Warum sind New Order noch nicht in der Rock & Roll Hall of Fame?

Die Tür stand weit offen für die Hall-Wähler, mit New Order endlich eine der innovativsten Bands aller Zeiten zu würdigen. Was ist also passiert?

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Die Hall of Fame wird uns wieder auseinanderreißen. Die Rock & Roll Hall of Fame hat ihre neuen Mitglieder bekannt gegeben. Und dabei verraten, dass New Order dieses Jahr abgelehnt wurde. Die Hall nominierte Joy Division und New Order als eine Band. Was bedeutete, dass die Hall-Wähler die Chance hatten, mit einer Stimme zwei legendäre Bands zu bekommen. Sowohl Joy Division als auch New Order sind als einzelne Einheiten lächerlich überqualifiziert für die Hall of Fame. Sie sind zwei der einflussreichsten Bands der letzten 50 Jahre. Aber sie kommen nicht einmal zusammen rein? Wie konnte das passieren?

Einfluss auf Post-Punk, Synth-Pop und Dance-Musik: Die Bedeutung der Bands

Was die Geschichte angeht, ist dies einer der größten Fehler, den die Hall je gemacht hat. Die Pioniere des Art-Punk-Goth-Disco der Achtzigerjahre sind seit 20 Jahren nicht in die Hall aufgenommen worden. Obwohl sie seit dem Geburtsjahr von Olivia Rodrigo dafür in Frage kommen und trotz ihres enormen Einflusses auf Post-Punk, Synth-Pop und Dance-Musik. Einer der besten Songs von New Order ist „Confusion“. Einer der besten Songs von Joy Division ist „Disorder“. Und genau das scheint hier der Fall zu sein. Wie Ian Curtis zu singen pflegte: Where will it ennnnd? Where will it ennnnd?

Warum die Ablehnung für Fans und Kritiker ein Schock ist

Joy Division/New Order wurden 2023 nominiert und schafften es auch damals nicht in die Endauswahl. Diesmal ist die Überraschung jedoch noch größer. Weil sie auf der diesjährigen, ausgesprochen schwachen Kandidatenliste wie ein sicherer Kandidat aussahen. Diese Woche werden Sie garantiert das Cover des Albums „Unknown Pleasures“ auf einem T-Shirt sehen. Bei Chubby Checker wird das leider nicht der Fall sein.

Historische Bedeutung von Joy Division und New Order für die Musiklandschaft

Wie The Smiths, die Pixies oder The Replacements sind sie eine ikonische Band der Achtziger, die heute noch einflussreicher und beliebter ist als damals. Das nenne ich kulturelle Beständigkeit. Aber was die Hall of Fame angeht, liegen diese Bands alle unter der Chubby-Linie. Jahrelang haben die Hall-Wähler den Achtzigern die Tür verschlossen, insbesondere der britischen New Wave der Achtziger, die schon immer zu ihren am wenigsten geliebten Genres gehörte.

Aber 2019 gaben sie nach, als The Cure aufgenommen wurden und das beste Aufnahmeinterview aller Zeiten gaben. (Frage: „Sind Sie genauso aufgeregt wie ich?“ Robert Smith: „So wie es sich anhört, nein.“) Depeche Mode kam im nächsten Jahr. Gefolgt von den Eurythmics und Duran Duran. Damit stand den Hall-Wählern die Tür weit offen, um endlich auch New Order aufzunehmen. Zu früh, wie ich finde. War ihr Timing so schlecht?

Joy Division: Dystopischer Sound aus dem Norden Englands

New Order waren die ultimative Band der Achtziger. Vier unsoziale Kids, die aus den Trümmern des Punkrock auferstanden, sich an Electro-Beats versuchten und dann zufällig zu weltweiten Innovatoren der Tanzfläche wurden. Hätten sie nach dem Tod ihres ursprünglichen Frontmanns Ian Curtis 1980 aufgehört, wären sie noch immer als Joy Division in Erinnerung geblieben, für „Love Will Tear Us Apart“.

New Order: Vom Schock nach Ian Curtis‘ Tod zum weltweiten Durchbruch

Hätten sie nach der Single „Temptation“ von 1982 aufgehört, wären sie für die emotionalste 9-minütige New-Wave-Synth-Disco-12-Zoll-Single aller Zeiten in Erinnerung geblieben. Hätten sie sich nach „Low-Life“ und „Brotherhood“ 1986 getrennt, wären sie als die innovativsten Electro-Vampir-Goth-Twit-O.G.s der Achtzigerjahre in Erinnerung geblieben. Aber nichts scheint New Order aufhalten zu können. Eine bis heute phänomenale Live-Band. Seit Peter Hook ausgestiegen ist – dazu kommen wir noch –, sind sie sogar zwei phänomenale Live-Bands.

Der Einfluss von „Unknown Pleasures“, „Blue Monday“ und weiteren Klassikern

Joy Division kam Ende der 1970er Jahre aus der industriellen Zwischenzone von Manchester im Norden Englands und fand einen dystopischen Sound für die trostlose Urbanität ihrer Umgebung. Mit der düsteren Größe ihres Debüts „Unknown Pleasures“ schockierten sie die Welt – vor allem sich selbst. Der gequälte Poet Ian Curtis verwandelte seine Albträume in Schreie aus tiefstem Herzen, von „Disorder“ über „New Dawn Fades“ bis hin zu „She’s Lost Control“. Dazu kommt das klassische Albumcover, das vom Rolling Stone zum besten aller Zeiten gekürt wurde. Ein eindringliches Bild eines Pulsars, einsam im Weltraum, 978 Lichtjahre entfernt.

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Ihr Sound wurde seitdem unzählige Male kopiert. Bernard Sumners stakkatoartige Gitarre, Stephen Morris‘ roboterhaft zuckende Drums und das Leitinstrument, Peter Hooks elastischer Bass. „Love Will Tear Us Apart“ war 1980 ihr großer Hit in Großbritannien – tragischerweise jedoch ein posthumer Erfolg. Ian Curtis beging in der Nacht vor ihrer ersten US-Tournee in Manchester Suizid. Die Band hinterließ Klassiker wie „Dead Souls“, „Atmosphere“ und „Transmission“, in dem Curtis wie nach Erlösung schreiend „Dance dance dance dance dance to the radio“ singt.

Wie New Order sich ihr Ziel suchten

Seine Bandkollegen hätten aufgeben können. Doch sie hielten zusammen. Nannten sich New Order. Holten Morris‘ Freundin Gillian Gilbert als Keyboarderin dazu. Und fingen von vorne an, wobei sie sich weigerten, Joy-Division-Songs zu spielen. Keiner von ihnen konnte singen. Also blieb Sumner auf dieser Aufgabe sitzen. Unter Schock vom Verlust ihres Freundes begannen sie, mit primitiven Synthesizern und Drumcomputern herumzuexperimentieren. Doch irgendwie wurden ihre albernen Experimente zu weltweiten Clubhits wie „Blue Monday“, „True Faith“ und dem ewigen Dancefloor-Füller „Bizarre Love Triangle“. Je größer sie wurden, desto seltsamer wurden sie. „The Perfect Kiss“ ist pure nächtliche Club-Verzweiflung. Sumner spricht für Generationen einsamer Kids, wenn er singt: „Tonight I should have stayed at home/Playing with my pleasure zone.“

Selbst ihre Katastrophen sind legendär. Sie gründeten den Hacienda Club in Manchester, ein berühmtes Fiasko der Acid-House-Ära. (Hooks urkomisches Buch darüber trägt den Titel „How Not to Run a Club“.) Mit dem Designer Peter Saville veröffentlichten sie 1983 „Blue Monday“. In einer 12-Zoll-Verpackung, die so teuer war, dass sie mit jedem verkauften Exemplar Geld verloren. Aber natürlich wurde sie zur meistverkauften 12-Zoll-Platte der Geschichte und beeinflusst seitdem die Dance-Musik. Ich habe mindestens eine Freundin, die ihr Leben der Tatsache verdankt, dass ihre Eltern sich auf einer Tanzfläche in Miami kennenlernten, als „Blue Monday“ im Club gespielt wurde. Aber in gewisser Weise sind wir alle Kinder von „Blue Monday“.

„Up, down, turn around, please don’t let me hit the ground!“

Meine Lieblingsplatte von New Order wird immer die EP „Factus 1981-1982“ bleiben. Eine halbstündige Groove-Fahrt mit postpunkigen Gitarrenriffs, Synthie-Whooshes und drängenden Drums, auf der fünf ihrer besten Songs zu finden sind. Sie haben nie ihren ursprünglichen 9-minütigen „Temptation“ übertroffen, ihre Disco-Hymne auf soziale Ängste mit dem Refrain „Up, down, turn around, please don’t let me hit the ground!“. Genau bei 5:36 gibt es einen atemberaubenden Moment, in dem Hookys Bass eine Oktave höher springt und ein paar hyper-emotionale Schläge spielt, direkt nachdem Barney schreit: „I’ll always try to break the circle that’s been placed around me.“ Der brüderliche Ruf und Antwort ist so bewegend. Besonders von zwei Männern, die sich bekanntermaßen hassten. Der Moment dauert nur ein paar Sekunden. Aber wenn man ihn einmal gehört hat, bleibt er für immer in der Seele.

Ihr bestes Album ist „Brotherhood“ mit den offenherzigen Songs „Weirdo“ und „Broken Promise“. Dann kommen „Power, Corruption, and Lies“ (vor allem Seite 2), „Low-Life“ (vor allem Seite 1), „Technique“ (vor allem „All the Way“), „Movement“ (vor allem „Chosen Time“) und „Waiting for the Siren’s Call“. In den Neunzigern ritten sie auf einer Post-Ibiza-Acid-House-Club-Welle, die ohne sie nicht möglich gewesen wäre. Ihre gesamte Karriere ist voller Momente, die einen Platz in der Hall of Fame verdienen. Der kratzige Gitarrenbreak, der in der Mitte von „Age of Consent“ explodiert. Die verspielte Mundharmonika in „Love Vigilantes“. Die funkelnden Synthesizerklänge von Gillian Gilbert in „Thieves Like Us“. Der gewaltige Höhepunkt von „Disorder“, in dem Ian Curtis „feeling feeling feeee-liiiing“ schreit, während Stephen Morris mit drei gigantischen Beckenschlägen den Schlusspunkt setzt.

Bernard sang schreckliche Zeilen und brillante Zeilen

Okay, die Texte. Ich hatte gehofft, du würdest das nicht ansprechen. Da hast du mich erwischt. Ich kann nicht bestreiten, dass New Order wegen Texten wie „I would like a place I can call my own/Have a conversation on the telephone“ in die Hall of Fame gehören. Bernard sang schreckliche Zeilen und brillante Zeilen. Oft in ein und demselben Song. Aber ein Teil seines jungenhaften Charmes besteht darin, dass er den Unterschied nie erkennen konnte. „I feel so low, I feel so humble, sometimes in life we take a tumble“. Wenn man diese Worte jemals in ein Mikrofon singen würde, würde man nicht nur die Kassette löschen. Sondern auch das Studio anzünden und alle Zeugen hinrichten.

Aber New Order schwelgte in solchen Dingen. Es wurde Teil ihrer Mystik. Der ‚Hat er das wirklich gesagt?‘-Faktor hört nie auf. „Every time I see you falling, I get down on my knees and pray“ ist ein genialer Refrain; ‚Oh, God, Johnny, please don’t point that gun at me‘ ist ein furchtbarer. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass es irgendjemanden in der Band interessiert hätte.

Konflikte innerhalb von New Order: Wie Bandstreitigkeiten eine Aufnahme erschweren könnten

Sollten sie jemals gemeinsam in die Hall of Fame aufgenommen werden, wird es auf der Bühne zu einem Drama der Extraklasse kommen. Hook und die anderen drei sprechen seit Jahren nicht mehr miteinander.

Der Bruch zwischen Peter Hook und den anderen Bandmitgliedern

Als er ging, gründete er seine eigene Band, um diese Songs zu spielen: The Light. Sumner und Hook schrieben beide Memoiren, in denen sie detailliert beschreiben, warum sie sich gegenseitig verachten. Als sie das erste Mal nominiert wurden, meinte Hook: „Vielleicht ist das der Olivenzweig, den wir brauchen.“ Aber dafür braucht es wohl mehr als einen Olivenzweig. Wahrscheinlich ein Wunder. Trotzdem hoffen wir, dass es eines Tages doch noch dazu kommt. Vielleicht spielen sie dann „No Love Lost“.

Anhaltende Probleme der Rock & Roll Hall of Fame mit der Musik der Achtziger

Joy Division/New Order sind definitiv eine der größten Versäumnisse der Rock & Roll Hall of Fame. Aber sie sind nicht die Einzigen. Die Wähler haben seit langem Angst vor dem „Anderen“ der Achtzigerjahre. Besonders wenn es um Synthesizer, große Frisuren oder britische Akzente geht.

Die Vernachlässigung der britischen New Wave

Und vergessen Sie die Neunziger, deren größte Rockstars meist noch nicht einmal nominiert wurden. Eine Ära, die die Hall verzweifelt zu vermeiden versucht, obwohl sie in Bezug auf kulturellen und kommerziellen Einfluss den Höhepunkt für Rockkünstler darstellt.

Warum Künstler der Achtziger und Neunziger oft übergangen werden

Für die Wähler der Hall of Fame ist jeder Rock nach 1980 immer noch schlechte Gesellschaft, und die Hall of Fame hat keine Lust auf Liebe. Die Hall of Fame wird so lange wie möglich nach mittelmäßigen Künstlern aus den Sechzigern und Siebzigern suchen, und warum auch nicht? Jeder liebt es, sich über die Hall of Fame zu beschweren. Dafür ist sie schließlich da. (Luther Vandross? Nie nominiert! Im Ernst! Fiona Apple? Ditto!)

Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Wähler das unausweichliche Vermächtnis von Joy Division/New Order erkennen. Wirklich, die gesamte Geschichte der Popmusik ist in ihrer Entwicklung enthalten. Sie sind die Band, die sich aus den Trümmern der Siebziger herausgekämpft hat. Und schließlich die Achtziger erfunden hat.

Rob Sheffield schreibt für den ROLLING STONE USA. Hier geht es zum US-Profil