Album-Guide: The Grateful Dead – diese Platten müssen Sie kennen
Von unverzichtbaren LPs bis zu Highlights aus dem riesigen Katalog der Band – wir beleuchten die Werke von Bob Weir, Mickey Hart, Jerry Garcia, Phil Lesh und dem Rest der Band über die Jahrzehnte hinweg
Unverzichtbar: „Live Dead“ (1969)
Das ultimative Live-Dokument der Grateful Dead. Ein Kandidat für das beste Live-Rockalbum aller Zeiten ist besonders dieses Doppelalbum, das während der ausgedehnten „Aoxomoxoa“-Sessions entstand. Es enthält die endgültige Version von „Dark Star“, dem heiligen Gral der Dead-Setlists, sowie „The Eleven“, eine atemberaubende Komposition von Phil Lesh im 11/8-Takt. „Turn On Your Lovelight“ ist das vollkommene Dokument von Ron „Pigpen“ McKernans Hippie-Biker-R&B, und „Death Don’t Have No Mercy“ zeigt Jerry Garcia in seiner dunkelblauen Höchstform.
Unverzichtbar: „Workingman’s Dead“ (1970)
Die Band bekennt sich zu ihrer Liebe zur Country-Musik und den Harmonien von Crosby, Stills, Nash and Young und erschafft das perfekte Americana-Album – Jahre bevor das Genre überhaupt benannt wurde. In einem überwiegend akustischen Set erreicht die Songwriting-Partnerschaft zwischen Garcia und Texter Robert Hunter ihren Höhepunkt. „Uncle John’s Band“ feiert die Identität und Gemeinschaft der Gruppe. Und die Koks-Warnfabel „Casey Jones“ verschaffte der Band zum ersten Mal ernsthafte Radio-Airplay.
Unverzichtbar: „American Beauty“ (1970)
Die Schwester-LP zu „Workingman’s Dead“, nur vier Monate später veröffentlicht, profitierte weiterhin vom Songwriting-Höhenflug und neuen Einflüssen. Das Ergebnis ist ein etwas vollerer Sound, eine hellere Stimmung und vielleicht – Song für Song – ihr stärkstes Set überhaupt. „Ripple“ und Leshs Durchbruch „Box of Rain“ zeigen die Dead von ihrer tiefgründigsten Seite, und „Sugar Magnolia“ und „Truckin’“, beide vorgetragen vom jungen Bandmitglied Bob Weir, trafen genau den „Noodle-Dance-Boogie“-Stil, der sie von einer Studenten-Kultband zu einer stadionfüllenden Erscheinung machte.
Unverzichtbar: „Europe ’72“ (1972)
Nachdem sie ihr Bühnenspiel perfektioniert hatten, ging es für die Dead nach Übersee – mit einem mobilen 17-Spur-Studio im Gepäck. Das Ergebnis ist eine der seltenen Ausnahmen: ein essentielles Dreifachalbum. Es mischt überarbeitete Klassiker (eine aufgeblasene „Morning Dew“-Version, das paradigmatische Medley „China Cat Sunflower“/„I Know You Rider“) mit erstklassigem neuen Material („Jack Straw“, „He’s Gone“), alles mit improvisatorischer Energie und fast Studio-ähnlichem Sound. Es dokumentiert den Übergang der Band von heftigem Psychedelic-Blues zu jener sanfteren, tanzbärigeren Musik, die ihre Shows definieren sollte.
Auch gut: „Anthem of the Sun“ (1968)
Der erste Versuch der Band, ihre kopfexplodierenden Konzerte auf Band festzuhalten, resultierte in diesem wilden Ritt – einer Collage aus Studio- und Live-Aufnahmen, epitomisiert durch „That’s It for the Other One“, eine Suite, die teilweise eine Hommage an Merry-Prankster-Busfahrer Neal Cassady ist. Ihr Coda deutet die Beatles’ „Revolution #9“ voraus, und ihr tosender Mittelteil wurde zu einem Konzert-Staple. Derweil ist das kazoo-getriebene „Alligator“ ein spektakulärer Crash zwischen Pigpens erdigem Electric-Blues und den jazzigen, lunaren Klangexpeditionen seiner Bandkollegen – eine Vorwegnahme der Allman Brothers, deren Debüt ein Jahr später erschien.
Auch gut: „Aoxomoxoa“ (1969)
Aufgenommen nach dem Zusammenbruch der San-Francisco-Szene, spiegelt der Höhepunkt der experimentellen Phase der Dead einen LSD-Trip im Miniaturformat wider. Passend dazu ist es ein Wirbel aus grellem Licht (die Opener „St. Stephen“ und „China Cat Sunflower“) und Dunkelheit (spukige Abschlüsse „Mountains of the Moon“ und „What’s Become of the Baby“), angetrieben von Hunters verschmitzt-entrückter Poesie und einem Spielplatz aus modernsten 16-Spur-Aufnahmetechniken. Bis heute eines der befriedigend verrücktesten Rockalben aller Zeiten.
Auch gut: „Grateful Dead“ (1971)
Ein weiteres Live-Set (auch bekannt als Skull-Fuck bzw. Skull and Roses), dieses Mal mit Overdubs, das die Tradition fortführt, Songs einzuführen, die es nie ins Studio schaffen würden – etwa das ausgelassene „Bertha“ und die seelenvolle Bettlerklage „Wharf Rat“. Es etablierte „The Other One“ sowie Cover-Medleys wie „Not Fade Away“ > „Goin’ Down the Road Feelin’ Bad“ als geliebte Jam-Mittelstücke. Und das Artwork von Kelley-Mouse ist eines der ikonischsten Albumcover der Musikgeschichte.
Auch gut: „Blues for Allah“ (1975)
Das Musiker-Meisterwerk der Dead, vielleicht ihr jazzigstes und virtuosestes Set, entstand während einer seltenen Tourpause im Heimstudio von Weir. Die eingängigsten Songs sind „Franklin’s Tower“ (dessen zentrales Riff womöglich bewusst an Lou Reeds „Walk on the Wild Side“ erinnert) und „The Music Never Stopped“, ein funkiger Marsch mit Duett-Gesang von Neuzugang Donna Jean Godchaux. Aber die Hälfte des Vergnügens sind die instrumentalen Stücke: das verschnörkelte Speed-Stück „King Solomon’s Marbles“, das verzwirnte „Help on the Way“-Coda „Slipknot!“ und das pastorale „Sage & Spirit“.
Auch gut: „Terrapin Station“ (1977)
Hit-Veteran Clive Davis nahm die Dead bei Arista unter Vertrag, und dies war die erste Frucht: eine auf Hochglanz produzierte LP mit einer seitenlangen Titelsuite – ein episches Lagerfeuermärchen, getextet von Hunter, süß gesungen von Garcia und untermalt von Aaron-Copland-haften Orchestrierungen von Paul Buckmaster sowie glänzender Produktion durch Fleetwood-Mac-Weggefährte Keith Olsen. Sogar Garcias Gitarre verwandelte sich durch blubbernde Envelope-Filter-Effekte auf „Estimated Prophet“ – ein Sound, der später zur festen Größe wurde.
Tiefere Schichten: „Grateful Dead “(1967)
Auf Wunsch ihres Labels nahmen die Dead ihr Debüt im RCA-Studio in Hollywood auf – anstatt in ihrer Heimatbasis San Francisco. Das Ergebnis war ein Set elektrifizierter Folk-Blues-Cover, das eine Band auf Amphetaminen vermuten lässt. (Waren sie auch.) Highlights sind ein donnerndes Reboot der 1930er-Single „Sitting on Top of the World“ der Mississippi Sheiks; das baldige Signature-Cover „Cold Rain and Snow“; eine 10-minütige Entfaltung von Gus Cannons „Viola Lee Blues“ von 1928; und ein paar fast-gelungene Originals: „Cream Puff War“ und „The Golden Road (To Unlimited Devotion)“.
Tiefere Schichten: „Wake of the Flood“ (1973)
Das selbstproduzierte Debüt auf ihrem eigenen Label ist entspannt – manchmal fast zu sehr. Doch die Songs sind durchweg hochwertig, viele bereits Konzert-Highlights. Vorreiter ist der gestreckte Tanzjam „Eyes of the World“. Weitere Highlights: „Mississippi Half Step Uptown Toodeloo“ mit Vassar Clements’ swingender Hot-Club-Violine und das exquisite stoner-philosophische „Stella Blue“, Namensgeber unzähliger Boote, Bars und Welpen.
Tiefere Schichten: „From the Mars Hotel“ (1974)
Ungewöhnlich durch gleich zwei Songs, die vom Bass-Magier und abtrünnigen Klassikstudenten Lesh geschrieben und gesungen wurden – das schwankende „Unbroken Chain“ mit außerirdischen Synths und das lässige „Pride of Cucamonga“. Der Rock-Favorit „Scarlet Begonias“ ist der Keeper. Weitere Höhepunkte: das post-Watergate-Stück „U.S. Blues“, das heute noch aktuell wirkt, und das spitzzüngige „Ship of Fools“, Jahre später gefühlvoll von Elvis Costello gecovert.
Tiefere Schichten: „In the Dark“ (1987)
Der Arista-Deal war teils ein von der Band unterstützter Versuch, sich „zu verkaufen“. Mit dem unwiderstehlich gemütlichen „Touch of Grey“ gelang ihnen das. Die Texte sind durchweg solide, mit der Hunter-Garcia-Ballade „Black Muddy River“ als ruhigem Höhepunkt – ein wiederkehrender Albtraum Hunters, eingebettet in ein Symboluniversum der Dead: Berge, Monde, Sterne, Sonnen, Wellen und „the last rose of summer“.
Tiefere Schichten: „Cornell 5/8/77“ (2017)
Die verschiedenen Archiv-Reihen der Dead – Dick’s Picks, Dave’s Picks, From the Vault – sind ein eigenes Universum. Basierend auf einem weit verbreiteten Bootleg galt dieses Konzert in Ithaca, New York, für Jahre als vielleicht bestes Dead-Konzert überhaupt. Ob das stimmt, bleibt strittig – aber der brennende „Scarlet Begonias“ > „Fire on the Mountain“-Jam und die auferstehende Majestät von „Morning Dew“ lassen keine Zweifel zu.
Einzelstücke: „Bird Song“ („Garcia“, 1972)
Diese Elegie auf Janis Joplin auf Garcias Solodebüt enthält nicht die ganze Band, wurde aber ein wunderschöner Konzert-Fixpunkt der Dead.
Einzelstücke: „Playing in the Band“ („Ace“, 1972)
Weirs Solodebüt ist eine Dead-LP in allem außer dem Namen, und dieses Stück wurde über die gesamte Karriere hinweg ein vertrauter Jam-Startpunkt im zweiten Set.
Einzelstücke: „Hard to Handle“ („The History of the Grateful Dead, Vol. One, Bear’s Choice“, 1973)
Ein mitreißendes Otis-Redding-Cover, live 1970 aufgenommen und veröffentlicht als Teil dieser Art Tribute an den Sänger und Keyboarder, der 1973 starb.
Einzelstücke: „Stella Blue“ („Steal Your Face“, 1976)
Eine schmerzvolle, über acht Minuten lange Live-Version dieses nachdenklichen Juwels aus Wake of the Flood.
Einzelstücke: „Shakedown Street“ („Shakedown Street“, 1978)
Der Höhepunkt dessen, was Fans und Kritiker gleichermaßen als „Disco Dead“ bezeichneten – mit präziser Produktion von Little-Feat-Schlüsselspieler Lowell George.
Einzelstücke: „All Along the Watchtower“ („Dylan & the Dead“, 1985)
Das Highlight eines sonst erstaunlich schwachen Dokuments dieser einzigartigen Tour.
Einzelstücke: „Mason’s Children“ („So Many Roads“, 1999)
Dieses Outtake aus den Workingman’s Dead-Sessions spielt laut Hunter vage auf das Horror-Spektakel von Altamont an.
Einzelstücke: „Standing on the Moon“ („Built to Last“, 1989)
Ein müder Blues über menschliche Torheiten mit spezifischen Verweisen auf Südostasien und El Salvador – einer der politischeren Songs der Band.
Einzelstücke: „Days Between“ (Los Angeles Sports Arena, 19.12.94, archive.org)
Das letzte Meisterwerk von Garcia und Hunter: eine dunkle, wunderschöne Meditation über den Bogen des Lebens.