „Even In The Quietest Momenst…“, erschien. „Sie experimentierten und änderten Sachen so lange, bis sie richtig schienen. Und ich fand die Gegensätzlichkeit von Rick und Roger interessant.“ Dave Margereson, Künstlerbetreuer bei A&M, schickte die Band aufs Land – nach Southcombe in Somerset, wo ein Farmhaus gemietet wurde. Als Produzent verpflichteten sie Ken Scott, der am „Weißen Album“ der Beatles und an „A Saucerful Of Secrets“ von Pink Floyd gearbeitet und zuletzt David Bowies „Ziggy Stardust“ eingerichtet hatte. Scott hielt die Demos für unausgegoren, aber nach einem Konzert änderte er seine Meinung radikal: „Sie sind unglaublich!“ Im Februar 1974 begannen die Arbeiten an „Crime Of The Century“.