John Butler im Interview über „PRISM“: „Eine spirituelle Odyssee“

Im ROLLING-STONE-Interview spricht John Butler über kreative Schwierigkeiten, Verluste und Triumphe.

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Mit „PRISM“ veröffentlicht der australische Gitarrist, Sänger und Multiinstrumentalist John Butler den dritten Teil seines vierteiligen Zyklus. Das Album, das ursprünglich in eine ganz andere Richtung gehen sollte, wurde schließlich zu einer intensiven Prüfung seines kreativen und inneren Gleichgewichts. Entstanden in einer Zeit privater Turbulenzen und Verluste, markiert Prism für Butler den Moment, in dem er sich zurückzog, um allein – ohne Band, aber gemeinsam mit Produzent James Ireland (Pond, San Cisco) – neue Wege zu finden. Heute bezeichnet Butler den Weg zu Prism, den er in unserem Interview ausführlich beschreibt, als eine Art Heldenreise und als eine der wichtigen Lektionen seines Lebens. Im November präsentiert er das Album gemeinsam mit einer neuen Band live in Deutschland. Am 8. November 2025 spielt Butler in Köln (Live Music Hall), am 12. November in Hamburg (Docks), am 13. November in Berlin (Astra Kulturhaus) und am 15. November in München (Tonhalle).

ROLLING STONE: John, Ihr Album „PRISM“ erscheint als dritter Teil des vierteiligen Zyklus – was allerdings zunächst gar nicht so geplant war. Können Sie die alles andere als einfache Entstehungsgeschichte mal umreissen?

Ich habe „PRISM“ zunächst allein aufgenommen, und mein Computer ist ständig abgestürzt. Meine Angstzustände, meine mentale Gesundheit waren nicht gut, meine Ehe hat gelitten. Mein Vater war gerade gestorben, der Vater meiner Frau ebenfalls – beide innerhalb von 40 Stunden, mitten im Lockdown, auf entgegengesetzten Seiten des Landes.
Ich war einfach an einem Punkt, an dem alles zusammengebrochen ist. Das Aufnehmen von „PRISM“ war für mich eigentlich etwas Schönes, es war Trost – allein zu sein und kreativ zu arbeiten, das war mein sicherer Ort. Aber als das plötzlich nicht mehr ging, habe ich irgendwie den Boden verloren. Ich musste aufgeben. Wissen Sie, ich konnte das Album nicht fertigstellen, und ich wollte auch mit niemandem daran arbeiten. Ich wollte einfach allein sein.

Aber im Aufgeben liegt etwas Schönes, weil es Raum lässt. Und in diesem Raum kam eine Art Eingebung – wie ein Download, wie eine kleine Epiphanie. Da war diese Idee: Geh zurück zu etwas ganz Einfachem. Mach kleine Projekte, die du schon lange tun wolltest. Dinge, die keine Band brauchen, sondern nur dich – damit du wieder Vertrauen gewinnst.
Und dann kam das ziemlich schnell runter, wie aus dem Nichts. Ich hörte in mir: „Mach zuerst das Ambient-Album. Ganz einfach. Heil dich selbst. Du bist offensichtlich nicht okay.“ Also war die erste Jahreszeit „Heal “– Heilung.

Dann kam „Begin Again“ – Neubeginn. Das bedeutete: Mach wieder ein Instrumentalalbum, so wie dein erstes Busking-Tape. Die dritte Jahreszeit begann mit Going Solo – das hieß: Wirf die Band über Bord. Du brauchst kein Trio, das ergibt gerade keinen Sinn. Und bring „PRISM“ zu Ende, vielleicht bist du jetzt bereit, vielleicht hast du durch Running River und Still Searching gelernt, was dir gefehlt hat.
Und das vierte Kapitel kommt noch. Vielleicht mache ich es mit einer Band, vielleicht nicht – ich weiß es nicht.

Ich habe einfach gemerkt: Ich war mitten in einem Zyklus, ohne zu wissen, dass ich ihn überhaupt begonnen hatte. Und als mir das klar wurde, wusste ich, dass ich das dokumentieren muss. Es war wie eine spirituelle Odyssee – wie in Homers Odyssee. Eine Heldenreise. Ich musste scheitern, um neu zu werden.

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John Butler im Interview: „Der Butler der Seele“

Sie sagten, dass das Aufgeben, das Loslassen, ein wichtiger Teil dieses Prozesses war – dieses „Surrender“. Als Sie dann wieder begonnen haben zu arbeiten, und das Ganze als Teil eines Zyklus gesehen hast: Wie hat sich das angefühlt? War da ein gewisses Gefühl des Risikos vorhanden?

John Butler: Ja, ich dachte: „Gott, ich hoffe, das funktioniert.“ Es war, als würde ich versuchen, einem sehr störrischen Pferd einen Sattel aufzulegen – und ich war nicht bereit, den Geist dieses Pferdes zu brechen, nur damit ich reiten kann. Ich wollte die Songs nicht brechen, nur um sie aufnehmen zu können. Ich musste offen bleiben, so wie der ganze Prozess es mir gezeigt hatte.

Also, James (mein Produzent) und ich verbrachten fast zwei Wochen im Studio – und es funktionierte einfach nicht. Ich sagte: „Bro, ich höre mir das auf der Veranda an, mit einem Joint, und das Stück sagt einfach: Nein.“ Und ich dachte: „Verdammt, was ist mit diesen Songs los?“ Und James sagte: „Lass uns nicht aufgeben. Komm zu mir nach Hause.“

Ich nahm meine Pedalsteel mit, und plötzlich war klar: So wollen sie entstehen. Ich mache zuerst einen Beat auf meiner Lieblingsgitarre, weil da die Energie liegt. Diese Beats sind die Grundlage. Und wenn ich über sie singen kann – etwas, das groovt, das funktioniert –, dann entsteht daraus alles andere.
Wir haben uns das wie DNA vorgestellt: Der Beat ist der Kern. Dann kommen die Synths, dann die Drums, dann der Rest.

Es war schon der dritte Versuch – der erste allein, der zweite mit James, der dritte wieder mit James – und diesmal hat es geklappt. Ich musste einfach weiter zuhören. Das ist das Wichtigste als Musiker: zuhören.

Es ist leicht, sich selbst zu täuschen und zu denken, man mache Kunst, damit sie einem selbst dient. Aber das stimmt nicht. Ich mache nicht Kunst, die mir dient – die Musik benutzt mich, um sich selbst zu erschaffen. Dabei  bin ich nur ein Werkzeug, ein Instrument. Ich bin der Diener des Songs. Der Song ist nicht mein Diener. Ich bin der Butler der Seele.

Viele Menschen haben Sie in den frühen 2000er-Jahren über dein Stück „Ocean“ entdeckt. Erinnern sich an die Zeit, in der Sie das Stück veröffentlicht haben?

Ich habe „Ocean“ zum ersten Mal auf meinem Busking-Tape veröffentlicht – auf Kassette, als ich auf der Straße gespielt habe. Dann kam es auf mein erstes Album, und später habe ich es nochmal als Studio-Version veröffentlicht, ich glaube 2012 oder so. Ich hatte schon fünf Jahre davor eine Version gemacht.
Es gibt so viele Fassungen davon im Internet – Live-Versionen, Studio-Versionen, Mitschnitte. Manche haben 18 Millionen Aufrufe, andere fünf. Ich habe nie gezählt, aber es sind unglaublich viele.
Und ich entdecke immer noch, wie weitreichend das Stück wirkt. Ich treffe ständig junge Leute, die mir sagen: „Ich habe gerade die Musikschule abgeschlossen, indem ich „Ocean“ gespielt habe.“ Oder: „Das war mein Prüfungsstück in der 12. Klasse.“ Oder ich sehe Tanzproduktionen, die dazu choreografiert sind.

Das Stück ist wie ein kleiner Späher, der vor mir herfliegt. Es zieht Leute an, die normalerweise nichts mit Gitarrenmusik am Hut haben – erst recht nicht mit instrumentaler, leicht verrückter Gitarrenmusik. Aber „Ocean“ lädt sie ein in diese Welt, die ich erschaffe. Diese ganze, seltsame, eigenwillige Welt mit all den Kollisionen von Stilen – von „Zebra2 über „Better Than“ bis „Going Solo“ und „The Way Back“. Und irgendwie ergibt das alles unter meinem Dach Sinn.

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Wie teilen Sie live die doch sehr elaborierten Beats und Percussion-Parts zwischen Ihnen und ihrem Drummer auf?

Beats, Rhythmus – das ist wie eine Wissenschaft. Die Drumkits und 808-Beats gehen an die Drummer, meine Percussion-Parts auf der Gitarre – Bongos, Sticks, Traps – an den Percussionisten. Ich schicke ihnen die Stems aus dem Studio, damit sie das analysieren können. Wir nennen das „Ghosting“ – man hat fünf Schlagzeugspuren und verschmilzt sie zu einer. Ian (Perez) macht dasselbe mit den Synths, manchmal spielt er gleichzeitig Bass und singt. Ich habe die Musiker ausgesucht, weil sie alle so spielen können, als wären sie zwei oder drei Personen in einem. Wir sind wie ein Orchester aus Beats – aber ohne Backing-Tracks. Das ist mir wichtig: alles echt, alles gespielt.

Wenn du mit Playback spielst, verlierst du die Magie. Wenn ich Ocean mit einer Aufnahme im Hintergrund spielen würde, würdest du dich fragen, was davon echt ist. Aber so weiß das Publikum: Das passiert gerade wirklich. Und das ist der Zauber. Wir arbeiten sehr genau, fast wie ein Orchester. Es gibt Regeln, wer was spielt, aber trotzdem bleibt Raum für Feuer, für Improvisation. Und wir spielen eben alles ohne Tracks, obwohl wir uns wie ein ganzes Ensemble anhören. Das ist das Ergebnis von Jahrzehnten Live-Erfahrung, und ich finde, das sollte man nicht „billiger“ machen, indem man einfach ein Playback laufen lässt. Wenn ich mit Band spiele, will ich, dass das Publikum wirklich spürt, wie vier Menschen diesen Klangkörper zum Leben bringen.

Verfolgen Sie eigentlich, was in der Szene der Akustikgitarristen gerade passiert?

Nicht wirklich intensiv, aber ich liebe es zu sehen, was die Leute machen. Die Gitarre ist ein unglaublich dynamisches Instrument – im Grunde eine hohle Holztrommel mit Saiten. Man kann sie in jede Richtung dehnen. Ich habe neulich Ben Howard gehört – er nutzt ähnliche Beats, offene Stimmungen, das gefällt mir sehr. Und dann gibt’s diese neuen Social-Media-Typen, die total verrückte Sachen machen. Einer spielt alle Parts gleichzeitig und redet dabei noch (lacht).

Ich kenne oft nicht einmal ihre Namen. Aber ich sehe diese jungen Spielerinnen und Spieler und denke mir: Wow, die holen aus einer akustischen Gitarre Dinge heraus, die man früher nicht für möglich hielt. Das Instrument ist dafür einfach gebaut – es ist so vielseitig. Du kannst es wie ein Banjo, eine Sitar oder eine Trommel klingen lassen, du kannst es verstärken und es klingt plötzlich wie eine E-Gitarre. Es ist grenzenlos.

Was ich daran liebe: Es ist nur durch deine Vorstellungskraft limitiert. Und weil ich selbst so viel Rhythmus mag, so viel Groove – für mich ist die akustische Gitarre die perfekte Verbindung von Schlagzeug und Harmonieinstrument. Ich kann darauf Beats machen, Melodien spielen, Flächen erzeugen – das ist wie ein ganzes Universum aus Holz.

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Und was steht als Nächstes an – der vierte Teil Ihres Zyklus?

(lacht) Keine Ahnung. Ich weiß ehrlich gesagt nicht viel über das Ganze, ich musste einfach immer wieder zuhören, wo mich die Musik hinführt. Vielleicht wird das vierte Kapitel ein Live-Album, vielleicht ein Live-Studio-Album mit Band – das würde Sinn ergeben: vom Ambient-Album über das Instrumental-Album zu Prism und dann als Blüte ein Band-Projekt. Aber ich weiß es nicht. Ich will mich nicht selbst im Weg stehen und keine Erwartungen haben. Gerade nehme ich Prism erst mit nach Europa, ich bin also mitten im Teilen dieser Musik. Das dauert bei mir immer zwei, drei Jahre. In der Zwischenzeit schreibe ich vielleicht, mache Schmuck, Lederarbeiten, spiele einfach Gitarre – und höre weiter zu, was die Musik mir sagt.

Wie ist es für Sie heute, „PRISM“ anzuhören? Hören Sie Ihre fertigen Alben eigentlich danach wieder an?

Wenn ich sie mache, höre ich sie ständig – beim Schreiben, beim Mischen. Aber dieses Album habe ich danach wirklich gern gehört. Es ist vielleicht das erste, das wirklich so klingt, wie ich es in meinem Kopf höre. Ich bin stolz auf den Weg, den es mich geführt hat, auf die Geduld, die Ausdauer, das Vertrauen.

Dabei musste ich wieder lernen, Menschen in mein Leben zu lassen. Ich war hochgradig ängstlich und wollte niemanden um mich haben. Aber um das Album zu beenden, musste ich verletzlich sein – vor anderen. Das war beängstigend. Und genau das ist das Schöne an Kunst: Sie zwingt mich, mich selbst zu treffen. Sie drängt mich aus meinem alten Exoskelett heraus in eine neue Haut. Ich habe noch nichts anderes im Leben gefunden – außer meiner Familie –, das das kann.

Wenn man seine Berufung findet, dann ist das eine Reise, eine sehr persönliche. Es geht darum, das eigene Ego, die Ängste, die Erwartungen loszulassen. Das ist die Aufgabe – die Musik kann nur durchkommen, wenn ich aus dem Weg gehe. Wir alle haben diesen „Genius“, diesen Geist in uns, aber wir müssen lernen, ihn hereinzulassen. Und dafür muss man sich selbst sehr gut kennen: seine Trigger, seine Schwächen, sein Ego. Das ist eine Lebensaufgabe. Für mich ist Kunst das Werkzeug, um das zu üben. Und das ist das größte Geschenk. Dass ich das seit 30 Jahren tun darf – und dass es mich ernährt –, das ist einfach unglaublich.

John Butler auf Tour:

08.11.25 Köln – Live Music Hall
12.11.25 Hamburg – Docks
13.11.25 Berlin – Astra Kulturhaus
15.11.25 München – Tonhalle
Special Guest: Noah Dillon

Markus Brandstetter schreibt freiberuflich unter anderem für ROLLING STONE. Weitere Artikel und das Autorenprofil gibt es hier.