Zum Nachtisch Wolken

Dass selbst Air, die zwei französischen Adligen des Synthesizer-Pop, irgendwelche Wurzeln haben, wussten wir gar nicht. Jedenfalls kehren sie jetzt zu ihnen zurück.

Dem neuen Album von Air liegt eine Reformation zugrunde, so viel vorweg. Jean-Benoit Dunckel und Nikolas Godin haben in den letzten zwei Jahren einen kritischen Blick aufs eigene Werk geworfen und den Eindruck gewonnen, sich von ihren Wurzeln entfernt zu haben.

„Je erfolgreicher man wird, desto kommerzieller wird man“, sagt Godin ganz direkt. „Als wir das neue Album gemacht haben, erinnerten wir uns daran, was uns am Anfang Spaß gemacht hat. Zweckfreie Spielereien mit ßasslinien, Mini-Melodien oder irgendeinem Synthie-Sound, das waren unsere Lieder. Auf den letzten Platten haben wir uns dann selbst beschnitten – das kann man doch nicht machen, haben wir gedacht, und uns bemüht, irgendwie .richtige‘ Platten zu machen, die unserem Status gerecht werden oder so. Was für ein Unsinn. Diesmal haben wir uns treiben lassen und bewusst Sachen aufgenommen, die den Rahmen einer Pop-Platte sprengen.Viele der neuen Songs sind bloß Soundtracks – lange Straßen, auf denen gelegentlich Unfälle passieren: grundlos, unerwartet, einfach nur so.“ Godin sagt das mit einem sehr adlig gelangweilten Tonfall und kaut dazu unhöflich und ein bisschen eklig mit offenem Mund einen Kaugummi, der bestimmt schon längst nicht mehr schmeckt. Der Habitus des überheblichen künstlerischen Modernisten ist das liebste Spiel von Air, und auch diesen Auftritt soll man als Teil des Gesamtkunstwerks verstehen. Wobei Godin gleichzeitig auf amüsante Weise das eigene Werk mit lapidaren Kommentaren abtut, die alten Platten kritisiert und selbst auf dem neuen Werk hier und da eher mittelmäßiges Songwriting ausmacht.

Das gilt allerdings nicht für die Kollaborationen mit Neil Hannon und Jarvis Cocker. Beide waren als Texter engagiert, als Air im letzten Jahr das Album „5 55″ mit Charlotte Gainsbourgh aufnahmen (Vielleicht unsere beste Arbeit überhaupt“, sagt Godin), und der jetzt von Hannon selbst gesungene Song „Somewhere Between Waking And Sleeping“ passte am Ende nicht mehr auf das Album der Pariser Supermuse. Cocker indes kam exklusiv für ein neues Lied ins Studio von Godin und Dunckel. „Er hat eine halbe Stunde gebraucht, um den Gesang zu komponieren und aufzunehmen“, erzählt Godin betont hochnäsig, „der Typ ist eben ein Poet. Aber frag mich nicht, was er da singt. Worte interessieren mich nicht – ihre Aufgabe besteht einzig und allein darin, den Zuhörer in das Universum des jeweiligen Liedes einzuführen.“

Eine grundsätzliche Sache muss man noch sagen zu „Pocket Symphony“, einem tatsächlich sehr spielerischen Album, das an die frühen Veröffentlichungen der Air-Diskografie anknüpft und trotz der bohemehaften Gleichfömigkeit viele schöne, überraschend organisch wirkende Momente hat: Aus Langeweile – das ist hier nun mal die Hauptmotivation – hat Godin bei einer japanischen Musiklehrerin das Spielen der Koto erlernt, einem sehr traditionellen Instrument, das mit Seide bespannt ist und nur mit Mühe meisterlich beherrscht werden kann. Immer wenn Godin auf der neuen Platte japanisch pickt, klingen Air nicht mehr nur französisch, sondern auch ein bisschen fernöstlich. „Das ist Teil meiner Verrücktheit“, macht Godin sich selbst interessant, „Koto zu spielen ist ebenso viel Musik wie Philosophie. Man muss jede Note fühlen. Wir hatten eine ganz andere Version des Albums, bis ich begann, die Koto in die Songs zu integrieren. Du solltest mal den Unterschied hören – es ist enorm, wie ein einzelnes Instrument bereits fertigen Songs eine ganz eigene Stimmung aufdrückt.“ Und wenn es nur eine andere Schattierung von Langeweile ist.

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