Folge 23

Der Irrsinn geht weiter (inklusive Aufforderung an Claudia Roth)

Unser Kolumnist hat keine Lust mehr auf die Kontrolle und den Populismus der sozialen Medien und fordert ein freies soziales Netzwerk (er hat da auch schon eine Idee)

Man kommt aus dem Augenreiben überhaupt nicht mehr heraus. Nach Schweden sind nun auch noch die Italiener in den Abgrund gestürzt. Ausgerechnet Italien! Das vielleicht schönste Land der Welt wird (schon wieder) von Rechtsnationalen beherrscht. Von allen Seiten schleicht es heran: Ungarn, Polen, Tschechien, England, Schweden, jetzt Italien, morgen vielleicht Frankreich. Russland sowieso – und China, Brasilien, Indien und übermorgen vermutlich auch die USA. Der gesamte Planet scheint infiziert, die Weltbevölkerung verwirrt, desorientiert, verpeilt. Wodurch? Was hat diesen Rush der Autokraten möglich gemacht? Es gibt eine relativ klare Antwort:

die sozialen Netzwerke!

Was angeblich geschaffen wurde, um uns zu vereinen und uns näherzubringen (aus wirklichen Freunden wurden virtuelle „Friends“), was uns das Kennenlernen und Anbaggern erleichtern sollte, stellte sich in relativ kurzer Zeit als der perfekte Kanal in jeden Haushalt und direkt in die Gehirne der Bürger heraus.

Und da der Zugriff auf ungefilterte Inhalte, die nicht der journalistischen Sorgfaltspflicht (zumindest In Deutschland) unterliegen, einfach war und ist, da es im Netz keinen Bildungsauftrag und auch keine Hemmschwelle gibt, sind der Verrohung und den niederen Trieben Tür und Tor geöffnet. Das Netz, das von vielen Usern als Ort der freien Wahl der Informationsquellen gesehen wird, ist in Wahrheit gut getarntes und sorgfältig vermintes Gebiet. All die Stimmen die vorher relativ schnell als unseriös enttarnt worden wären treiben hier eloquent ihr Unwesen.

Es geht um Geld und es geht vor allem um die Steuerbarkeit der Seelen, also letztendlich um politische Macht. Noch in den Achtzigern hätten wir uns nicht träumen lassen, dass wir uns die Werkzeuge unserer Überwachung, vor denen wir uns in Orwells „1984“ gewarnt sahen, eines Tages freiwillig in unsere Taschen stecken und auf unsere Kommoden stellen würden.

Vor Kurzem habe ich mit meinem alten Freund Manuel Tessloff mal versucht, Facebook nachzubauen, eine Alternative zu den Zuckerbergschen Datenströmen zu erschaffen, eine Plattform zu erschaffen die unkommerziell und nicht lobbyverseucht ist, einen Raum der Gleichheit, Freundlichkeit, Kreativität und Solidarität bietet und erzeugt und der dennoch Spaß macht. Manuel brauchte nicht allzu lange, dann hatte er das Grundgerüst programmiert, aber als wir im Versuchsmodus waren, fiel uns auf, wie schwierig es sein würde, die (kunstbegeisterten) User auf unsere Plattform zu lotsen. Denn eigentlich braucht man das Geld und die Wo/menpower vor allem dafür, den Menschen diese Alternative bewusst und schmackhaft zu machen.

An jener Stelle gaben wir auf, über die Mittel und Kraft verfügten wir einfach nicht.

Aber an dieser Stelle möchte ich noch mal dazu aufrufen, gemeinschaftlich über Alternativen zum Kraken des Metaversums nachzudenken. Ich fordere Claudia Roth dazu auf, uns (den Künstler*innen) die Bundesmittel dafür in die Hand zu geben, ein gemeinschaftliches freies Netzwerk und somit eine Alternative für alle Menschen zu erschaffen, die nicht am Tropf der US Mediengiganten hängen wollen. Denn wir wissen genau, was wir brauchen und wollen. (Ich fordere beispielsweise das Recht, vergessen zu werden.)

Solange das nicht Realität wird  haben wir nur wenige Möglichkeiten, auf die politischen Umstürze in der Welt zu reagieren. Eine davon ist Boykott. Fahrt nicht mehr nach Italien, solange dieses Land ultrarechts wählt. Wenn alle, die diese Kolumne lesen, das umsetzen, dann kommen bestimmt 16 Urlauber weniger nach Italien, und dann werden die schon ins Grübeln kommen, die Mussolini-Freaks. Ha!

Einige Filme die das Wesen der Netzwerke beleuchten, ihr könnt sie Euch bei ARTE oder auf Netflix anschauen:

  • Im Schatten der Netzwelt – the Cleaners
  • Das Dilemma mit den sozialen Medien
  • Fake America great again
  • Instagram – das toxische Netzwerk

 

Autorenbild von Kerstin Behrendt

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