Was ist Punk? Läßt sich das Phänomen überhaupt definieren? Die ALBUM COVER ART dokumentiert immanente Widersprüche

Vor 20 Jahren war alles Punk. Damals wurden in den Plattenläden so ziemlich alle neuen Bands unter diesem Begriff einsortiert, die irgendwie anders tönten – Mink De-Ville, Tom Petty und die Flamin‘ Groovies ebenso wie Bauhaus, Ultravox und Talking Heads. Auf dem ersten großen Punk-Festival in Deutschland traten so unterschiedliche Bands wie PVC, Kiev Stingl, S.Y.P.H. oder Hinterberges Wut auf, die nur eines gemeinsam hatten: Sie kannten zufällig den Veranstalter.

Und die Geräusche, die damals in Berlin, Düsseldorf, Hamburg und Hannover, den vier pulsierenden Zentren der heimischen Punk-Bewegung, auf Platten gepreßt wurden, klangen so verschieden wie Kraftwerk und Pur. Einig waren sich alle nur in einem Punkt: „Ohne Jane, Eloy oder Scorpions in die 80er Jahre!“

Es war eine aufregende, wilde, schnellebige Zeit, als Punk nach Deutschland kam. Kaum ein Monat verging, in dem nicht ein neues Label oder eine neue Band gegründet wurden – oder ein Cover-Artwork erschien, das neue Maßstäbe setzte. Denn der Punk trat auch den Designern gehörig in den Arsch und machte Schluß mit diesem Fantasy-Scheiß und der ganzen Hippie-Ästhetik. Schnörkel, verpißt euch! Keiner vermißt euch! Die Kunst wurde wieder in den Alltag integriert und bediente sich seines Instrumentariums: Aus den Schlagzeilen der Tagespresse schnitten die Sex Pistols Buchstaben unterschiedlichster Typographie aus und montierten so ihren Bandnamen nach der Art von Erpresserbriefen. The Saints griffen zur Sprühdose und sprayten ihren Namen einfach an eine Mauer. Statt sich von einem Grafiker den Schriftzug entwerfen zu lassen, wie das bis dahin Usus war, nibbelten die Electric Chairs ihren einfach aus einem Letrasetbogen. Und Crass benutzten für ihre Plattencover Schablonen, mit denen normalerweise Kisten beschriftet werden.

An diese kurze, allerdings kreativste Phase des Punk knüpft nun Burkhardt Seiler – besser unter dem Namen seines Labels „Der Zensor“ bekannt – mit einem Bildband an, der den Anspruch erhebt, die wichtigsten Cover dieser Ära zusammenzustellen. So sind denn hier Blondie ebenso vertreten wie Devo, Patti Smith und James White & The Contortions; Sham 69 fehlen ebensowenig wie The Jam, Suidde oder die Modern Lovers. Weshalb aber wurden Pub-Rocker Mickey Jupp, die Ska-Boys von The Specials oder die Krautrock-Avantgardisten Can hier berücksichtigt, nicht aber Die Ärzte, der KFC oder Abwärts? Was haben wiederum Die tödliche Doris, Der Plan oder Frieder Butzmann mit Punk zu tun? Und wer zum Teufel waren die Slickee Boys, daß sie gleich dreimal hier auftauchen dürfen? Busenfreunde des Herausgebers etwa?

Statt das Chaos zu entflechten, das vor 20 Jahren nicht nur in den Plattenläden, sondern auch in den Köpfen der Konsumenten herrschte (weil niemand so recht wußte, wo und wie er denn nun Plastic Bertrand oder Television einzuordnen habe), wurde das Tohuwabohu der Gründerjahre offenbar zur Grundlage der Cover-Kollektion erklärt. Statt Zusammenhänge aufzuzeigen, die erst im Rückblick sichtbar wurden, beschränkte sich der Herausgeber wohl darauf, die eigene Plattensammlung zum Maß aller Dinge zu erklären. (Mehr dazu in der Rubrik J)rucksachen a auf Seite 112, wo Wolfgang Doebeling zu einer etwas milderen Beurteilung kommt – die Red.) Unterstützt in der Selektion wurde Seiler – als Kenner amerikanischer Roots-Musik die graue Eminenz – von einem Beraterstab, dem prompt gestandene Punk-Koryphäen wie besagter Frieder Butzmann (!) angehören. Wie schön, daß wenigstens einer noch die Punk-Fahne hochhält.

Im Vorwort zu „The Album Cover Art Of Punk!“ fordert Sex-Pistols-Impresario Malcolm McLaren die Leser dazu auf, ihren Schwanz rauszuholen – bzw. den Rock zu heben – und auf diesen liebevoll zusammengestellten Bildband zu pinkeln. Punk, so Mc-Laren, hätte sie für diese Art der Meinungsäußerung geliebt Denn der habe Kunstbücher zutiefst verabscheut und jedem mißtraut, der Punk intellektuell oder ästhetisch zu verbrämen suchte. Punk – das war für den Erfinder der Sex Pistols einer der exorbitantesten Fehlschläge seines Leben:

Denn nicht das Produkt -die Platte, das Buch, der kommerzielle Erfolg -seien von Bedeutung gewesen. Allein die Idee habe gezählt Und an der mangelt es diesem Cover-Book so gewaltig, daß McLaren die Herausgeber provokativ fragt: „So what are you going to do with such a book?“ Eine plausible Antwort bleibt uns der Zensor schuldig.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates