haftBARS: Ein besonderer Rap-Abend in der Jugendstrafanstalt Berlin
ROLLING STONE war zu Gast bei einem Konzert in der JSA Berlin– und sprach mit dem künstlerischen Leiter Jörn Hedtke.
Seit fast zwanzig Jahren haben junge Insassen der Jugendstrafanstalt Berlin die Möglichkeit, mit professioneller Hilfe Musik zu machen. Das neueste Projekt heißt haftBARS – und gab vor Kurzem ein bemerkenswertes Konzert innerhalb der Jugendstrafanstalt.
Es ist ein sonniger Frühlingstag in Berlin, als ich die letzten Meter zu Fuß zur Jugendstrafanstalt in Charlottenburg-Nord spaziere, vorbei am Hauptgebäude, dessen hohe Mauern mit Nato-Draht abgesichert sind, einer speziellen Variante von Stacheldraht, mit der derartige Hochsicherheitsvorkehrungen oft abgesichert werden. Beim Einlass werde ich freundlich begrüßt und darauf hingewiesen, dass während der Show alle Handys abgegeben werden müssen – zum Schutz der Anonymität der Insassen, die heute auf der Bühne stehen werden. Nach einer Ausweiskontrolle werden wir von Beamten, immer drei bis vier Personen auf einmal, in den Saal geleitet.
Ich betrete einen großen Mehrzwecksaal mit ein paar hundert Stühlen. Im Hintergrund läuft bereits die Musik, die wir gleich live zu hören bekommen. Nach und nach füllt sich der Raum. Unter den Gästen sind viele bekannte Gesichter aus der Hip-Hop- und Musikszene. Ein paar Plätze neben mir nimmt Peter Fox Platz. Auch Nico von K.I.Z., Rapper Megaloh, die Produzenten von The Krauts und Hip-Hop-Podcaster Rooz sind gekommen. Ich plaudere kurz mit Jörn Hedtke (alias Krone), dem künstlerischen Leiter des Projekts, mit dem ich einige Tage nach dem Event noch ein ausführliches Interview führen werde (dazu unten mehr).

haftBARS: Texte über Reue, Sehnsucht, Träume
Gegen 16 Uhr beginnt, nach ein paar kurzen, einleitenden Worten von der Schulleiterin und Organisatorin Birgit Lang aka BiLa, die Show. Auf der Bühne stehen – abwechselnd und in verschiedenen Konstellationen – vier junge Rapper, allesamt geschätzt nicht älter als 22 Jahre. Sie sind Insassen der JSA. Wie sie heißen, erfährt man nicht – auch nicht, warum sie hier sind. In den Texten lässt es sich allerdings erahnen. Musikalisch passiert zu Beginn erstmal eher klassischer Straßenrap, der innerhalb dieses Kontexts allerdings eine ganz andere Schwere bekommt. Textlich werden hier viel weniger Muskel geflext, als dass die eigene Vergangenheit und Gegenwart verarbeitet wird. Es geht um die Enge der Zelle, die Gerüche, die vom Fenster hereinstromen. Um Reue, Sehnsucht und Träume von einem geglückteren Leben außerhalb dieser Mauern. Einmal ist von Raubüberfall die Rede, und auch ohne die Fälle der Musiker zu kennen, ist klar, dass es hier sich um etwas durchaus gröberes als Ladendiebstahl handeln muss.
Es bleibt aber nicht bei reinem Straßenrap, es wird auch ein wenig poplastiger. Später stößt Hedtke am Klavier und auf der Gitarre dazu, auch seine Tochter Lila, selbst Sängerin und Songschreiberin, ist bei mehreren Songs dabei und unterstützt die Musiker mit ihrer starken Stimme; einer der Songs stammt auch von ihr. Nach etwa einer Stunde ist es vorbei, der Applaus ist mehr als nur anerkennend. „Lasst sie frei“, ruft eine Person im Publikum.
Die Ursprünge des Projekts
Ein paar Tage später telefoniere ich mehr als zwei Stunden lang mit Hedkte, seines Zeichens Multiinstrumentalist, Urgestein der deutschen Hiphop-Szene (siehe: Das Department und Bruder & Kronstädta) und vielseitiger Indie-Musiker – und ein Mann mit vielen Funktionen im Projekt haftBARS. Er fungiert als Produzent, Mentor und Pädagoge, aber auch als Respektsperson für die Jungs. Hedkte, das betont er, ist aber keinesfalls der einzige, dem dieses Projekt zu verdanken ist. Die Initialzündung dafür kam von Lang, der Schulleiterin der Helmuth-Hübner-Schule der JSA Berlin und, wie Hedkte sagt, der „Urmutter des Projekts“. Damals traten JSA-Insassen an sie heran und fragten sie nach der Möglichkeit, Musik aufzunehmen. Mit einem alten Kassettenrekorder ihrer Kinder und einem billigen Kaufhausmikrofon startete sie das Vorhaben.

„BiLa war komplett geflasht, als sie die ersten Texte gesehen hat“, erzählt Hedtke. „Die Jungs hatten ein riesiges Bündel an Material – gut geschrieben, diszipliniert, auf einem erstaunlichen Niveau. Da war sofort klar: Da geht mehr.“ Schnell wurde ihr klar, dass sie mit dem Kassettenrekorder an Grenzen stoßen würde – und dass das Projekt auf ein ganz anderes Level gehoben werden müsste. Doch weil Lang im Gegensatz zu Hedtke in der Hip-Hop-Szene nicht vernetzt war, suchte sie jemanden, der das musikalisch und professionell weiterentwickeln konnte. Hedtke arbeitete damals bereits für Gangway, eine Berliner Streetworker-Organisation, und hatte international Erfahrung mit Workshops: „Ich hab viel fürs Goethe-Institut gemacht, wurde als Workshopdienstleister durch die Welt geschickt – Malaysia, Singapur, Neuseeland“, erzählt er. „Ich habe dort Konzerte gespielt, oft mit Workshops verbunden, und war deshalb schon tief drin in dieser Art von Arbeit – gerade mit Jugendlichen, die nicht aus einem gutbürgerlichen Umfeld kommen.“
Das erste daraus entstandene Projekt hieß GittaSpitta – und stieß auf reges Interesse der Musikindustrie. Hip-Hop aus dem Knast? Das klang real und gerade im Straßenrap-Ethos mehr als vermarktbar. Doch schnell wurde klar, dass eine Vermarktung kaum möglich war. Die rechtlichen Hürden waren zu hoch: Inhaftierte dürfen keine nennenswerten Einnahmen erzielen, ihre Identitäten müssen geschützt bleiben, Auftritte oder Promotermine sind ausgeschlossen.
Von GittaSpitta zu haftBARS
Zwanzig Jahre später läuft das Projekt immer noch. Die Jungs von haftBARS bezeichnet Hedtke als intelligent und sehr offen und experimentierfreudig, wenn es um Musik geht. „Einem der Jungs habe ich auch ein bisschen Klavier beigebracht“, erzählt Hedtke. „Ich gebe Instrumentalunterricht, wenn jemand Lust hat.“ Der junge Mann sei musikalisch extrem offen: „Er hat von Anfang an gesagt: Ich liebe Rap, ich liebe HipHop – aber genauso Pop, Rock, alternative Musik. Das ist für mich ein Glücksfall. Erstens, weil es meinem eigenen Geschmack entgegenkommt – ich finde diese ganz puristischen HipHop-Ansätze oft etwas eindimensional. Und zweitens ist das ein ganz pragmatischer Zugang: Er will, dass die Leute ihm zuhören. Und es ist ihm völlig egal, ob das HipHop-Leute sind oder nicht.“
(Im Bild oben: Jörn Hedtke)
„Auch aus Resozialisierungsgründen ist es wünschenswert, nicht in der typischen Gangsta-Rap-Schiene zu verharren“, so Hedtke weiter. „Sondern zu sagen: Hört auch mal andere Sachen, probiert euch aus. Entdeckt aktiv neue Musikstile für euch. Je größer die Bandbreite, desto größer die Chance, irgendwo Fuß zu fassen.“
Keine Zensur bei den Texten
Ob es eigentlich bei den Texten Grenzen beziehungsweise einen Rotstift von Außen gäbe, will ich wissen. Hedtke verneint. Die Textarbeit sei sehr frei. Natürlich sei nicht alles erlaubt, Gewaltaufrufe etwa hätten keinen Platz. „Aber das ist bisher eigentlich nie ein Thema gewesen. Die wollen ja was loswerden. Die wollen sich ausdrücken. Und das ist oft sehr persönlich, sehr reflektiert.“ Die Texte seien allesamt autobiografisch, natürlich mit der künstlerischen Freiheit, auch mal aus dramaturgischen Gründen etwas zu verdichten. Für die JSA-Insassen sei das Texten ein wichtiger Prozess: „Das wurde uns auch von den Psychologinnen bestätigt: Bei der Textarbeit passiert sehr, sehr viel.“
Die Arbeit von Hedtke und Lang geht weit über das Musikprojekt haftBARS hinaus. Gemeinsam verantworten sie auch den Podcast Zweidrittel FM – ein Format, das direkt aus dem Berliner Jugendgefängnis sendet. Junge Inhaftierte erzählen darin vom Alltag hinter Gittern, sprechen über Erfahrungen, Routinen, Träume und Ängste. „Viele von den Songs, die du jetzt gehört hast, von haftBARS, sind auch im Rahmen dieses Podcasts entstanden“, sagt Hedtke. „Wir haben damit sogar einen Medienpreis gewonnen – als einzige Independent-Produzenten, zwischen Formaten von ProSieben und anderen Großanbietern.“ Die Konzerte bekommen immer wieder prominente Unterstützung: So ließ sich im Publikum neben Rap-Größen auch Superstar Herbert Grönemeyer blicken.
Hedtke und Lang, daran besteht schon am Abend in der JSA für mich kein Zweifel – und nach dem Gespräch mit ihm erst recht nicht –, leisten mit ihrer Arbeit einen großartigen und wichtigen Beitrag: Sie schaffen einen kreativen Entfaltungsfreiraum für junge Menschen, der ihnen innerhalb der engen Gefängniszellen sonst verwehrt bliebe. Sie ermöglichen es den Insassen, ihre problematischen Erfahrungen und Lebensumstände ohne pädagogischen Zeigefinger und ohne aufoktroyierte Reueformeln in Rapform auszudrücken. Dabei schaffen sie Raum für Selbstreflexion – und für Selbstermächtigung. Ein Ventil, aber auch eine mögliche Zukunftsperspektive.