Wie Kuba nach Deutschland kam

Da rollt sie nun, die Kuba-, Salsa-, Tropic-Pop-Welle, angestoßen von ein paar Rentnern, die alte Lieder spielen und lustig an Zigarren kauen. Es wäre ganz einfach, ebenso weiterzumachen: mit charmanten, brillanten, auch alten Talenten. Aber hey! die Entscheidungsträger aus den multinationalen Entertainment-Unternehmen haben eine bessere Idee: Wir räumen mit Jennifer Lopez, Ricky Martin und anderen Jugend-Ikonen den Markt ratzekahl ab. Denn: Das funktioniert in den USA ja auch. Allerdings laufen dort Salsa-Derivate à la Lou Bega seit Jahren im Radio. In Deutschland dagegen beschränkt sich das Zielpublikum von Bacardi-Hits primär auf Ballermann-6-Kampftrinker, Bravo-Girls & Boys sowie Frauenzeitschrift-Leserinnen – wobei letztere Ricky Martin wohl lieber anfassen als anhören würden. Nein, der kommerzielle Salsa-Pop ist das eine. Und er hat nichts zu tun mit dem anderen.

Das andere ist dies: Das Album „Buena Vista Social Club“steht zwei Jahre nach Erscheinen (!) auf Platz eins der deutschen Charts, die Solo-CD des Buena-Vista-Sängers Ibrahim Ferrer auf Platz zwei. Ein Hamburger Plattenverkäufer dazu: „Das kaufen Leute, die sonst nie Platten kaufen. Gewöhnlich kennen die sich nicht aus. Aber diese Musik haben sie im Radio gehört. Oder den Film gesehen. Und weil es ihnen gefällt, wagen sie sich jetzt erstmals wieder in einen Laden. Das ist wie zuletzt bei Portishead.“

Diese Leute sind, wie die Marktforschung sagt, Sleeper. Personen, die an Musik interessiert sind, sie sogar kaufen würden, dies aber nicht tun, weil sie nicht wissen, wiewaswo. Die Musikindustrie leckt sich die Finger wund nach den Konsumverweigerern wider Willen, aber erreicht sie nicht.

Doch des einen Leid ist des anderen Freud. Zum Beispiel „Tropical Music“: Der Marburger Independent hat sich in den letzten Jahren einige Weltmusik-Veteranen gesichert, die nun wohl auch bei großen Labels eine Chance hätten: die Mexikanerin Chavela Vargas zum Beispiel oder die kapverdische Sängerin Cesaria Evora, die mit schönen Liedern und barfüßigen Auftritten Musikalität und Symbole der Authentizität so vereinte, wie es zur Zeit die Kubaner tun – und die damit ebenfalls Erfolg hatte, wenn auch natürlich nicht in denselben Dimensionen. „Tropical“-Chef Claus Schreiner ist eh in Sachen Kuba vorsichtig: „Die Kuba-Welle ist nur eine Mode, man trägt zur Zeit Kuba. Da geht es um Lifestyle, nicht um Musik,“ Außerdem weist er völlig zu Recht darauf hin, daß schon früher Plattenfirmen versucht haben, Salsa in Deutschland zu etablieren – und kläglich scheiterten. Dabei allerdings auch nicht Schützenhilfe von einem Wim-Wenders-Film bekamen, der exakt zum richtigen Zeitpunkt die richtige Zielgruppe ansprach und in die Plattenläden trieb. Alles nur eine Frage des Timing.

Einerseits. Andererseits. Das Weltmusikvolk, ein traditionell eher kleiner Clan, platzt schon seit einiger Zeit aus seiner Marktnische: Vbr ein paar Jahren noch stand immer dieselbe Handvoll Nasen vor den Bühnen, auf denen Stars aus Ländern mit besserem Wetter Musik machten. Heute sind die Läden oft verblüffend voll – und die Tour von Ibrahim Ferrer war sowieso ausverkauft.

Als hätte das kausal was miteinander zu tun, hört man gleichzeitig von Händlern, daß der Hit zur Zeit Reggae-Singles seien: Singles! Vinyl! Aus Jamaika! Früher hätte man mit Glück ein-, zweihundert im Monat verkauft, heute gingen tausend über den Tisch. Die kaufen natürlich nicht die Sleeper. Es sind die Vielhörer, die enttäuscht aufschreien, wenn sie im „gut sortierten“ Plattenladen mit den vermeintlichen Highlights konfrontiert werden. Weil sie nämlich Musik mögen – und nicht damit abgespeist werden wollen, was ihnen lackierte VIVA-Moderatoren-Anwärter andienen wollen. Also kaufen sie Reggae-Singles, hören rare Secondhand-Platten – oder gehen zu Konzerten mit Kuba- und Brasil-Stars.

Und treffen genau da die Sleeper, deren Motivation ähnlich ist: Beide Gruppen wollen keine Hintergrundmusik aus der Jeans-Reklame, sondern das, was man früher die gute Platte nannte.

Der Sleeper ist möglicherweise musikalischer, als man glaubt. Er würde vielleicht sogar Reggae-Singles kaufen, weiß davon aber nichts, weil es ihm keiner sagt Früher holte er seine Tips aus dem Radio, doch das ist vorbei, denn da läuft jetzt Jennifer Lopez. Der Sleeper geht wieder schlafen.

Denn es gibt einen Unterschied zwischen ihm und den Smarties der multinationalen Konzerne: Die interessieren sich für Marketing, er interessiert sich für Musik.

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