Shirley Manson im ROLLING-STONE-Interview: „Blockiert solche Leute einfach!“
Shirley Manson im Gespräch über Altersdiskrimierung und das neue Garbage-Album.
„Nach mehr als 30 Jahren Bandgeschichte ist es ziemlich wild, einen komplett neuen Prozess zu erleben“, erzählt Shirley Manson über die Entstehung des neuen Garbage-Albums „Let All That We Imagine Be the Light“. Zum ersten Mal nahm die gebürtige Schottin und Wahlkalifornierin ihre Gesangsspuren zuhause auf, während der Rest der Band – allen voran Schlagzeuger und Produzentenstar Butch Vig (bekannt durch Nirvanas „Nevermind“) – in einem anderen Studio arbeitete. Auch inhaltlich gab es eine klare Veränderung: Während Manson auf dem letzten Longplayer noch ihre Wut in den Vordergrund stellte, dreht sich das neue Album um Hoffnung – und mehr noch: um die Aufforderung, in düsteren Zeiten aktiv zu werden.
Zuletzt machte Shirley Manson Schlagzeilen, als sie lautstark gegen einen Artikel der britischen Daily Mail protestierte, der sie auf abfällige Weise thematisierte. Manson bezog öffentlich gegen Altersdiskriminierung und toxische Schönheitsstandards Stellung – und stieß damit auf viel positive Resonanz. Auch darüber sprachen wir mit der Sängerin im ROLLING-STONE-Interview.
ROLLING STONE: Bei meinem letzten Gespräch mit Ihrem Bandkollegen Butch Vig erzählte mir dieser, dass die Band nie wisse, wovon die Songs handeln werden, bis Sie in die Gesangskabine kommen – und danach ändert sich die Musik in diese Richtung. Ich nehme an, das war beim neuen Album etwas anders, nachdem Sie diesmal Ihre Gesangsspuren bei sich zu Hause aufgenommen haben.
Shirley Manson: Wir haben das Album völlig anders aufgenommen als je zuvor. Die Band hat unabhängig von mir gearbeitet – ich war zuhause, habe mich gerade von einer Operation erholt, während die anderen bei Butch im Studio an Musikideen gefeilt haben. Diese Demos haben sie mir geschickt, und ich habe meine Texte darüber geschrieben – inspiriert von der Musik. Das heißt: Die Musik kam diesmal zuerst. Nach mehr als 30 Jahren Bandgeschichte ist es ziemlich wild, einen komplett neuen Prozess zu erleben. Ich hatte schon vorher entschieden, nach dem sehr kämpferischen, politischen No Gods No Masters, diesmal aus einem anderen Blickwinkel zu schreiben. Ich war durch viele Schmerzen gegangen, emotional wie körperlich. Um mich aus einem depressiven Zustand zu befreien, musste ich mich aktiv mit Positivität auseinandersetzen. Und das hat die Platte stark geprägt – sie klingt ganz anders als alles davor.
Sie haben im Vorfeld gesagt, die Texte der Platte seien wie ein „battle cry for gentleness“. Ist Hoffnung heutzutage ein politsches Statement?
Ja, absolut. Hoffnung ist in der heutigen Zeit ein Akt des Ungehorsams. Sie ist eine Weigerung, die zynischen Botschaften von Regierungen, von Kapitalinteressen, von denen mit Macht einfach hinzunehmen. An eine bessere, gerechtere Gesellschaft zu glauben – das ist Rebellion. Hoffnung ist Widerstand.

Sie leben seit vielen Jahren in den USA, dort herrscht ja mittlerweile ein anderes Klima.
Ich lebe in Los Angeles. Dieses Jahr wurden viele Häuser meiner Freunde durch Waldbrände zerstört, auch mein eigenes Heim war bedroht. Die Regierung leugnet immer noch, dass es das überhaupt gibt – obwohl die Geschichte uns längst eines Besseren belehrt. Das ist sehr frustrierend für alle, die lesen, sich informieren, Al Gore schon vor Jahrzehnten zugehört haben. Ich selbst habe keine Macht – ich bin nur eine einzelne Person, die sich eine bessere Zukunft für alle wünscht.
Shirley Manson: „Ich glaube an eine Zukunft“
Ich meinte mit „Klimawandel“ eigentlich eher die politische Atmosphäre.
Oh ja, auf alle Fälle. Die politische Lage ist furchterregend. Ich kenne wirklich niemanden, der momentan nicht in Sorge ist. Wir haben eine Regierung, die systematisch Gesetze bricht – gegen die sogenannte heilige Verfassung der USA. Es fühlt sich an, als würden wir zusehen, wie sich eine Diktatur formiert. Und das macht vielen große Angst.
Ein Song auf dem Album heißt „There’s No Future in Optimism“.
Der Titel kam von der Band – und ich liebe ihn. Aber ich sehe ihn als Kontrapunkt, als etwas, gegen das ich anschreibe. Ich glaube an eine Zukunft. Ich glaube daran, dass wir unsere Gesellschaften neu denken können. Der Song entstand während des Lockdowns – ich konnte nicht zurück nach Schottland, war in L.A., sah die Ermordung von George Floyd auf meinem Handy. Danach gingen die Black-Lives-Matter-Proteste direkt vor meiner Haustür los, mit Hubschraubern über uns – tagelang. Und dann kam auch noch ein Erdbeben. Ich war vollkommen überfordert, schrie nachts: Ich will nach Hause! Aber das ging nicht. „There’s No Future in Optimism“ beschreibt genau diese Zeit. Und trotzdem bleibe ich radikal hoffnungsvoll – weil ich glaube, dass unser Überleben davon abhängt.
Sie haben dieses Mal die Vocals bei Ihnen zuhause aufgenommen. Wäre eine so intime Performance wie „The Day That I Met God“ in einem Studio möglich gewesen – ein Ort, wo Sie nicht den Platz haben, den Sie in ihren eigenen vier Wänden haben?
Platz? Mein Haus ist wirklich klein (lacht). Aber der Moment war schon besonders. Ich war im Pyjama, barfuß, ungeschminkt – ganz bei mir. Die Aufnahme ist im Grunde nur ein Demo, sehr fragil, sehr verletzlich. Ich habe auch früher schon intime Vocals im Studio eingesungen, mit der Band im Raum. Aber diesmal war es einfach schön, etwas festzuhalten, ohne den Druck, gleich beurteilt zu werden. Ich bin es gewohnt, mit Musikern und Produzenten um mich herum zu arbeiten – deshalb war es für mich besonders, das mal ganz allein zu machen. Ich habe das sehr geschätzt. Gleichzeitig liebe ich das Bandgefühl. Es war einfach eine andere Erfahrung. Und nach über 30 Jahren fühlt sich jede kreative Abweichung wie ein echtes Geschenk an. Man will ja als Künstlerin immer wieder Neues wagen.
Mit Butch Vig haben Sie einen der großen Produzenten der Rockmusik in der Band. Wie ist es, mit ihm zu arbeiten? Ist er in erster Linie Bandmitglied oder kommt auch oft der Produzent durch?
Butch macht eigentlich genau das, was wir alle machen. Er ist Musiker in der Band – und gleichzeitig Produzent, wie wir alle bei Garbage auf unsere Weise. Natürlich ist er als Produzent berühmt, und ich glaube, er sieht sich auch eher in dieser Rolle als in der eines klassischen Musikers – aber das müssten Sie ihn selbst fragen. Mein Gefühl ist, dass er sehr stolz auf seine Arbeit als Produzent ist. Aber er hat das nie als Machtmittel eingesetzt. Er weiß, dass Garbage nur funktioniert, weil wir uns alle auf Augenhöhe begegnen. Und er ist mit Herzblut dabei. Wir haben großes Glück, jemanden mit so einem Talent bei uns zu haben.
Haben Sie als Texterin eine Routine?
Ich bin da ziemlich chaotisch. Es ist jedes Mal anders. Ich habe wenig Disziplin, kritzle ständig Ideen auf Papier, aber am Ende lasse ich mich von der Musik leiten. Eine meiner Schauspieltrainerinnen hat mir mal beigebracht, nicht vorauszuplanen, wie man eine Szene spielt – sondern im Moment zu sein. Das habe ich übernommen: Ich reagiere auf die Musik, lasse sie sprechen, schreibe oft spontan am Mikrofon. Manchmal singe ich einfach drauflos, schreibe dabei die Zeilen auf, gehe kurz raus, überarbeite etwas – und wieder rein. So entsteht vieles direkt im Prozess.

Shirley Manson: „Manchmal habe ich tatsächlich Mitleid mit meinen Bandkollegen“
Garbage sind jetzt seit vielen Jahrzehnten zusammen. Wie hat sich die Dynamik in der Band über die Jahre verändert?
Oh, das ist eine gute Frage. Unsere Dynamik hat sich stark verändert. Manchmal habe ich tatsächlich Mitleid mit meinen Bandkollegen, denn ich bin nicht mehr die Frau, die sie damals eingeladen haben, Teil der Band zu werden. Ich bin heute ein völlig anderes Wesen. Und das hat einiges von ihnen verlangt. Sie mussten sich an die Person gewöhnen, die ich inzwischen geworden bin.
Im Lauf der Jahre hat sich unser Kommunikationsverhalten verändert – vor allem, was mich betrifft. Die Jungs sprechen kaum noch mit mir. Das finde ich ehrlich gesagt oft schwierig. Ich kann sie nur schwer lesen, weil sie mir einfach nicht sagen, was sie denken oder fühlen. Wobei – das war eigentlich nie ihre Stärke. Aber am Anfang unserer Karriere gab es dafür auch keinen Raum und keinen Bedarf. Damals war alles so aufregend, wir waren ständig zusammen, immer im selben Orbit. Es gab so viel Energie, so viel Euphorie – da brauchte es keine tiefgehenden Gespräche oder emotionale Nähe.
Doch mit der Zeit verändert sich das. Die Karriere wird härter. Man wird älter. Die Energie lässt nach. Es wird komplizierter. Versteh mich nicht falsch – wir verstehen uns gut, wir haben ein starkes Band, eine gute Chemie. Aber trotzdem fehlt mir manchmal diese emotionale Verbindung. Ich spreche sehr viel über meine Gefühle – sie tun das nicht. Und mit jedem Jahr wird das, was zwischen uns liegt, ein bisschen undurchdringlicher. Ich war immer die Außenseiterin. Ich bin die Einzige, die aus Schottland kommt. Die Einzige, die eine Frau ist. Und ich bin deutlich jünger als sie. Die drei sind sehr eng miteinander – ich war nie wirklich Teil davon. Und das ist faszinierend. Ich finde sie faszinierend. Sie sind ein Rätsel für mich.
Weil Sie eben meinten, Sie könnten Sachen, die die Band nicht kann – und umgekehrt. Welche Sachen sind das denn?
Ich bin eine Kommunikatorin. Ich liebe es, mit Menschen in Kontakt zu treten. Das macht mich, denke ich, zu einer guten Frontfrau – denn genau das ist ja meine Aufgabe: eine Brücke zu schlagen zwischen der Band und dem Publikum. Ich sehe das als meine Verantwortung, diese Verbindung zu ermöglichen. Außerdem bin ich sehr spontan. Ich bin schnell, treffe rasch Entscheidungen. Die Jungs sind da ganz anders – sie sind viel bedachter. Sie nehmen sich Zeit, denken alles genau durch. Ich hingegen würde vermutlich einfach losrennen und vom Rand der Welt springen, wenn ich allein wäre. Aber sie halten mich zurück – sie erden mich.
Und das ist schön. Es ist wie eine Art natürliches Gleichgewicht. Ich habe kaum Angst – sie schon. Ich springe einfach. Sie überlegen sich jeden Schritt. Und manchmal, ja, kann das lähmen. Aber manchmal ist es auch genau das, was man braucht, um nicht abzustürzen. Ich glaube wirklich, dass wir großes Glück haben mit dieser Mischung – dass sich unsere unterschiedlichen Energien auf eine seltsame, aber sehr funktionierende Weise ergänzen. Vielleicht sehen sie das anders – wie gesagt, ich weiß nicht, wie sie darüber denken, weil sie es mir nie sagen. Aber aus meiner Sicht funktioniert es auf eine ganz besondere Weise.
Sie gelten selbst als Vorbild für viele – nicht nur wegen Ihrer Musik und Texte, sondern auch wegen Ihrer Haltung im Umgang mit Medien und Öffentlichkeit. Hatten Sie zu Beginn Ihrer Karriere selbst Mentorinnen oder Vorbilder?
Oh ja, ich hatte viele Mentorinnen. Meine größte Inspiration kamen dabei immer von meiner Großmutter und meiner Mutter – sie sind die wichtigsten Vorbilder meines Lebens. Was die Musik betrifft, hatte ich riesiges Glück, sehr früh Debbie Harry kennenzulernen. Sie war unglaublich großzügig zu mir und hat mir auf beeindruckende Weise gezeigt, was es bedeutet, als Frau in dieser Branche zu bestehen.
Ebenso hatte ich eine enge Verbindung zu Chrissie Hynde. Beide, Debbie und Chrissie, haben mir durch ihr eigenes Vorbild beigebracht, wie man sich in dieser oft schwierigen und komplexen Industrie zurechtfindet. Natürlich mache ich viele Fehler, und ich enttäusche auch immer wieder Menschen. Aber ich versuche stets, mein Bestes zu geben. Ich arbeite hart und nehme nichts als selbstverständlich hin. Außerdem weiß ich sehr wohl, dass ich großes Glück habe, als Musikerin arbeiten zu dürfen.
Ich hatte auch die Möglichkeit, tiefe Beziehungen zu anderen Künstlerinnen wie Peaches oder Corin Tucker aufzubauen. Diese Art von Sisterhood war und ist in dieser oft gnadenlosen Branche extrem wertvoll für mich. Sie hat mir gerade in schwierigen Zeiten enormen Rückhalt gegeben.

Vor kurzem haben Sie auf einen Artikel der Daily Mail reagiert, in dem Sie auf abfällige Weise thematisiert wurden. Warum war Ihnen dieser öffentliche Widerspruch so wichtig?
Sie hatten ein Jahr zuvor bereits einen ähnlichen Artikel über mich veröffentlicht – damals ging es ausschließlich um mich und meinen Mann, mit Urlaubsfotos aus Mexiko. Überschrift: „Shirley Manson ist nicht wiederzuerkennen“. Dazu zeigten sie alte Bilder von mir aus meiner Jugendzeit. Dieses Mal ging es angeblich um die Band, aber es war offensichtlich, dass ich wieder im Fokus stand.
Auf unserem neuen Album spreche ich genau solche Themen auch in einem Song namens „Chinese Fire Horse“ an. Ich wollte bewusst ein Zeichen setzen – nicht, weil ich glaubte, dass ich die Daily Mail damit irgendwie erreiche, sondern für alle, die solche Artikel lesen oder meinen Post sehen. Ich wollte klarmachen: Auch wenn uns die Gesellschaft ständig weismachen will, wir hätten ab einem bestimmten Alter keine Bedeutung mehr – das stimmt nicht. Wir haben so lange Handlungsspielraum, wie wir unsere Neugier, unseren Mut und unsere Freude bewahren.
Und ich sage das immer wieder in Interviews, weil es so wichtig ist: Zum ersten Mal in der Geschichte sehen wir Frauen – insbesondere Musikerinnen –, die noch in ihren 70ern oder 80ern kraftvolle, selbstbestimmte Karrieren haben. Debbie Harry, Chrissie Hynde, Patti Smith, Stevie Nicks – das sind unglaublich inspirierende Beispiele.
Früher waren Frauen spätestens in ihren Fünfzigern aus dem öffentlichen Leben verschwunden. Heute zeigen diese Künstlerinnen, dass das nicht mehr gilt. Es ist ein wunderschönes Signal – für alle Geschlechter. Natürlich, vielleicht sieht man mit 70 nicht mehr so aus wie mit 25 – aber wen interessiert das? Man hat seinen Verstand, seine Kraft, seine Energie. Und wenn man gesund bleibt und offen für Veränderungen ist, kann man noch ein erfülltes Leben bis ins hohe Alter führen.
„Blockiert solche Leute einfach!“
Heute spielt Social Media eine große Rolle. Als Garbage gestartet sind, gab es das noch nicht. Glauben Sie, dass sich dadurch der Umgang – gerade mit Frauen in der Öffentlichkeit – verändert hat?
Absolut. Es ist der Tod der Etikette. Etikette wurde ursprünglich eingeführt, um das Zusammenleben von Menschen zu ermöglichen – um Eskalationen zu vermeiden. Heute glauben viele, sie könnten jederzeit alles sagen, zu jedem, anonym und ohne Konsequenzen. Ich erinnere mich, wie unangenehm es anfangs war, gemeine Kommentare über mich im Internet zu lesen.
Aber inzwischen hat das alles seine Bedeutung verloren. Heute denke ich: Wenn ich jemanden so sehr aufrege, dass er seine Zeit damit verschwendet, mich zu beleidigen, dann sagt das viel mehr über ihn aus als über mich. Diese Kommentare haben keine Macht mehr über mich. Ich sage jungen Künstlern und Künstlerinnen: Blockiert solche Leute einfach. Geht weiter. Ich persönlich liebe die Block-Funktion auf Instagram.
Jemand ist unhöflich? Blockieren – fertig. Aber trotzdem ist das eine gefährliche Entwicklung. Wenn Respekt und Höflichkeit verschwinden, gefährden wir letztlich uns alle. Wir merken es vielleicht noch nicht, aber gesellschaftlich und politisch hat das bereits spürbare Auswirkungen. Und das bereitet mir große Sorgen.