Fußball-Jahresrückblick: Werden wir je wieder Weltmeister?

Nach verkorkster WM, Altherrenfußball und Jogi-Krise: Ist die Nationalelf noch zu retten? Von Arnd Zeigler

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Falls jemand an dieser Stelle des Hefts gerade etwas in Eile ist und daher nicht den gesamten Text ­lesen möchte: Ja.

Alle anderen sind herzlich eingeladen, jetzt einfach weiterzulesen. Ist die Nationalelf also noch zu retten? Sagen wir so: Die deutsche Nationalelf ist nach einem komplett versemmelten WM-­Turnier genauso viel oder genauso wenig zu retten wie ein Sänger nach einem schlechten Album, ein Politiker nach einer schlechten Rede oder ein Kolumnist nach einer schlechten Kolumne. Ein Problem bei der Wertung der aus deutscher Sicht niederschmetternden WM in Russland ist die Gesamtwahrnehmung des Desasters. Ja, es war furchtbar! Und gleichzeitig: Ja, es war aber auch erstmalig furchtbar. Und möglicherweise sogar einmalig. Das Turnier war kein Highlight eines endlosen Absturzes, sondern in der Gesamtbilanz bislang ein Ausrutscher nach unten. Legt man nicht die Ergebnisse dieses Jahres zugrunde, sondern den gesamten Arbeits­nachweis von Jogi Löw als Bundestrainer, dann kommt man auf eine Gesamtbilanz, von der England, Spanien oder Italien träumen. Im Falle von England sind es seit 1966 Albträume.

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In diesem Sommer habe ich über die Wahrnehmung der deutschen Nationalelf einiges gelernt.

Erstens: Es gibt auch Fußball-Wutbürger. Die Lust an der Empörung ist inzwischen an vielen Stellen auf eine sehr unappetitliche Weise an die Oberfläche geschwappt. Häufig verbunden mit einem komplett empathiefreien Appetit auf rollende Köpfe.

Zweitens: Es geht bei Diskussionen um Trainer oder sonstige Verantwortliche nur sekundär um den gezeigten Fußball. Primär geht es um nichts als Resultate. Also quasi um Ziffern. Bei der WM in Russland waren nach dem Sieg gegen Schweden erst einmal alle glücklich und wären vor dem Fernsehgerät komplett beseelt durch dieses Turnier geschwebt, hätte Deutschland auch die weiteren Spiele genau so gewonnen, nämlich irgendwie.

Joachim Löw

Drittens: Eine Diskussion dieser Art ist in beinahe allen Fällen befeuert von der persönlichen Enttäuschung der Fans über schlechte Ergebnisse der Nationalmannschaft. Sie ist eng verbunden mit einem persönlichen, privaten Sich-Betrogen-­Fühlen nach einem schlechten Turnier. Das ist aber viertens niemandem vorzuwerfen, denn wer wie der DFB seine Sympathisanten seit etlichen Jahren wie Kunden behandelt, der darf sich dann auch nicht wundern, wenn die ehemaligen Fans sich wie Kunden verhalten: Sie haben bezahlt, sie wollen was sehen, und mangelhafte Ergebnisse werden beanstandet und als ganz schlechtes Preis-Leistungs-­Verhältnis empfunden. Eine Rückrufaktion nach fehlerhaften Spielen ist ja leider unmöglich.

Fans und Medien wollen Opfer sehen

Und das ist das Hauptproblem: Es klafft eine Kluft zwischen der Art und Weise, wie der DFB (oder auch ein Verein, in vergleichbaren Fällen) arbeiten kann und muss, und der Art und Weise, wie Fans und viele Medien umgarnt werden wollen. Mit Ursachenforschung und akribischer Arbeit kommt man möglicherweise wieder aus einem Loch heraus, lockt aber keinen Hund hinter dem Ofen hervor. Fans und Medien wollen nach schlechten Resultaten nicht selten erst einmal Opfer sehen: personelle Konsequenzen möglichst drastischer Natur, notfalls auch gedemütigte Ex-Idole. Selten sind diese Sehnsüchte mit einer konstruktiven Suche nach Verbesserungen verbunden. Meistens werden sie gespeist von einer Hoffnung à la „Wir probieren einfach irgendwas aus, und wenn wir ganz viel Glück haben, funktioniert es dann von ganz allein besser als das Bisherige“.

Jogi Löw hat bei der WM nicht seine beste Performance gezeigt. Die Spieler der Nationalmannschaft auch nicht. Es sollte freilich nach dem Weltmeistertitel von 2014 und allen Resultaten der Jahre davor und danach etwas mehr Vertrauen geben in Menschen, die über einen sehr langen Zeitraum ziemlich gut gearbeitet haben. Alles andere wäre deprimierend. Für jeden von uns.

Jean Catuffe Getty Images
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