Wirbeln Forever

Der Schriftsteller und diesjährige Gewinner des Bachmann-Preises Peter Wawerzinek über Jimi Hendrix

Frank Zappas Antilook war nichts, als Jimi Hendrix die Gitarre zur Hand nahm und die heilige Hymne der Amerikaner einfach so in Flugterror, Kindergeschrei, Wimmern und Bombenabwurf verwandelte, zerschandelte. Er wurde umgehend zu unserer musikalischen Flagge. Mehr noch: die Gruppe, die wir damals waren, spaltete sich. Es gab jetzt nur noch Weicheier und politisch korrekte Musikzuhörer wie uns, meinen Kumpel und mich. Wenn wir morgens aufwachten, fütterten wir unser Hirn erst einmal mit Hendrix. Wenn man es so sehen will, diese Gitarrenkur jeden Morgen mehrere Monate lang gewissenhaft ausgehalten, hat uns wirklich vorangebracht. Wir standen vor seinem Schrank mit Aufsatzteil. Und wir wirbelten. Ich weiß nicht, ob heutzutage noch jemand weiß, was Wirbeln meint. Dann muss ich es unbedingt erklären und zum Nachmachen anempfehlen. Also: Man dreht eine Musik auf volle Pulle. Man steht breitbeinig und beugt den Oberkörper nach vorn und beginnt wie wild mit dem Kopf zu schütteln. Der Kopf kann, während er geschüttelt wird, auch leicht hin und her, auf und ab bewegt werden. Auf jeden Fall muss er in Bewegung bleiben, wie ein Tischtennisball, der nicht aufprallen soll. Und man sollte sich in Schweiß wirbeln. Um nicht umzukippen, sind beide Hände fest auf die Oberschenkel zu stellen. Man kann auch leicht in die Knie gehen, damit die Standsicherheit erhöhen. Auch wenn es etwas obszön aussieht, für das aktive Wirbeln ist es ein unbedingtes Muss. Die Titel sollen längere Stücke sein. Das Wirbeln und Ruckeln, Rütteln und Zucken hat sofort zu beginnen. Du sollst unbedingt dabei auf Hochtour kommen. Es muss dich kurz vor Ende aushebeln, fortschleudern, umhauen. Du sollst vorher noch diesen seltsamen Nebeneffekt erhaschen. Die Ohnmacht des Hirns ist anzustreben. Das Schütteltrauma, möchte ich es nennen, sollte das Ziel sein. Das geschüttelte Hirn, ganz wie ein guter Drink, soll dich in einen Blackout schleudern. Es soll dich grinsend erwischen, in höchster Ekstase. Du darfst ruhig zu Boden gehen, am Boden zucken oder dort wie tot herumliegen; wie in Trance die Augen verdreht. All das dient dem Musikverständnis. Und diese tiefe, innere Musikerfahrung soll durchgelüftet sein. Bis der Wirbelnde zu sich kommt, zu neuen Klängen findet. Aus dem Taumel in die Realität, den Alltag zurück, den kleinen morgendlichen Schock. Danach kannst du einfach alles schaffen. Du putzt dir die Zähne. Sie glänzen wie das weiße Leder der italienischen Gangsterschuhe. Du duscht dich kalt und denkst es ist zu heiß, dieses verdammte kalte Wasser. Du springst in deine Klamotten, durchs Haus, in das Leben, den Bus, das Haus, dein Arbeitszimmer oder was du sonst so um die Ohren hast. Du sagst den Leuten ins Gesicht, was für Pfeifen sie sind. Und die Leute bleiben stehen, dir nach zu sehen.

Peter Wawerzineks Roman „Rabenliebe“ ist im Galiani-Verlag erschienen.

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