Review

Von „Twin Peaks“ bis „House of Cards“: Das sind die besten TV-Serien

Das Serienfernsehen erlebt zur Zeit sein goldenes Zeitalter. Noch nie waren TV-Erzählungen so innovativ und komplex. Ein neues Buch feiert dies nun auf effektvolle und doch zugleich kritische Weise.

Vor gar nicht allzu langer Zeit sprach man auf Dinner-Partys noch über die neusten Romane von Philip Roth oder Thomas Pynchon. Irgendwann war der neuste Woody-Allen-Film dann doch interessanter –und um Bücher zu lesen brauchte man ja auch damals schon Zeit. Inzwischen gibt es aber kein Gespräch unter Freunden und Kollegen mehr, das nicht irgendwann zwangsläufig um die gerade angesagtesten TV-Serien kreist.

Die Helden der Gegenwart heißen Frank Underwood, Tony Soprano, Walter White, Hannah Horvath und Don Draper

Keine Frage, das Serienfernsehen ist längst in seinem goldenen Zeitalter angelangt und kann mit Edelprodukten wie „Game Of Thrones“, „Mad Men“, „True Detective“ oder jahrzehntelang laufenden Klassikern wie „The Simpsons“ für sich beanspruchen, das bessere Kino zu sein. So heißt es zumindest immer wieder. Oder man hört, die Serie sei inzwischen der Roman, „The Wire“ die große Tolstoi-Erzählung unserer Zeit.

Ob das wirklich zutrifft und ausgerechnet das jahrzehntelang von Intellektuellen angefeindete Fernsehen mit seinen umfassenden Narrativen für die Rettung des Abendlandes herhalten kann, wird man wohl erst in Zukunft sagen können – wenn der Serien-Boom sich erschöpft hat. Erste Anzeichen, dass nach den Triple-A-Produkten der letzten Jahre die großen Nachfolger auf der Mattscheibe rar gesät sind, gibt es bereits seit dem viel diskutierten Ende von „Breaking Bad“ und längst auch seit „Game Of Thrones“ eben nach fünf Staffeln nicht mehr ähnlich spannend wie zuvor und „True Detective“ in der zweiten Season nicht mehr ähnlich originell ist wie in der gefeierten ersten.

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Ein kiloschwerer Band aus dem TASCHEN-Verlag („Die besten TV-Serien. TASCHENs Auswahl der letzten 25 Jahre“, € 49,99, bereits erschienen) versucht sich nun zum ersten Mal an so etwas wie einer Kanonisierung der Qualitätsserien und führt die besten, bedeutsamsten der vergangenen 25 Jahre zusammen. Beginnend mit den „Simpsons“ und endend mit „True Detective“ werden all jene Programme noch einmal beleuchtet, die in den letzten Jahren vom Feuilleton rauf und runter gefeiert wurden. Die exzellent gewählten Hochglanz-Bildausschnitte vermitteln nicht nur ein gutes Gespür dafür, warum die jüngste Hochzeit der Serie vor allem auf ihre cineastischen Anmutung zurückzuführen ist. Sie imponieren auch als kulturgeschichtlich relevanter Abriss von kollektiv empfundenen, letztlich identitätsstiftenden Emotionen, die längst durch die massive Verbreitung der TV-Serien in den meisten Regionen der Welt fast überall Gültigkeit haben.

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Da verwundert es nicht, dass Herausgeber Jürgen Müller und die aus den verschiedensten journalistischen und akademischen Bereichen stammenden Autoren vor allem einen Blick auf das Quality-TV amerikanischer Prägung geworfen haben. Auch wenn „Geister“, „Borgen“ und „The Office vertreten sind, zementiert das Kompendium sichtbar den Eindruck, dass es wieder einmal die Unterhaltungsindustrie in Übersee ist, die wesentliche Fortschritte in Erzählweise und Darstellung kreativ und wohl auch finanzstark erkämpft hat. Natürlich ist das so nicht ganz richtig. Doch wird wohl kaum jemand die recht ausschöpfende und im Wesentlichen alle Publikums-Hits (von „Friends“ bis „Hannibal“) und Kritiker-Lieblinge (von „Top Of The Lake“ bis „In Treatment“) abdeckende Auswahl von insgesamt 68 Serien in dem etwas umständlich zu lesenden, querformatigen Coffee-Table-Book bestreiten wollen. Auch wenn natürlich der eine oder andere „Sons Of Anarchy“, „Southland“, „Sherlock“ oder „The Returned“ vermissen könnte.

Auch in der schönen neuen Serienwelt steht der Zusammenhalt der Familie im Mittelpunkt

Der Band glänzt mit dem nicht unbedingt einfachen Spagat, sowohl einen hochkompetenten und analytischen Zugang zu der schönen, neuen Serien-Welt zu finden, als auch mit zahlreichen Zitaten und einem hübschen und vor allem vielfältigen Glossar mit Begriffen wie „Kult“, „Cliffhanger“ oder „Chrystal Meth“ das Wissen von Serienjunkies und Gelegenheitsguckern gleichermaßen zu erweitern. Im Vorwort, das nicht ungeschickt den derzeitigen Serien-Hype am Kult um das Drogen-Drama „Breaking Bad“ erklärt, fällt mehrmals das Stichwort Familie.

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Auch wenn die TV-Formate der letzten Zeit in der Narration anspruchsvoller (Motto: ‚Erwarte das Unerwartete‘), moralisch ambivalenter (frohe Botschaften gibt es nicht mehr, zwielichtige Gestalten beherrschen viele Serienstoffe) und in der Ansprache an ein bestimmtes Zielpublikum mutiger geworden sind, wird selbst noch in den hintergründigsten Reihen der familiäre Zusammenhalt gepredigt. Nur eben anders, als es einmal bei den Waltons oder in „Unsere kleine Farm“ geschah. Wie kein anderes Kulturprodukt unserer Zeit erzählen die neueren Serien von der Erosion traditioneller Familienmodelle, ersetzen sie durch neue Formen des fürsorgenden Kollektivs und arbeiten dabei mit gesellschaftskritischen Impulsen wie eigentlich noch nie zuvor in der Geschichte des Mediums.

Segen und Gefahr des Binge-Watchings

Dass sich dieser scheinbar von der Masse längst angenommene Modus, befeuert von Streaming-Plattformen wie Netflix und Amazon, in sein Gegenteil verkehren kann, wird nicht nur in Kauf genommen, sondern als Wachstumsfaktor ausdrücklich begrüßt. Serien haben Suchtpotenzial, sollen es auch haben. Manche Zuschauer schauen ganze Staffeln in einer Nacht durch. Doch das Binge-Watching ist ein Phänomen, das letztlich – das geben die Autoren des bonbonfarbenen Wälzers durchaus zu bedenken – ausgerechnet zum Ende des Fernsehens in seiner derzeitigen Form führen kann.

Hinzu kommen Fragen, die bisher lediglich von besorgten Produzenten aufgeworfen wurden: Wenn der Junkie erst einmal an den Stoff gewöhnt ist, also von TV-Formaten verlangt, dass sie ambivalente Charaktere wie in „The Sopranos“, großangelegte Gesellschaftspanoramen wie in „The Wire“  und komplexe Ausstattungsorgien wie in „Mad Men“, „The Walking Dead“ oder „Game Of Thrones“ zuverlässig liefern wie das Kino seine kostspieligen Effektschlachten, wie soll man den Markt (zumal in Ländern, die ihre Stoffe nicht international verbreiten können) bedienen, wenn die großen Ideen heute auch nicht häufiger sind als zu Shakespeares Zeiten?

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Insofern kommt dieser TASCHEN-Band mit seiner bildstarken, geradezu dionysischen Feier des goldenen Zeitalters der TV-Serie gerade recht, um sich noch einmal der Komplexität und auch Innovationskraft von (man darf es nun ruhig mit diesem Wort sagen) Kunstwerken wie „Akte X“, „OZ“, „The Sopranos“, „Six Feet Under“, „Boardwalk Empire“ oder „Mildred Pierce“ zu versichern.

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