Sounds: Räusche und Geräusche von Jens Balzer mit Abra, Tommy Genesis und Father

Jens Balzer über Abra, Tommy Genesis und Father.

Abra – „Princess“ ★★★★½

Noch weniger wäre dann wirklich nichts. Aber das Fast-Nichts, mit dem Abra uns in ihren Liedern bezirzt, vermag einer oder auch einem verlässlich die tollsten Gänsehäute über den Körper zu treiben. Es braucht nur eine winzige Verschiebung im Beat oder einen knapp hinter der Eins unvermittelt heranrollenden Bass, schon wird einem beim Hören ganz blümerant, so lässig lasziv und überlegen erotisch verbindet die selbst ernannte „Darkwave Duchess“ aus Atlanta ihren gleichermaßen lockenden wie distanzierten Gesang mit minimalistischen Rhythmen und Sounds. Auf dem ebenfalls in Atlanta beheimateten Label Awful Records debütierte sie 2015 mit kunstvoll verschleppten Liedern, sowohl Gothic- als auch R&B-inspiriert, und dem bislang nur in digitaler Form erhältlichen Album „Roses“. Alles, was man von ihr zu hören bekommt, hat sie nach eigener Auskunft bloß mit dem GarageBand-Programm auf ihrem Laptop im begehbaren Kleiderschrank ihrer Eltern aufgenommen, so auch die neue EP, „Princess“, die jetzt als ihre erste Veröffentlichung in Vinylform bei einem größeren Label erscheint. Die fünf Tracks sind ein wenig flotter und tanzflurorientierter geraten, vorangetrieben von 80er-Jahre-Wave-Synth-Sounds und einer funkhaft knuckernden Drummachine. Umso aufregender ist, wie Abra mit ihrem berührend unberührten Gesang in Zeitlupe über den hoppelnden Beats schwebt. (Awful/Matador/Beggars)

Tommy – „Genesis World Vision“ ★★★★

Die zweite Awful-Records-Prinzessin lebt in Vancouver und heißt Tommy Genesis; auf der Abra-EP ist sie in dem Stück „Big Boi“ mit metallisch heruntergepichter Stimme als Duett-Rapperin zu hören. Schon im Kindergarten, erzählt sie in Interviews, sei sie durch farbenfrohe Buntstiftmalereien mit sadomasochistischer Sexualthematik aufgefallen. Mit der Musik auf ihrem Debüt, „World Vision“, schließt sie nahtlos daran an: Zu wiederum verlangsamten, aber noch bleierner verhallten und gröber geschlagenen Trap-Rhythmen singt, spricht und gurrt sie über originelle Obsessionen jeglicher Art. Passend dazu posiert Genesis im Video zu „Execute“ vor malerisch verrosteten Militärfahrzeugwracks und deutschen Hochpreislimousinen. (Awful)

Father – „I’m A Piece Of Shit“ ★★★

Und wie generell im gegenwärtigen HipHop und R&B bleibt auch bei Awful Records der selbstbewusste Blick auf die Welt den singenden und rappenden Frauen überlassen, während Labelgründer Father sich auf seinem neuen, sachgerecht „I’m A Piece Of Shit“ betitelten Album wieder einmal in der weinerlichen Selbstinszenierung des von sich angeekelten Erfolgsmenschen gefällt. Kein Wunder, dass Drake ihn zu seinen Lieblingskünstlern zählt: Father fühlt keine Liebe, ständig tut ihm was weh, er fragt sich, wo das alles bloß enden soll. Trauriger Typ. Aber trotzdem tolle Musik – und solange er zwischen zwei Weltschmerzanfällen solche fabelhaften Künstlerinnen entdeckt, bleiben wir sicher an seiner Seite. (Awful)