Warum ist das Musikstück „4’33“ von John Cage so berühmt?

Wohl zum ersten Mal in der Geschichte der modernen Musik wurde für ein Einzelwerk das Verhalten des Publikums wichtiger als das, was auf der Bühne passiert. Eine kollektive Meditation über die Stille, die gewaltigen Einfluss auf die Popkultur ausübte.

Neue Musik, so nennt man eine Disziplin der zeitgenössischen Musikkompositionen, die oft innovative, experimentelle und avantgardistische Ansätze in Bezug auf Klang, Struktur und Instrumentierung verfolgt und auch in die Aufführungspraxis überführt.

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Einer der bedeutendsten Vertreter der Neuen Musik, die auch darauf abzielt, die Grenzen der traditionellen musikalischen Konventionen zu erweitern und neue kreative Ausdrucksmöglichkeiten zu erforschen, ist der amerikanische Komponist und Konzeptkünstler John Cage (1912-1992). Viele, die noch nie etwas von ihm gehört haben, kennen das revolutionäre Stück „4’33“.

Das kontrovers aufgenommene Werk wurde 1952 komponiert und besteht aus drei Sätzen, die insgesamt 4 Minuten und 33 Sekunden dauern, daher der Titel „4’33““ (oder „Four minutes and thirty-three seconds“). Das Besondere an dem Stück ist, dass während der gesamten Aufführungsdauer keine konventionelle musikalische Klänge erzeugt werden.

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Räuspern und Rascheln

Das heißt, dass Musiker auf der Bühne Platz nehmen und ihre Instrumente vorbereiten, aber während der gesamten Aufführungsdauer keine Töne spielen. Stattdessen werden die Umgebungslautstärke und die Geräusche, die während der Aufführung auftreten, als Teil des Stücks betrachtet.

Ziel ist es, dass das Publikum genau auf diese Geräusche achtet, also auf das Räuspern von Zuschauern, das Rascheln von Programmen, das Summen von Lichtern oder sogar Geräusche, die nicht einmal aus dem Saal herrühren.

Und wozu diese Art von Anti-Musik? John Cage wollte mit „4’33“ die Aufmerksamkeit auf die Idee lenken, dass Stille selbst dann, wenn sie bewusst wahrgenommen wird, immer noch Klang ist. Er verdeutlichte damit, dass es (für den Menschen) keine absolute Stille gibt, und selbst in einer scheinbar ruhigen Umgebung immer noch Geräusche vorhanden sind. Das Stück soll also die Zuhörer dazu anregen, ihre Vorstellung von Musik und Stille zu hinterfragen und zu überdenken. Anders ausgedrückt und vereinfacht gesagt: Alles ist Musik!

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Wie man sich vorstellen kann, hat „4’33“ gerade zu seiner Entstehungszeit in den 50er-Jahren nicht nur Bewunderung hervorgerufen. Viele Musikkritiker bezeichneten Cage – der sich zu einer der Schlüsselfiguren der Happening-Bewegung aufschwang – als enfant terrible, das die Tradition und Erwartungen der klassischen Musik bewusst hintertreibe, um damit einen subversiven Effekt zu erzielen (der freilich, so die Argumentation, im Sinne der Ästhetik verpufft).

Dennoch fanden sich über die Jahrzehnte immer mehr Bewunderer für Cages Arbeit, der vor seinem Durchbruch beim großen Publikum mit „4’33“ bereits mit den so genannten Imaginary Landscapes Aufmerksamkeit erregte und vor seinem Tod einen Film über die Beziehung von Licht und Musik drehte („One“). „4’33“ gilt als Schlüsselwerk experimenteller Musik, das auch die Populärkultur und andere Künste tief beeinflusste. Die elektronische Musik der 70er Jahre und auch Krautrock ist vielleicht ohne Cage so gar nicht denkbar.

Brian Eno und John Cage, 1985

Das Stück wird in einigen Filmen thematisiert, etwa im John-Hughes-Kultklassiker „Ferris macht blau“. 2019 erschien ein Boxset, für das Bands wie Depeche Mode und Einstürzende Neubauten ihre Version des Stücks imaginierten. Aber auch zahlreiche andere, oft ungewöhnlich anmutende Cover existieren. Zugegeben, es ist manchmal schwierig, solche Interpretationen nicht als Parodie zu begreifen, aber die unbedingte Kopplung von Ton und Bild, die im Grunde gestört wird, zeigt auch auf, wie sehr die Produktion von Musik eben auch verbunden damit ist, wie wir sie auf der Bühne oder in Videos erleben – und dass dies eben immer auch eine Inszenierung von Klang ist.

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Michael Putland Getty Images
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