Wutloses England

Es muss etwas faul sein im Heimatland der Popmusik, wenn sich schon Robbie Williams in eine politische Debatte einmischt – ein Mann, der in Los Angeles residiert und normalerweise eher über Aliens, Babys und Brüste spricht. Großbritannien brauche mehr Leute wie Billy Bragg, ließ Robbie vor einigen Monaten verlauten. Leute, die sich einmischen und beschweren, die etwas tun für das Gemeinwohl und nicht apathisch alles hinnehmen, was ihnen die Regierung aufdrückt. Aber welcher Popstar könnte die Rebellion gegen die Verhältnisse anführen? Gerade während der schlimmsten Rezession der Nachkriegszeit findet die Arbeiterklasse in den UK-Charts praktisch nicht mehr statt, die Akademikerkinder und College-Absolventen haben das Musikgeschäft längst übernommen.

Natürlich gibt es noch working class heroes: Billy Bragg und die Manic Street Preachers haben in diesem Jahr großartige Alben veröffentlicht, auch Paul Weller und Noel Gallagher spielen weiterhin oben mit. Doch der Nachwuchs ist kläglich, im Grunde besteht er aus einer Person: Jake Bugg. Der kommt aus einer armseligen Sozialsiedlung, während seine Zeitgenossen allesamt aus wohlhabenden Häusern stammen. Zwar gehen nur sieben Prozent der Briten auf Privatschulen, in den Charts sind sie allerdings überproportional vertreten – mit Mumford &Sons, Florence Welch, Laura Marling. Und so behütet, wie die Westenträger und Elfen aufwuchsen, so weit weg von der fiesen Realität klingen sie auch – von Lily Allen vielleicht mal abgesehen. Man kann nun freilich weder dem Kirchensohn noch der Professorentochter vorwerfen, dass sie nicht von Armut oder Gewalt, von Hoffnungslosigkeit oder Existenzängsten singen. Aber diese Themen, die einen großen Teil der Bevölkerung (nicht nur des Prekariats) beschäftigen, kommen in der britischen Popmusik heute kaum noch vor – und das könnte durchaus zum Problem werden. Wenn es keinen Widerstand mehr gibt und keine Wut, langweilen wir uns vielleicht alle noch zu Tode.

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