40 Jahre „Golden Girls“: Käsekuchen-Weisheiten

Die Großmutter aller Sitcoms definierte das Genre und brach gleich mehrere Tabus. Doch es gibt andere Gründe für ihre Alterslosigkeit.

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Es gibt alle Staffeln der „Golden Girls“ auf DVD. Aber wer schaut schon noch DVDs? Sehen kann man Sophia, Rose, Blanche und Dorothy auch bei Disney+. Aber ihre ganze Wirkung entfaltet die Damen-WG erst, wenn man sie zu sehr später Stunde im Disney Chanel schaut. Dann schubsen einen ihre Weisheiten („Manchmal ist das Leben wie ein Glas Mayonnaise – man weiß nie, was drin ist, bis man es öffnet und anfängt zu weinen“) und Eitelkeiten („Meine Schönheit ist ein Geschenk! Wie das Lächeln der Mona Lisa – nur mit schöneren Zähnen“) und Gehässigkeiten („Schlaf jetzt, mein Schatz. Bete für mehr Verstand“) sanft hinüber in den Schlaf.

Als die „Golden Girls“ 1985 auf NBC starteten, war die Idee, eine Sitcom über vier ältere Frauen zu machen, ein Wagnis. Heute, 40 Jahre später, erscheint sie ziemlich allein auf weiter Flur. Ja, es gibt „Grace And Frankie“, „Hacks“ und „Hot in Cleveland“, aber eine weitere intelligente, witzige Serie über das Altern in Gemeinschaft hat das Fernsehen nicht mehr hervorgebracht. Und so bleibt festzuhalten: Kaum eine Serie hat das Bild von Frauen – insbesondere älteren Frauen – in der medialen Wirklichkeit so nachhaltig verändert.

Liebevoller Spott

Es ist schon eine Pointe für sich, dass diese Großmutter aller Sitcoms im Grunde eines der Prinzipien dieses Formats vollkommen auf den Kopf stellt. Freundschaft erscheint hier als Gegenentwurf zur romantischen Erlösung. Die „Golden Girls“ leben in einer Welt NACH den Männern: Dorothy (Bea Arthur) ist geschieden, Blanche (Rue McClanahan) verwitwet, Rose (Betty White) betrauert die Abwesenheit ihres Mannes nahezu jeden Tag und Sophia (Estelle Getty), Dorothys Mutter, ist ohnehin zu alt für amouröse Illusionen und zerstört mit sarkastischen Sprüchen die Hoffnungen der anderen, wenn sie einmal mehr schwach werden.

Die Kümmernisse der Liebe werden hier verspottet von einem Witz, der Loyalität und Differenz feiert (Blanche: „Weißt du, was sexy ist? Selbstvertrauen. Deshalb entschuldige ich mich nie für irgendetwas – außer einmal, vor meinem Spiegel, weil ich ihn beschlagen habe“).

Es gibt in der Serie keine emotionalen Versprechen, nichts worauf die Handlung hinauslaufen würde (außer, und das bleibt nicht ausgespart, der Tod!). Ehemänner und Familienmitglieder tauchen immer wieder an der Peripherie auf, sie wirken im Vergleich zu der Bande der Freundinnen kümmerlich – und das treibt die Frauen auch an, sich um sie zu kümmern, egal was passiert. Man schaut auch diesen immer wieder verschwindenden Begleitern gerne zu, allen voran Stan. Der Ex von Dorothy wird von Herb Edelman köstlich zwischen Erbärmlichkeit und trauriger Unbeholfenheit gespielt.

Der unübersehbare Feminismus der „Golden Girls“ kommt ohne Krallen daher, allenfalls mit Schulterpolstern. Während viele Serien Frauen entweder als Rivalinnen oder als Abhängige von männlicher Aufmerksamkeit inszenierten (siehe Bechdel-Test), betritt man hier eine Insel der Solidarität. Es geht um Komplizinnen, die aber auch Korrektiv sein dürfen: Dorothy kontert mit ihrem trockenen Intellekt, Blanche spielt mit ihrer Sinnlichkeit, Rose verzaubert (oder verstört, wie man will) mit ihrer naiven Herzensgüte und Sophia führt stets die schonungslose Direktheit der Alten ins Feld, die nichts mehr beweisen müssen.

Wenn man einen „weiblichen Humor“ unterstellen will, dann ist es stets ein Lachen aus der Erfahrung des Frauseins heraus.

Frauen, die bissig und klug sind und trotzdem über Sex reden

Die „Golden Girls“ entlarven eine Gesellschaft, die ältere Frauen entweder als wehklagende, schrumpfende Mütter abstempelt oder sie mit Unsichtbarkeit abstraft. Dabei karikieren die Damen allesamt auch Klischees von Männlichkeit – Blanche ist ein Don Juan mit Lippenstift, Dorothy gibt sich als weiblicher Woody Allen, und das gewiss nicht mit weniger Neurosen.

Wenn Dorothy etwa auf Blanches Anzüglichkeit mit einem genüsslichen Kommentar für das im Saal auf Pointen wartende Publikum reagiert („Schnallen Sie sich an, es wird eine holprige Nacht“/Fasten your seatbelts, it’s going to be a bumpy night), dann ist das nicht nur ein lässiges Zitat aus „Alles über Eva“ (All About Eve, 1950), sondern auch ein Beweis dafür, dass Frauen klug, bissig und kulturell gebildet sein dürfen – und trotzdem über Sex reden können. In den 80ern, das nur zur Erinnerung, waren Frauen im TV höchstens klug oder bissig oder kulturell gebildet und sie frotzelten selten über Sex.

Die Stars der Serie wurden selbst zu Ikonen der Fernsehbranche, auch weil sie bereits eine Karriere vorzuweisen hatten, als sie bei nächtlicher Runde Käsekuchen am Küchentisch verspeisten. Rue McClanahan war mehr als zehn Jahre jünger als Betty White – und fast 15 Jahre jünger als Bea Arthur. Estelle Getty, die älteste der WG-Bewohnerinnen, musste extra älter geschminkt werden, sie war 62 Jahre alt, als die Dreharbeiten begannen.

Die Darstellerinnen hatten, jede auf ihre Weise, bereits Jahre zuvor den Ton gesetzt. Bea Arthur brachte aus „Maude“ den feministisch-sarkastischen Ton mit, und Betty White spielte gegen ihr Image der „amerikanischen Sauberfrau“ an. Letztere war auch schon ein Star der „Mary Tyler Moore Show“ und spielte bis zu ihrem Tod im hohen Alter von 99 Jahren noch in zahlreichen Comedy-Formaten mit.

Altern als neue Form des Bewusstseins

„Female Empowerment“ mag längst zu einem Marketing-Schlagwort verkommen sein und hält als Begründung für jede noch so schiefe Erzählung her. Aber was die „Golden Girls“ vor all den gesellschaftspolitischen Schlaglöchern ausweichen lässt, ist eine weibliche Stärke, die nicht aus dem Pathos einer schrankenlosen Selbstoptimierung entsteht. Sie entfaltet sich eher aus der Fähigkeit, gemeinsam über das eigene Scheitern (und das der anderen) zu lachen.

Ihre Gespräche über Einsamkeit, körperliche Gebrechen oder sexuelle Sehnsucht sind frei von jeder Peinlichkeit und suchen bei den Zuschauern auch keine Verschwisterung im kollektiven Schicksal zu erzeugen. Altern, da wird es fast philosophisch, wird hier als eine neue Form von Bewusstsein gezeigt. Oder wie Dorothy es zu einem einschlägigen Thema ausdrückt: „Ich habe keine Ahnung, wie alt ich bin, aber ich weiß, dass ich für dieses Gespräch zu alt bin.“

Die immer besser werdenden Drehbücher und das selbstsichere Spiel der Schauspielerinnen (nicht zu vergessen die vielen Nebenrollen und Gaststars, darunter Leslie Nielsen als Blanches Onkel und Dorothys Kurzzeitehemann, ein blutjunger George Clooney als Polizist und Burt Reynolds als Burt Reynolds) erlaubte es, auch heikle Themen anzusprechen, wie es für Comedy-Serien eigentlich viel zu selten der Fall ist.

Hier waren die „Golden Girls“ radikaler und politischer als fast alle ihre Vorgängerinnen und oft progressiver als ihre liberalen Erbinnen. Konservative Denker werden freundlich lächelnd im Gespräch auf der Couch abgestraft. Sex, Tod, Religion und Krankheit spielen in fast jeder Folge eine Rolle, und das völlig ohne Scham. Es wird sogar unverblümt über Depression verhandelt. Weil auch offen Homosexualität und Aids-Angst gezeigt wird (in einer Folge glaubt Rose, sich bei einer Bluttransfusion infiziert zu haben), gilt die Sitcom zudem als kultureller Fixstern der LGBTQI+-Gemeinschaft. Nicht zu vergessen, dass es Episoden über Hospize, Organtransplantationen, Alzheimer und Pflegebedürftigkeit gibt.

Altern und die Aussicht aufs Sterben sind schließlich die Grundlage für die eigenartige Spannung, die all die wärmenden freundschaftlichen Momente umreißt. „Du weißt, dass du alt bist, wenn du mehr Freunde in der Todesanzeige als im Telefonbuch hast“, sagt Sophia ungerührt. Erfahrung, das lehren uns die „Golden Girls“, ist die Quelle für Selbstironie, ganz gewiss nicht Coolness. Die Jungen haben noch einiges zu lernen.

„Golden Girls“ und ihr Käsekuchen

Letztlich geht es um Trost und Fürsorge. Und hier kommt der Käsekuchen wieder ins Spiel. Der beste Running Gag der Serie (neben Roses Erzählungen aus St. Olaf, Blanches unstillbarem Appetit auf Männer, Sophias Sizilien-Erinnerungen und Dorothys Zynismus) taucht immer auf, wenn etwas Schlimmes passiert. Dann treffen sich die Frauen in der Küche und besprechen ihr Elend bei der Süßspeisung.

Der Käsekuchen, er ist das emotionale Zentrum der Serie, fast ein rituelles Sakrament. Wenn in einer Folge bei Käsekuchen auch noch alte Serienschnipsel rekapituliert werden – ein Füller, wie es ihn bei vielen früheren Serien gab – dann ist er sogar ein metareflexiver Spaß. Sophia: „Jede Katastrophe im Leben lässt sich mit einem Stück Käsekuchen und einer guten Ohrfeige überstehen.“

Mit diesen Miniaturen zeigt sich, wie jede Sitcom-Folge eben auch eine kleine Lehrstunde in Komödienkunst ist, wie vertrackte Situationen zum Bühnendrama umgearbeitet werden. Es ist wie eine Therapiestunde mit Schlagsahne: Hier gibt es Beichten, Geständnisse und Versöhnung. Mag später auch Reue über den späten Fett-und-Zucker-Snack aufkommen, der Käsekuchen ist das weibliche Pendant zum eilig heruntergeschütteten „Cheers“-Drink an der Bar. Er ist süß und banal, aber als heimliches Vergnügen und Seelentröster auch ziemlich ehrlich. Wer so zusammenkommt, braucht sich nicht verbiegen.

Vierzig Jahre nach ihrem Start wirken die „Golden Girls“ heute weder nostalgisch noch altmodisch. Stattdessen strahlt die Serie eine von Tabus ungerührte Unerschrockenheit aus, die in einer allgemeingültigen Liebeserklärung an die Kraft der Freundschaft eingebettet ist. Ein zeitloses Konzept? Dazu noch ein letztes Mal Sophia: „Die Leute verschwenden ihre Zeit damit, darüber nachzudenken, ob ein Glas halb leer oder halb voll ist. Ich trinke einfach, was im Glas ist.“

Marc Vetter schreibt freiberuflich unter anderem für ROLLING STONE. Weitere Artikel und das Autorenprofil gibt es hier.