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Xatar: Erinnerungen an den Möglichmacher des HipHop

Shirin David, Moritz Bleibtreu, Kurt Krömer, Bonez MC, Apache 207 und 35 weitere Weggefährtinnen und Freunde erinnern sich an den verstorbenen Rapper und Produzenten.

Xatar Foto: Vera Tammen. All rights reserved.
Xatar Foto: Vera Tammen. All rights reserved.
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Dramatisch, turbulent, am Limit – Xatars Leben war wie ein Film. Wäre sein Tod nicht so tragisch, könnte man sagen: Auch das abrupte Ende passt ins Drehbuch. Mit nur 43 Jahren stirbt Giwar Hajabi, bekannt als Xatar – Musiker, Unternehmer, HipHop-Legende.

Wer Xatar kannte, erzählt nichts von Statussymbolen. Sondern von Visionen, von einer mystischen Aura. Von Spaziergängen und Anrufen um Mitternacht, von einem Blick, der alles sagte. In dieser Geschichte erinnern sich 40 Menschen – Freunde, Künstler und Künstlerinnen, Geschäftspartner, Fans – an gemeinsame Momente. Jeder von ihnen hat eine eigene Wahrheit über Giwar Hajabi, aber gemeinsam formen sie seine Geschichte. Ein Mosaik. Roh. Echt. Ein bisschen wahnsinnig. So wie er.

Es gab keinen Stillstand für Xatar

Es gab keinen Stillstand für Xatar. Keine Chance, sein Leben chronologisch zu ordnen. Zu viele Brüche, zu viele Stränge. Wer war Giwar Hajabi? Der Sohn politischer Geflüchteter, der Selfmade-Millionär mit Biss und Vision, der Gangster mit Komponistenohr? Oder all das zugleich? Eine Antwort lieferte „Rheingold“. Der Film von Fatih Akin verewigte Xatars Leben auf der Leinwand: Thriller, Komödie, Action, Drama, Liebesgeschichte und Musical. Zu dieser Zeit, im September 2022, trifft ihn Fotografin Vera Tammen und fängt ein ikonisches Bild ein. Es war bis heute unveröffentlicht. Jetzt ist es das Cover dieser ROLLING-STONE-Story. Als hätte es darauf gewartet.

Xatar auf dem Digitalcover des ROLLING STONE. Foto von Vera Tammen

 

Xatars Kindheit liest sich wie ein politischer Thriller: Seine Mutter, eine zum Tode verurteilte kurdische Oppositionelle, flieht schwanger aus einem iranischen Gefängnis und bringt ihren Sohn im kurdischen Gebiet in den Bergen auf die Welt. Als Xatar keine zwei Jahre jung ist, nimmt das irakische Militär die Familie fest. Das Schweizer Rote Kreuz rettet sie nach Monaten aus der Haft – über Paris führt ihr Weg in die damalige deutsche Bundeshauptstadt Bonn.

Der Türöffner

Dort verliebt sich der junge Xatar in HipHop, aber weiß natürlich noch nicht, dass er später sogar Machtverhältnisse sprengen wird. In einem Land, das bis heute sortiert, wer wohin gehört und wie weit es jemand bringen darf, braucht es Pioniere mit kompromissloser Haltung. Xatar klopfte nicht an – er trat Türen ein.

Seine Wirkung ist heute spürbarer denn je. Auf HipHop in Deutschland, weil er der Architekt großer Karrieren war. Auf die Industrie, weil er riskierte, was andere sich nicht wagten. Auf das Selbstbewusstsein einer Generation, weil er als Erster die kurdische Flagge in einem Musikvideo hisste. Er wurde zur Figur migrantischer Selbstermächtigung – laut und unbequem.

Xatar war ein Möglichmacher. Für Menschen, die nie eingeladen waren. Für Talente, die keiner sehen wollte. Für Lebensgeschichten, die nie erzählt wurden.

Alles oder nix

Während sich die akademische Elite heute ad absurdum diskutiert, wie moderner Klassenkampf auszusehen hat, verfolgte der Mann, dessen Künstlername das kurdische Wort für „Gefahr“ ist, eine radikale Philosophie: „Alles oder nix“. So nannte er sein Debütalbum, seine Plattenfirma, seine Autobiografie. „Wer seine Träume leben will, der darf nicht schlafen“, schrieb er. Als man ihn wegsperrte, schmuggelte er ein Diktiergerät in seine Zelle – und nahm dort ein gesamtes Album auf. Der unbändige Wille zur Musik wurde belohnt: In Freiheit folgten mehrere Nummer-1-Alben.

Auch sein letztes Mal auf der Bühne sollte poetisch sein. Er reiste vergangenes Jahr durch die ehrwürdigen Philharmoniesäle der Republik. Orte, die für Menschen wie ihn nie gedacht waren. In Köln hielt er bei „Schwesterherz“ die Hand seiner Schwester. Tränen flossen. Die ganze Familie war da. Zum ersten und einzigen Mal sahen seine Kinder ihn live auf der Bühne. Es war der Gipfel – künstlerisch und menschlich. Fotograf WOOD¥ begleitete Xatar bei seiner Show in Berlin, seine Eindrücke sind in dieser Geschichte zu sehen. Ein Abend, der sagte: Wir sind endlich hier.

Wieso Xatar immer so getrieben war, erklärte er damals selber: „Ich habe früh gelernt, dass man etwas schaffen muss, damit man nicht in Vergessenheit gerät. Aber manchmal, da muss man auch etwas schaffen, damit man sich selber nicht vergisst.“

Er wird nicht vergessen. Wenn jemand wie Xatar geht, bleibt ein Echo. Und eine Frage: Was ist in diesem Leben alles möglich? Und zu welchem Preis?

Hier sind 43 Stimmen von Menschen, die ihn durch sein Leben begleitet haben:

 

Eko Fresh:

Giwar hatte eine Power, die man nicht lernen kann. Er verkörperte all das ungenutzte Potenzial, das in Deutschland in den Hochhäusern der Brennpunkte schlummert eingepfercht, übersehen, unterschätzt. Die Karten, die das Leben verteilt, kann man sich nicht aussuchen. Aber er hatte diesen unbeugsamen Willen, das Spiel zu drehen. Ich lasse mir das nicht gefallen.Das war sein Motto. Und Xatar ging immer all-in. 

Kalim:

Als Alles oder Nix auf Talentsuche war, sollte ich einen Song für ihren Sampler machen. Giwar saß zu der Zeit im Gefängnis. Wir telefonierten. Für mich war das surreal: Ich spreche mit Xatar. Aus dem Knast. Ich sah ihn dann zum ersten Mal, als ich unterschrieb. Ich war überrascht, wie groß er war. Da kam dieser Zwei-Meter-Typ mit Durag durch die Tür – Präsenz pur. Ich bin ihm unendlich dankbar. 

Shirin David:

Als ich Xatar ganz früh in meiner Karriere auf meiner Party sah, hat er mich irgendwie an meinen Vater erinnert. Der Schnauzer, sein Gehstock, diese Energie. Ich hab mich einfach neben ihn gesetzt, weil er ein Gefühl von Akzeptanz und Respekt ausgestrahlt hat. Das muss ein witziger Anblick gewesen sein. Ich wusste nie, ob ich meinen Platz in dieser Kultur finden kann, die ich so liebe. Xatar hat mir gezeigt, dass es geht. 

 Moritz Bleibtreu:

Ich hab Xatar mal besucht und von meinem Urlaub auf dem Hausboot erzählt. ‚WieHausboot?, fragte er mit gerunzelter Stirn. Ich hab ihm das Konzept erklärt: Ein schwimmendes Haus mit Motor und allem. Seine Augen funkelten. Ein Boot…‘ murmelte er und schaute in die Ferne. In dem Moment stellte ich ihn mir mit Uniform und Pfeife im Mund am Steuer vor. Ahoi. Er war eben genau das: Der Kapitän. 

XATAR vor der Show im Heimathafen Berlin  Foto: WOOD¥

Choukri:

2008, Köln-Kalk, im Studio von Eko Fresh. Ich hatte keine Ahnung, wer Giwar ist. Er sah aus wie der Bodyguard eines Sultans und fragte mich mit durchdringendem Blick: ‚Wer bist du?‘ Ich wurde dahin gerufen, um seiner Truppe eine Musiksoftware zu installieren. Plötzlich setzte er sich ans Keyboard und spielte ein klassisches Stück einwandfrei. Ich war irritiert. Jahre später verstand ich: Xatar ließ sich nicht einordnen. Er war alles auf einmal. 

Kurt Krömer:

Eines Abends schrieb mir Xatar: Hier meine Nummer. Ruf mich an.Wir sprachen stundenlang. Er entschuldigte sich dafür, dass er vor Jahren nicht zu meiner Show erschienen war. Kurz darauf – im Podcast – fragte ich scherzhaft, wann Schwesta Ewa mir endlich auf Instagram folge. Keine 10 Minuten später war es passiert. So war er: Direkt. Ohne Umschweife. Was Xatar hinterlässt, wird bleiben. Möge seine Seele Frieden finden. 

 Schwesta Ewa:

„Damals, als ich noch peinlich amateurhaft irgendwo einbrach, rief ich Giwar um Hilfe. Er kam mit ein paar Jungs – alle auf Beute aus. Nur nicht er. Giwar ging an den Kühlschrank und fing an zu essen. Da wusste ich: Er war alles, nur kein Einbrecher. Jahrelang träumte er davon, dass ich das Rotlichtmilieu endlich verlasse. Dass ich rauskomme. Und er hat’s geschafft. Danke, Giwar. Du hast mich gerettet.“ 

Mona Pirzad:

Unsere erste Begegnung war am Set: Der erste Drehtag, als ich seine Mutter gespielt hab. Giwar war sehr herzlich, aber noch etwas skeptisch, nach dem Motto: Au weia, hoffentlich kriegt sie das gut hin…‘ Nach dem ersten Take nahm er mich erleichtert in den Arm und nannte mich von da an nur noch ‚Mama, wenn wir uns begegnet sind. Immer und überall: Hey Mama, was geht?Er war unglaublich herzlich und fürsorglich vor allem gegenüber seiner Familie. 

XATAR im Heimathafen Neuköln am Piano Foto: WOOD¥

Dennis Schröder:

Ich weiß noch, wie aufgeregt wir waren, als wir Xatar das erste Mal trafen. Wir sind nach Köln in sein Café gefahren und haben ihm ein Jersey mitgebracht. Viel zu klein, er hat nur geschmunzelt. Aber er hing es sich eingerahmt an die Wand. Es war sofort familiär, als würden wir uns lange kennen. Trotz seines großen Namens war er unglaublich bodenständig. Von ihm hab ich gelernt: Egal, wie erfolgreich du wirst bleib menschlich. Bleib korrekt. 

Sylabil Spill:

Ich kannte Giwar seit 1996. In Bonn gab es einen Ort, wo wir als Jugendliche abhingen: Der Stein. Dort träumten wir von Autos, insbesondere von Jeeps. Als wir Jahrzehnte später in seinem SUV saßen, reichte er mir die Hand. ‚Ich möchte dieses Gefühl mit Dir teilen.‘ Er wollte, dass ich bei ihm unterschreibe und diese Geste hat mich überzeugt. Xatar war ein einzigartiger Mensch. 

Bonez MC:

Als Xatar auf ‚Ebbe & Flut über 24-Zoll-Felgen von MAE rappte, gab es ein Problem: Die existierten gar nicht. Eigentlich passte so eine maßlose Übertreibung nicht zu unserem Anspruch auf Realness, aber wir haben nichts gesagt. Schließlich war das Xatar, frisch aus dem Knast. Vor wenigen Tagen erfuhr ich plötzlich: Tatsächlich hat er 2015 bei MAE eine 24-Zoll-Sonderanfertigung angefragt. Er hat keinen Scheiß gerappt. Zum Glück haben wir ihm damals nichts gesagt. 

XATAR mit Samy auf der Bühne Foto: WOOD¥

Shamsedin:

Bei unserem großen Ding gab’s ja diesen Trick mit der Polizeiuniform. Über Jahre hinweg hatten wir das Spiel schon bei Dealern abgezogen. Mitten in der Übergabe tauchten unsere Freunde auf verkleidet als Polizisten. Die Dealer flüchteten, die Ware blieb bei uns. Jahre später traf ich einen der Dealer. Ich rechnete mit handfestem Stress, stattdessen nickte er mir zu. Als ich Giwar irritiert fragte, lächelte er nur. Ich hab all unsere Schulden beglichen,sagte er. Das war ein Versprechen an Gott.Wenn Giwar sich etwas vornahm, dann mit vollem Herzen. 

Apache 207:

Ich weiß noch genau: Der Tag seiner Filmpremiere. Er fragte spontan, ob wir vorbeikommen. Kein großes Drumherum, einfach aus dem Bauch heraus! Normalerweise werden Übernachtungsreisen bei uns vom Management lange geplant, aber bei Giwars Anruf war das anders. Seine Einladung hatte so viel Wärme, wir haben nicht lang überlegt. Vor Ort empfing er uns, als wär alles bis ins letzte Detail vorbereitet. So viel Gastfreundschaft, so viel Liebe! Irgendwie unvergesslich! 

Sugar MMFK:

Ich lernte Xatar 2008 bei uns im Jugendzentrum Brüser Berg in Bonn kennen. Er hatte gerade sein erstes Album ‚Alles oder Nix‘ gemacht und verkaufte es selbst. ‚Schreib mal deine Adresse auf,‘ sagte er und schickte uns Jüngeren an den PC. ‚Die CD kommt direkt zu dir nur 10 Euro.’ Dazu ein Zwinkern. Er war charmant, damals schon. Da begann die Geschichte einer Bonner Legende. 

Juju:

Wenn wir ihm als SXTN bei Festivals über den Weg gelaufen sind, war Xatar immer respektvoll. Das ist nicht selbstverständlich weiblichen Newcomern gegenüber. Irgendwann hat er mir dann plötzlich geschrieben: ‚Kann ich mich bei dir zuhause verstecken? Ich bin auf der Flucht!’ Ich war richtig überfordert von der Frage. Bevor ich antworten konnte, war die Sache schon ‚erledigt‘. Typisch Xatar. 

XATAR im Heimathafen Berlin auf der Bühne Foto: WOOD¥

Achraf:

Was ich an Xatar immer geschätzt habe: Sein Blick für Talent und sein Wille, es zu fördern. Mich hat er als jungen Brand Owner schon von Tag Eins unterstützt. Einfach nur, weil er etwas in mir gesehen hat. Das war nicht selbstverständlich und ich rechne es ihm hoch an. 

Tobias „Toxik“ Kargoll:

Als im Goldmann Tower mal wieder eine riesen Party stieg, suchten alle den Gastgeber. Wohin ist Xatar verschwunden? Schließlich hab ich ihn gefunden: Er saß in einem der Studios mit Rapper Veysel. Sie philosophierten über Musik, planten ein gemeinsames Album, diskutierten sogar schon den Titel. Während draußen hunderte Gäste aus der Industrie um die Wette netzwerkten, hatte Xatar nur eines im Kopf: Musik. 

Kurdo:

Sommer 2013, ich hing in einem Berliner Studio. SSIO und Ewa waren am Handy, Xatar am anderen Ende. Im Knast. Gib Kurdo mal das Telefon!, kam aus den Lautsprechern. Wir verstanden uns natürlich sofort. Jahre später war er endlich frei und ich suchte einen neuen Vertrag. Er beriet er mich nicht als Geschäftsmann, sondern als Freund. Xatar war sich nie für etwas zu schade. 

Azet:

Als ich frisch aus dem Knast war, meldete sich Xatar bei Zuna. ‚Richtung Paradies‘ hatte ihm gefallen. Wir trafen ihn im Ritz-Carlton. Zwanzig Sekunden lang starrten wir ihn einfach nur an. Wow. Das war Xatar. Seine Musik war unser Soundtrack. Beim Essen lief lauter Live-Jazz, am Ende mussten wir gegen die Musik anbrüllen. ‚Seid ihr unter Vertrag?‘, schrie er über den Tisch. Ich werde diesen Abend nie vergessen. Da wurde unser Traum greifbar. 

Ausrüstung für die Show – Mikrofone, Sender Foto: WOOD¥

Marina Buzunashvilli Bozorgzadeh:

Mitten in der Nacht rief Giwar mich an: Marina, machst du auch PR für Künstler?Ich war seine PR-Managerin was denn sonst? ‚Künstler, Marina. Richtig Kunst!Bevor ich verstand, dass er einen Maler meinte, hatte er den Hörer schon an den Künstler weitergegeben. Xatar hatte eine Gabe, jede Welt zu betreten ob Rap, Business oder bildende Kunst und er wurde sofort ernstgenommen. 

Azad:

Giwar hat immer einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen weil er Kurde ist und auch aus der selben Stadt kommt wie ich. Ich hab mich mein Leben lang gefühlt wie der letzte Mohikaner, weil ich nie einen anderen Kurden kannte. Dann kam einer, der auch Sorani spricht, der auch aus Sina kommt und auch noch ein deutscher Rapper ist? Das war für mich etwas sehr besonderes. 

Marcus Staiger:

Xatar war ein brillanter Geschichtenerzähler. Einmal erinnerte er sich daran, dass er und seine Jungs aus dem Viertel sich früher jede Woche getroffen hätten, um die wildesten Stories aus der Hood aufzunehmen. Ein ganzes Tape sei dabei entstanden. Voll mit Mythen aus der Nachbarschaft. Die Idee allein ist grandios. Ich würde es mir heute noch anhören! 

Fard:

Kurz vor Mitternacht klingelte mein Handy. ‚Ich muss leise reden‘, flüstert eine Stimme. Xatar. Aus dem Knast. Natürlich hatte er sich ein Handy organisiert und natürlich dachte er weiter an seine Karriere. ‚Kannst du meinen YouTube-Kanal monetarisieren?‘ Dann holte er seinen Manager in die Leitung. Wir saßen da, in einer Konferenzschalte mit jemandem, der gerade hinter Gittern saß – und sprachen über Analytics, Klicks und Einnahmen. Als wärs das Normalste der Welt. 

XATAR auf der Bühne im Heimathafen Berlin Foto: WOOD¥

Ondro:

The Dome 47 in Mannheim. Niemand kannte Xatar, weil es noch keine Musik von ihm gab. Aber er trug einen Mafia-Anzug und war mit irgendwelchen Gangstern da. Alles over the top. Als ich ihn fragte, wer er sei, hielt er sich kurz. ‚Bruder, glaub mir…, fing er an. ‚Wir sind Alles oder Nix. Wir übernehmen das Deutschrap-Game.’ Halb-Ernst, halb-Witz. Diese Art blieb mir im Kopf. Gelogen hat er nicht. 

Des:

Wir waren Bantu Nation, eine Gruppe von Deutschrappern mit afrikanischen Wurzeln, aber in der Industrie stießen wir auf wenig Akteptanz. Xatar legte ein großes Wort für uns bei Universal ein: Er versprach seine Unterstützung und seine Zusammenarbeit nur so ist der Deal zustande gekommen. Wenn ich Fragen hatte, gingen wir stundenlang spazieren. Wir haben ihm sehr viel zu verdanken, er bleibt eine Legende. 

Olexesh:

Als ich mal in Kroatien am Strand lag, riss mich ein Anruf mit unbekannter Nummer aus der gähnenden Langeweile. Ich erkannte Giwars Stimme sofort und hab mich übertrieben gefreut. Meine ersten Songs hatte ich Jahre vorher an ihn geschickt und jetzt wollte er mich auf seinem Album. Gänsehaut. Ich legte auf, brach meinen Urlaub sofort ab und fuhr mit dem Bus von Kroatien aus zurück. 

Eno:

Giwar war immer für mich da. Als ich mal richtig Stress in Wiesbaden hatte, kamen viele meiner Freunde um mir zur Seite zu stehen. Bestimmt 200 Mann, die Wellritzstraße war voll. Und ganz vorne in der ersten Reihe, mit Jogginghose und Mütze, stand er da. Sogar in einer Situation, wo mir was ernsthaft hätte passieren können, hat Xatar mich nicht im Stich gelassen. 

XATAR auf der Bühne mit den heavytones Foto: WOOD¥

Haftbefehl (zitiert aus Interviews):

Rheinkultur in Bonn. 2009 lernte ich dort Giwar kennen: weißer Anzug, Gehstock, Strohhut 400 Euro, meinte er. 400 Euro für einen Hut! Als er die Bühne betrat, drehten alle durch. Das war seine Stadt. Wenige Monate später klingelte mein 20-Euro-Handy. Anruf aus Moskau: Komm her, alles geht auf mich!Da wusste ich: Wenn ich jemals ein Kollaboalbum mache, dann nur mit Giwar. 

Rooz:

Als Xatar aus dem Knast kam, war er ein Mythos. Das kann man nicht anders beschreiben. Ich sollte das erste Interview in Freiheit machen. Irgendwie fühlte sich alles wie ein Verhör an, selbst sein Büro in Köln sah aus wie eine Zelle. Seine Antworten waren poetisch und metaphorisch und dann wieder hart und messerscharf. Selten war jemand derart witzig, gefährlich und charismatisch zugleich. Besser hätte man eine Filmfigur nicht schreiben können. 

Miami Yacine:

Xatar hatte ein unglaubliches musikalisches Gespür. Lange bevor ‚Kokaina‘ explodierte, hat er mich kontaktiert und wollte mich unter Vertrag nehmen bis er plötzlich flüchten musste. Der Deal? Geplatzt. Jahre später traf ich ihn zum ersten Mal persönlich im Backstage der KMN-Tour in Köln. Wir lachten, aber wussten: Es hätte alles anders laufen können. 

Joy Denalane:

Als ich die tragische Nachricht hörte, war mein erster Impuls, sofort meine Familie anzurufen. Ich sprach mit meinem Mann Max, mit meinen Söhne, meiner besten Freundin, Sekou und Afrob. Xatar hat uns mit seiner Musik nicht nur begleitet, sondern unsere gesamte Familie geprägt – über Generationen hinweg. 

XATAR auf der Bühne Foto: WOOD¥

Moses Pelham:

Xatar war für mich eine absolute Ausnahmeerscheinung ein seltener Mix aus Künstlerseele und Macher. Seine Durchsetzungskraft wurde oft gewürdigt, seine Feinheit kam dabei vielleicht zu kurz. Ich glaube, uns verband die Liebe zu Dr. Dre und Big Daddy Kane eine wilde Kombination, aber genau das beschreibt ihn vielleicht auch: das Vereinen von Gegensätzen. Deutschland verliert nicht nur einen Musiker, sondern einen kulturellen Motor. 

 Nu51:

Ich lernte Xatar kennen um ein Problem auf der Straße zu regeln. Damals war ich bei den Bandidos. Wir trafen uns in einer Shisha-Bar. Die Stimmung war so heiß, dass jemand die Gardinen schließen musste. Jahre später hörte ich ihn rappen: ‚Meetings, zugezogene Gardinen, ich verhandel mit neu zugezogenen Banditen.‘ Sein Leben floß direkt in seine Zeilen. Er war einfach authentisch. 

 Capital Bra:

Ich hab früher viel Xatar gehört. ‚Ich liebe es‘ war eines meiner Lieblingslieder. Sieben Jahre später standen wir uns gegenüber und ich hatte einen Wunsch: Dieses Lied noch einmal, aber zusammen. Er zögerte nicht, zitierte seine alten Lines und drehte sogar ein Video mit mir. Ich wünsche ihm die höchste Stufe im Paradies. 

 WOOD¥:

Als ich Giwar auf einem meiner ersten Festivals mit Mantel fotografierte, sah ich in ihm den Gangster durch und durch. Dann lernte ich ihn besser kennen und wusste: Er ist viel mehr als das. Ehrlich und höflich. Bei einem Event schoss ich sein aktuelles Instagram-Profilbild. Später fragte ich ihn, ob ich in Berlin seine Show begleiten darf, weil mich diese Tour faszinierte. Er tat es für die Kunst, nicht für den Kommerz. 

XATAR und die heavytones während der Show im Heimathafen Berlin Foto: WOOD¥

 Niko Backspin:

Xatar in der Elbphilharmonie das wollte ich unbedingt sehen. Dieser Ort zwingt einen in die Knie, mit seiner Größe, seiner Würde. Und man sah: Auch Xatar spürte das. Kein lauter Auftritt, keine Pose Demut lag in seiner Haltung. Er war ein anderer Mann als früher. Ruhiger. Angekommen. Aber voller Worte. Also saßen wir da, zwei Graubärte der Szene, fehl am Platz und doch mittendrin. Genau darum gings bei ihm. Und bei Hip-Hop. Das Unmögliche möglich machen. 

 Paruar Bako:

Bei unserer zweiten Begegnung sprachen wir über die vielen Waisenkinder in den kurdischen Gebieten. Noch in derselben Stunde postete er ein Video und kündigte ein Benefizkonzert an ohne die Machbarkeit des Waisenhausbaus zu prüfen. Er kannte die Not. ‚Ohne viel Reden‘ verkörperte er wie kaum ein anderer Mensch, den ich persönlich kenne. Für uns war Giwar ein Robin Hood. 

XATAR beim Soundcheck Foto: WOOD¥

 Jan Delay:

Die meisten Straßenrapper konnten damals mit unserem Hippie-Kramnicht viel anfangen. Bei Xatar war das anders: In seinem Knastbericht gab er Props und hielt Freundeskreis-, EinsZwo- und Beginner-CDs in die Kamera. Der diggte uns genauso wie wir ihn. Da wusste ich: Der Typ hat eine große Liebe für die Kultur. Und ich wollte ihn unbedingt mal kennenlernen. 

 Düzen Tekkal:

Bei Xatar hieß es immer: All in. Seine Begeisterung war bedingungslos und radikal, auch für Themen, die anecken. Aber er stand zu sich. Zu seiner Meinung, seiner Haltung, seiner Herkunft. Wer seine Mutter kennenlernt, weiß: Rückgrat ist Familiensache. Es ging ihm immer um mehr als nur Musik. 

Sohail „Dingens“ Sadat:

„Giwar, Du hast an mich geglaubt, als ich selbst nicht wusste, was ich kann. Ich bin heute, wer ich bin, weil Du mir vertraut hast. Du hast die Menschen unterstützt, deren Stimme nicht genug gehört wird. Dich für Frauen stark gemacht und gezeigt, dass sie genauso alles reißen können wie Männer. Gemeinsam sind wir am stärksten, das war Deine Überzeugung. Du bist Kultur. Deine Legacy bleibt für immer.”

XATAR vor der Show Foto: WOOD¥

Milonair:

Als Giwar mal in Hamburg war, wollten wir spontan ein Musikvideo drehen. Wir hatten den neuen 7er BMW vor der Tür stehen, aber Giwar schüttelte den Kopf: ‚Wir brauchen einen Renault Clio!‘ Also rief ich nachts um Zwei einen Freund an und lieh seinen Clio aus. Der verstand die Welt nicht mehr. Xatar und ich fuhren im kleinen Clio durch die Hamburger Innenstadt das Video war im Kasten! 

Kristof Jansen:

Zur Wiedereingliederung hatte Giwar einen Job bei uns und arbeitete im Keller unseres Büros an seinem Album. Er war im offenen Vollzug, musste also nachts in die JVA. Eines Abends wurde er übersehen, war der letzte im Büro und löste die Alarmanlage aus. Die Polizei kam, fand Xatar abends alleine im verschlossenen Büro. Ein Gangster-Rapper, der laut Berichten im Knast sein sollte. Für den Moment war das kritisch, später konnten wir darüber lachen. 

Meik Schneider:

Als wir uns kennenlernten, kam er mit Samy und seinen Jungs in fetten Ferraris und ausländischen Kennzeichen angefahren. Jahre später hab ich ihn in Stuttgart im Knast besucht. Kaum hatte ich die JVA verlassen, bekam ich eine SMS: ‚Schön, dass du da warst.‘ Witzig, charmant, aufmerksam und immer für eine Überraschung gut. Das war Giwar. 

Giwar Hajabi Foto: WOOD¥

REST IN PEACE XATAR.

 

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