Wind in den Weiden

Rückwärts in die Zukunft: Ein Gespräch mit Tocotronic-Sanger Dirk von Lowtzow über die Incredible String Band und ihren Einfluß auf sein Projekt Phantom/Ghost.

Du bist ein großer Fan der Incredible String Band – was fasziniert dich an dieser doch sehr speziellen Musik?

Ich mochte schon immer die etwas schrullige Art der englischen Folkmusic. Bands wie Deep Freezed Mice stehen für mich ebenfalls in dieser Tradition, auch das erste Pink Floyd-Album, oder Kinderbücher wie „Der Wind in den Weiden“. Irgendwann habe ich mir dann „The Hangman’s Beautiful Daughter“ gekauft.

Was hat dir konkret daran gefallen?

Gleich das erste Stück, „Koeeoaddi There“, enthält die allerhübscheste Melodie, die ich in fünf Jahren gehört habe, (singt) „Born in a house with a door….“. Das hat mich total weggeblasen, da kommen dir wirklich die Tränen in die Augen, so hübsch ist das. Klar, das ist natürlich totaler Spinnkram und anstrengend zu hören obendrein – aber toll!

Ist dieser versponnene Folk ein überflüssiger Luxus, ohne jede aktuelle Relevanz?

In den letzten zehn Jahren gab es mit Techno, HipHop oder Noise-Rock sehr viel Neues zu entdecken. Im Augenblick habe ich aber das Gefühl, daß die meiste Musik ultrakleinbürgerlich und kraftmeierisch und bieder daherkommt. Doch es gibt auch viele Bands die ich interessant finde, Animal Collective zum Beispiel. Da sehe ich eine sehr starke Verbindung zur Incredible String Band. Das ist eine sehr ähnliche, versponnene und leicht hippieeske Herangehensweise.

Gibt es einen Einfluß der Incredible String Band auf das letzte Tocotronic-Album?

Der Titelsong „Pure Vernunft darf niemals siegen“ hatte in der ursprünglichen Version etwas sehr Folkiges. Der dreiviertel Takt und das entrückte Lalalala – da war die Incredible String Band ein ganz vehementer Einfluß. Deren Texte sind ja auch sehr schön. Man kann natürlich sagen, das ist alles mystischer oder esoterischer Quatsch und als solcher eskapistisch und abzulehnen. Aber sie sind halt weniger spießig als der ganze Scheißdreck, mit dem man heutzutage konfrontiert ist. Dessen Kernaussage ist in der Regel: „Hör auf dein Herz“. Das sind Binsenweisheiten, wie aus einem 50er Jahre Heimatfilm. Dann doch lieber die Incredible String Band, deren Grundaussage lautet: „Dreh mal ordentlich durch.“ Das ist mir ehrlich gesagt lieber.

Diese Weigerung, vernünftig zu sein und das rationale Spiel der Gesellschaft mitzuspielen, hat ja auch etwas Aufmüpfiges.

Ja! Und es geht darum, auf eine gute Art Kind sein zu können. Das kommt in dem ISB-Film „Be Glad For The Song Has No Ending“ sehr schön heraus, wie da musiziert wird, das hat etwas sehr Kindliches: Aha, was nehme ich jetzt für ein Instrument, für das nächste komische Geräusch? Das ist genau das, was Musik letztendlich interessant macht. Es geht doch darum, nicht immer die ausgetretenen Wege entlang zu laufen. Es ist auch herrlich, eine Musik zu hören, bei der niemand an Radiokompatibilität gedacht hat. Während es heute in der Subkultur kaum eine Äußerung gibt, die nicht auf ihre Medienkompatibilität abgeklopft wird.

Das neue Album von Phantom/Ghost ist stark vom Folk und der Incredible String Band beeinflußt, wie kam es dazu?

Wenn Thies Mynther und ich Musik machen, reden wir erst mal über unsere aktuellen Interessen. Thies hat ein ungeheures Wissen über Musik, Filme und „subkulturelle Phänomene“. Da liegt es nahe, sich ein konkretes Thema zu suchen, etwa italienische Horrorfilme, beim ersten Album. Diesmal hat uns eben diese weirde Art von Folk interessiert. Das ist ja auch immer ein Aneignungsprozeß.

Als Großstädter ist man von den klassischen Themen des Folk ziemlich weit entfernt…

Das stimmt. Aber man versucht trotzdem, sich ein Ziel zu setzen und das zu erreichen – wie in einem Spiel. Als Mensch hat man ja die Gabe der Fantasie und kann sich vorstellen, man wäre in einer bestimmten Situation – statt zu sagen: Laßt uns nach Cornwall fahren, um dort ein inspiriertes Album aufzunehmen. Man könnte sich auch in Vogelkostüme stecken.. .(lacht). Wäre bestimmt reizvoll, aber in unserem Fall nicht nötig. Ich habe auch was gegen method actor, die erst mal fünf Jahre als Gärtner arbeiten müssen, bevor sie in einem Film die Hecke schneiden können. Und genauso wenig muß man drei Jahre auf dem Land gelebt haben, um eine Folk-Platte zu machen.

Die interessantesten Neo-Folk-Sachen kommen ohnehin aus Großstädten wie New York.

Ja, es ist vermutlich gerade das Unauthentische, das einen neuen Klangkosmos ermöglicht. Man kann einfach dies und jenes zusammenwerfen und sehen, was passiert. Genau das hat die Incredible String Band auch getan. Man träumt sich, während man ein Lied singt, einfach in eine andere Figur hinein. Das interessiert mich mehr, als dieses: „Ich bin ich und alles was ich bin, ist wahr“. Dieser Wahrhaftigkeitsglaube bei Popmusik, speziell bei deutscher, ist eine furchtbar nervige Sache. In einer Kultur, die so besessen ist vom Glauben an die Authentizität, ist so etwas wie die Incredible String Band ein wahrer Segen.

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