Zur 1000. „NDR-Talkshow“: Ein Interview mit dem Gastgeber Hubertus Meyer-Burckhardt

Wir sprachen mit Hubertus Meyer-Burckhardt, der mehr als 500 Sendungen der „NDR Talkshow“ moderierte - den Begriff „Moderieren“ aber nicht mag.

Herr Meyer-Burckhardt, wie kamen Sie 1994 zur „NDR-Talkshow“?

Ob ich Fernsehproduzent bin, Talkshow-Gastgeber oder Buchautor – ich finde nichts so interessant wie den Menschen. Jeder Mensch ist ein Kosmos. jeder Mensch hat eine Angst, jeder Mensch hat eine Hoffnung, jeder Mensch hat. eine Verletzung, die ihn ein Leben lang prägen. Insofern kann ich mir nichts Spannenderes vorstellen als den Menschen. Mich zu nähern über einen Film, ein Gespräch, ein Buch ist als das Spannnendste, was ich mir vorstellen kann. Damals hatte ich zwei Formate in der ARD gemacht, die bei der Kritik erfolgreich waren. Der NDR hatte diese Sendung gesehen und fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, die Talkshow zu machen. Da ich mit dem ROLLING STONE spreche: ich vergleiche mein Schicksal ein bisschen mit Charlie Watts, der auf die Frage, wie er zu den Rolling Stones kam, sagte: Na ja, die machten mir ein Angebot für ein halbes Jahr, ich konnte das Geld gut brauchen – daraus wurden dann 50 Jahre.

Sie waren vorher schon Film- und Fernsehproduzent, Journalist, am Theater engagiert, bei einer Werbeagentur, Sie schreiben Bücher, machen die „Zeitreisen“ beim NDR und die „Frauengeschichten““ im Radio. Wie bringen Sie all diese Arbeiten unter einen Hut?

Es ist das nicht vorhandene Talent, Urlaub zu machen – oder das Unvermögen zum Müßiggang. Ich bin froh, das alles machen zu dürfen. Gefragt, was ich am liebsten mache, sage ich: Alles! Dass ich das alles im Herbst meiner Karriere tun darf, betrachte ich als großes Privileg. ich habe mein Leben lang viel und – drei Ausrufezeichen!!! – GERN gearbeitet, nicht immer und nicht alles, aber meistens. Den Begriff „Work-Life-Balance“ mag ich nicht, weil es impliziert, dass Life nur dann ist, wenn kein Work ist. Ich war nie privat, aber ich war auch nie wirklich im Dienst.

Sind die „Zeitreisen“ mit dem Baedeker im Fernsehen die einzigen Reisen, die Sie unternehmen?

Ich bin ja dauernd unterwegs. Mit meiner Frau war ich kürzlich auf Island, was ich auch musikalisch empfehlen kann, und in Riga in Lettland, wo es eine spannende Musikszene gibt. Im Januar werden wir in Kalifornien sein. Aber. ich bin niemand, der lange am Strand liegt. Ich bin ein Reisender, aber kein Tourist.

Von 1994 bis 2001 haben Sie die „NDR-Talkshow“ moderiert, waren dann eine Weile nicht da und kamen 2008 mit Barbara Schöneberger zurück. Was war der Grund für Ihre Rückkehr?

Den Begriff „Moderator“ mag ich nicht – ich bin Gastgeber einer Talkshow. das amerikanische Wort „Host“ ist mir lieber. „Moderieren“ klingt so nach warmem Duschbad, Schärfen wegnehmen. Wie auch immer. ich habe bei meiner Zeit im Vorstand bei Springer und Pro7 gemerkt, dass ich kein Konzernmann bin, sondern ein Manufakturmann. Heißt, ich bin ein guter Produzent, ein guter Geschäftsführer einer Produktionsfirma, ein ganz guter Autor und ein, wie ich finde, ganz passabler Gastgeber einer Talkshow. Es gibt Leute, die das besser können, und es gibt auch bessere Vorstände. Nachdem ich das also sechs Jahre gemacht hatte, hatte ich Heimweh nach dem Produzentenberuf. Als der Vertrag erfüllt war, ging ich also zurück.

Barbara Schöneberger und Hubertus-Meyer Burckhardt

Und auch zurück zur Talkshow.

Das hat sich so ergeben. Ich ging zur Polyphon-Gruppe nach Hamburg, und Thomas Schreiber, heute Chef der Degeto, fragte mich, ob ich nicht wieder die „NDR-Talkshow“ machen wolle. Ich sagte, das hänge von der Partnerin in der Sendung ab. Ich saß in Brüssel am Flughafen, und Thomas sagte: „Das ist Barbara Schöneberger.“ Klammer auf: Die damals noch kein so großer Star war. Ich kannte sie von drei Begegnungen und dachte: Das ist klasse!

Man erinnert sich an Alida Gundlachs Gespräch mit dem derangierten Klaus Kinski, das immer wieder gezeigt wird. Gab es ähnliche Turbulenzen in einer Ihrer Sendungen?

Barbara hat ihr Meisterstück gemacht, als sie mit Marcel Reich-Ranicki gesprochen hat, der (im Fernsehen) männerfixiert war und mit mir sprechen wollte. Dann haben wir ihn aber mit Barbara gekoppelt. Nach der Sendung sagte er: „Das war ein ganz tolles Gespräch.“ Damit hatte Barbara sehr früh und sehr berechtigt den Segen von Marcel Reich-Ranicki. Gott hab‘ ihn selig, diesen wunderbaren Mann. Mir in Erinnerung geblieben sind vor allem frühe Gespräche mit Lotti Huber, mit Hildegard Knef. Ich habe mehr als 500 Sendungen gemacht. Manchmal sind nicht die Stars am interessantesten, sondern Menschen, die sozial etwas machen, etwa Leute aus der Einsamkeit herausholen.

Haben sie die Urgesteine Dagobert Lindlau, Hermann Schreiber und Wolf Schneider, die 1979 die Gastgeber der ersten „NDR-Talkshow“ waren, kennengelernt?

Dagobert Lindlau nicht. Aber er hat im Hinblick auf den Moderator den schönen Satz gesagt: Der Zuschauer in Deutschland sitzt auf dem Sofa und fragt: „Darf der das?“ Wolf Schneider war später zu Gast in der Talkshow, weil er ein Buch über die „Titanic“ geschrieben hatte. Und Hermann Schreiber war einmal in der Sendung, weil er ein lesenswertes Buch über Gruner & Jahr geschrieben hatte. Ich kannte sie nur als Gäste.

Hatten Sie am Anfang ein Vorbild?

Toll fand ich Johnny Carson und David Letterman. Sie hatten den Vorteil, dass die amerikanische Mentalität vorsieht, dass jeder Gast weiß, dass er Teil der Show ist und sich mitbringt. In anderen Ländern wollen die Gäste nicht aufgeknöpft werden. Und in Deutschland sagen viele: „Eigentlich gehe ich gar nicht gern in Talkshows.“

Oft heißt es: „In Deutschland haben wir ja die Stars nicht.“ Stimmt das nach Ihrer Erfahrung?

Es gibt ein Phänomen, das in dem Wort „Schadenfreude“ kulminiert. Dem wohnt inne, dass wir etwas Gleichmacherisches haben. Der Satz „Der kocht auch nur mit Wasser“ wird immer mit Erleichterung gesagt statt mit Bedauern. Es gab mal eine Sendung im deutschen Fernsehen, die „Leider gut“ hieß. Die Geschichte der Stars in Deutschland ist eine des Niedergangs. Marlene Dietrich war eine „Leinwand-Göttin“. Göttin! Später gab es Uschi Glas, Boris Becker, Michael Schumacher: der Star als Kumpel. Bobbele, Schumi: Verkleinerungen. Schließlich das Dschungelcamp: Der Zuschauer wird eine Position der Stärke gebracht und muss den gefallenen Engel, den Star, aus dem Elend herausholen. Durch die Inflation des Begriffs hat er an Bedeutung verloren.

Wie sind Sie auf die „Frauengeschichten“ – mittlerweile 120 Radiosendungen – gekommen?

Vor einigen Jahren sprach ich mit dem Intendanten des NDR und sagte, dass ich gern eine Radiosendung machen würde, weil ich in diesem Medium noch nie gearbeitet hatte. Ich hatte die Idee, Frauen zu porträtieren. Warum Frauen? Ich wurde von Frauen erzogen. Und ich habe das Gefühl. dass Frauen weniger Selbstmitleid haben. Frauen definieren sich mehr über die Person, Männer über die Funktion. Und ich habe die Beobachtung gemacht, dass Frauen im Alter anarchisch und Männer bedeutungsschwanger werden. Das sind die Gründe, weshalb ich die Reihe vor zehn Jahren begonnen habe. Am Ende wird immer ein Rod-Stewart-Song gespielt.

So ein Zufall: Die letzte Frage betrifft Rod Stewart. Welches Album ist sein bestes?

Ich würde zwei Alben nennen. Sie merken, es kommt wie aus der Pistole geschossen! Das dritte Album, „Every Picture Tells A Story“, hat eine enorme Kraft und Energie. Und die Platte, die er machte, nachdem er 1975 nach Amerika gegangen war, „Atlantic Crossing“, von Tom Dowd produziert. Die Auswahl der Songs ist sehr gut. Obwohl ich lebenslang Rod-Stewart-Fan bin, muss ich sagen: Die verbliebenen Rolling Stones altern besser. Rod Stewart ist auf dem Weg, die amerikanische Antwort auf Ricky Shayne zu werden.

Georg Wendt picture alliance/dpa
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