Deep Purple

„Made In Japan“ – Orkanböen in Osaka

Universal (VÖ: 15.8.)

Zum 50. Jubiläum erscheint Deep Purples Live-Monument in neuen Konfigurationen und Klangformaten. Hand aufs Hardrock-Herz: Besser geht’s nicht!

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Es gibt kaum Nebengeräusche auf „Made In Japan“. Keine nervigen Zwischenrufe, keinen ohrenbetäubenden Jubel, kein unpassendes Geklatsche. Das liegt natürlich vor allem an der klugen Mikrofonierung vor Ort, der Aufnahmetechnologie und der nachträglichen Entscheidung, das Publikum weitestgehend wegzuregeln, was dem Hörerlebnis zum Glück nicht den Sauerstoff abgedreht hat. Viel schöner ist allerdings die Vorstellung, die japanischen Fans, die aufgrund ihrer kulturellen Veranlagung ohnehin nicht zu enthemmten Beifallsbekundungen neigen, wären im Angesicht der orkanartigen Darbietungen des britischen Quintetts in eine Schockstarre gefallen.

„Made In Japan“ gehört neben Van Morrisons „It’s Too Late To Stop Now“, dem „Hammersmith Odeon“-Mitschnitt von Bruce Springsteen & The E Street Band und Neil Youngs „Live Rust“ zu den unbegreiflichsten Konzertdokumenten (I know … „Live At Leeds“), die der Unterhaltungsmusiksektor jemals hervorgebracht hat. Zum 50. Jubiläum bekommt das Album sein bislang opulentestes Outfit. Nach Deluxe-Editionen in den Jahren 1993, 1998 und 2014 war das so sicher wie die Wachablösung vor dem Buckingham Palace. Die umfangreichste der verschiedenen Konfigurationen enthält wahlweise zehn LPs oder fünf CDs und eine Blu-ray. Wieder mit den drei Shows aus Tokio und Osaka.

Die klanglichen Unterschiede sind homöopathischer Natur

Für Mehrwert möchte Steven Wilson sorgen, der sämtliche Spuren noch einmal mit der Pinzette angefasst hat. Die klanglichen Unterschiede sind homöopathischer Natur. Mal wummert Ian Paice’ Bassdrum, als würde ein Obermieter im Takt mithämmern. Mal wölbt sich Roger Glovers Bass förmlich aus den Boxen. Für Menschen, die in einem Multiplex-Kino wohnen oder in einem Privatschloss mit vergoldeter Surround-Anlage, gibt es das Ganze auch noch in Dolby Atmos. Wilsons High-Fidelity-Bemühungen sind sicher aller Ehren wert, wirken aber ein bisschen wie eine Kunstausstellung im Virtual-Reality-Format: Man kann in den Caravaggio jetzt auch hineingehen!

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Der wahre Held hinter den Kulissen von „Made In Japan“ ist Martin Birch. Er war es, der die völlig entfesselt aufspielende Band in einer nicht nur für damalige Verhältnisse erstaunlichen Klangqualität festgehalten hat. Wie ihm das, ausgestattet mit einem Achtspurbandgerät, gelungen ist, wird für immer sein Geheimnis bleiben. Der Toningenieur, der später die großen Meisterwerke von Iron Maiden produziert hat, wusste genau, worauf es seinen Schützlingen ankam: eine untenrum druckvolle, noch im wildesten Gewirbel klar definierte Rhythmuseinheit. Ritchie Blackmores E-Gitarre sollte so authentisch wie möglich die volle Distortion-Palette abbilden, ohne dabei ins Blecherne zu übersteuern. Jon Lords Blues, Klassik und Jazz anzapfende und mitunter ins Prog-Rock-Fach ausfransende Orgel sollte in ihrer ganzen irrlichternden Pracht durch den Raum flackern. Und über allem würde Ian Gillans ekstatischer Gesang thronen.

„Made In Japan“ ist vielleicht Deep Purples wichtigste Platte. Einige Songs finden darauf ihre definitive Version. Das Riff-Monster „Smoke On The Water“ entfaltet hier noch mehr aggressive Schönheit als auf „Machine Head“. „Child In Time“, das eine ähnlich grandiose Filmszene verdient gehabt hätte wie der Doors-Song „The End“ in „Apocalypse Now“, ist das Highlight auf „Deep Purple In Rock“. Aber erst live gerät es zum verzweifelten Fanal – ein Urschrei, der Ian Gillans Stimmbänder an den Rand des Machbaren und andere Rocksänger, die sich daran versucht haben, in den Wahnsinn getrieben hat.

Diese Review erschien zuerst im Rolling Stone Magazin 9/2025.