Weggehen, Ankommen, immer wieder Weggehen: die langen Wege des Songschreibers und Familienvaters John Hiatt

Sicherheit ist nur eine Fiktion. John Hiatt mußte das viel früher erfahren, als ihm lieb sein konnte. Es ist eines dieser Kindheits-Traumata, die man sogar als Familienvater noch nicht ganz ad acta gelegt hat. Doch der in Franklin/Tennessee lebende Songwriter aus Indianapolis ist mittlerweile längst stark genug, um Unsicherheit ertragen zu können. Und darüber schreiben zu können. Hiatt hat zumindest in seiner Profession eine traumwandlerische Sicherheit erreicht, die ihm jetzt den Blick aufs nächste Plateau gestattet. Wo beispielsweise das fast neunminütige, von der Plattenfirma verschämt als „hidden track“ verborgene „Mile High“ irrlichtert: „Twin Peaks“ läßt schön grüßen. Auch das düstere „I Wrote It Down“ entwickelt geradezu kinematographische Qualitäten. „Mile High“, ein sinistres, transzendentale Höhen erklimmendes Liebeslied, entsprang der morgendlichen Leere eines öden Hotelzimmers irgendwo in Idaho. Auch die anderen Tracks des neuen Albums „Walk On“ wurde – ein Novum für Hiatt on the road geschrieben. Hiatt wäre nicht Hiatt, würde er der Perspektive des „umherziehenden Folk-Sängers“ (Hiatt) nur sexy schmachtendes Heimweh abtrotzen, das „take off“ und „landing“ auf „love“ und „understanding“ reimt. Gegen konservative Ängste vor „Überfremdung“ etwa, die selbst ein Land verzehren, das aus lauter Fremden besteht, setzt Hiatt die Figur des,,Native Son , der nur einen Fuß an Land setzen muß, um gleich als solcher zu gelten. Hinter dem kulturpessimistischen Gebratze über den vermeintlichen „Verfall der Jugend“ vermutet der dreifache Vater nur ein Motiv: „Angst Die ältere Generation heute hat einfach Angst, daß ihre Kinder etwas erfahren und entdecken werden, das sie selbst nie erreichen konnten.“ Seine Alpträume aus den Nischen des Alltags, die lakonisch formulierten Einsichten über Weggehen, Ankommen und (immer wieder) Weggehen, verpackt Hiatt nicht wie noch auf ,Jtofectly Good Guitar“ in maskulinen Rock, sondern läßt sie gerade mit dem rustikalen Understatement des von Don Smith (Cracker, Keith Richards) produzierten „Walk On“ noch bedrohlicher erscheinen. „Your Love Is My Rest“, säuselt Hiatt, doch das Sound-Ambiente wirkt ironischmorbid, und die Gitarre von David Immergluck (Counting Crows, Camper Van Beethoven) legt zumindest nah, daß „rest“ auch „ruin“ einschließt. ¥ür“Wa& Oi“hatjohn Hiatt auch seine Business-Karten nochmal neu gemischt Ein Dollar-trächtiger „bidding war“ sei seinem Caprtol-Debüt zwar nicht vorausgegangen. „Eher so ein Tanz um den heißen Brei“, lacht Hiatt, der schon ein bißchen stolz ist, daß gleich mehrere Bewerber auf der Matte standen, nachdem er in den letzten 20 Jahren immerhin schon vier Firmen verschlissen hatte. Und das ohne die ganz großen Erträge für beide Seiten. Verbitterung darüber ist bei Hiatt trotzdem nicht auszumachen, auch wenn es natürlich „Phasen der Frustration“ gegeben habe. Doch John Hiatt blieb der kommerzielle Höhenflug selbst zeitweilig bisher verwehrt Dafür fließen die Song-Tantiemen aus den vielen Cover-Versionen stetig und üppig. Ist das Beliebigkeit? Oder Allgemeingültigkeit, die in verschiedenste Richtungen von Paula Abdul bis Bob Dylan ausfransen kann? Während Neil Young mit seinem Jungbrunnen PearlJam tourt, ist sich Hiatt unklar, was die magische Marke von 50 dereinst für ihn bedeuten könnte. Noch vor zwei Jahren war er sich sicher, den ewigen Zyklus nicht mehr mitmachen zu wollen. Den Gedanken, sich an Kurzgeschichten zu versuchen, hat er wieder verworfen, weil diese Neuorientierung nur sein Songwriting beeinträchtigen würde, das „mir im Moment einfach am meisten gibt“. Entscheidungen im Hause Hiatt aber sind ohnehin keine einsamen, sondern werden stets mit Frau Nancy und den Kindern getroffen. Ob Hiatt auch gefragt hat, bevor er sich kürzlich erstmals hinter das Steuer eines Rennwagens zwängte?

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