Bob Dylan in Köln: Rau, nah, unverstellt – so war der Abend
Rau, poetisch, kontrovers: Unser Live-Report aus Köln mit Set-Momenten, Stimmen aus der Arena und dem besonderen Auftakt am Klavier. Jetzt den Bericht lesen.
Der Kollege Maik Brüggemeyer, einer der profundesten Dylan-Kenner des Landes und langjähriger Redakteur beim ROLLING STONE, reiste bereits am 24. Oktober per Bahn nach Lingen im Emsland. Im Newsletter zur November-Ausgabe notierte er Eindrücke aus der dortigen „Area“, die mit ihren rund 2.600 bestuhlten Plätzen natürlich nicht mit den großen Hallen in den Metropolen mithalten kann.
„Ich saß aus finanziellen Gründen recht weit hinten, konnte den Wuschelkopf aber gut erkennen“, schrieb Brüggemeyer.
Und weiter aus unserem Auszug aus dem Newsletter-Report: „Dass Dylan die Konzerte mittlerweile mit ‚I’ll Be Your Baby Tonight‘ eröffnet, deutet darauf hin, dass er einen intimen Rahmen durchaus zu schätzen weiß. Zumal er die Finger freudig über die Klaviatur hüpfen ließ, bei der Zeile ‚Bring that bottle over here‘ laut auflachte, die Gitarren dazu schunkelten, der Bass fröhlich und ein bisschen zu laut pluckerte und das Schlagzeug nebenher trippelte. Man hatte den Eindruck, die Band wolle hier einen emsländischen Partykeller auf die Bühne bauen. Zur Mentalität des Landstrichs passte es auch, dass Dylan einige Zeilen arg vernuschelte. Das anschließende ‚It Ain’t Me Babe‘, das eine gewisse Bindungsangst offenbarte, trug er mit deutlich mehr Verve vor (und leitete es mit einer kleinen Gitarrenfigur sogar selbst ein), während Tony Garnier seinen Bass wie einen Fluss durch den Song gluckern ließ, auf dem die Gitarren von Bob Britt und Doug Lancio wie Libellen tänzelten.“
Eine Momentaufnahme aus der Provinz, die am Montag (03.11.) in einer der größten Hallen des Landes neue Dimensionen erhielt.
Dylan in Köln: Zwischen Ikone und Schatten
Die Kölner Boulevardpresse konzentrierte sich erwartungsgemäß auf das strenge Handyverbot des Meisters aus Minnesota. Auch die Kollegen der „Rheinischen Post“ aus Düsseldorf flankierten mit einer prägnanten Überschrift: „Bob Dylan beim Verschwinden zusehen“. Der Reporter zeigte sich, wie andere auch, milde irritiert. Weiter hieß es: „Ein Kunstwerk oder das schlechteste Konzert aller Zeiten? (…) Dylan sorgte für einen magischen Moment am Schluss.“
Auch in Köln saß der Meister fast unsichtbar hinter einem Klavier, frontal zur Bühne, verborgen im Gegenlicht – eine Ikone, die sich nicht zeigen will. Erst nach einem langen instrumentalen Vorspiel erhob sich die vertraute, unverwechselbare Stimme: „Mach das Licht aus, zieh die Vorhänge zu“, sang Dylan, „du musst keine Angst haben. Ich werde heute Nacht dein Baby sein.“ Seine Stimme war rau, kratzig, brüchig – und doch von unverwechselbarer Poesie.
In der Deutzer Arena, die mit rund 10.000 Fans in der kleineren Variante genutzt wurde, klang es wie die Parodie eines Dylan-Parodisten – und gerade dadurch echter und unmittelbarer, sagten Beobachter vor Ort.
Setlist und Stimmungen
Auf „I’ll Be Your Baby Tonight“ folgte „It Ain’t Me, Babe“, mit langem instrumentalen Vorspiel, bevor Dylan selbst wieder einsetzte und den zarten Trost der ersten Zeilen gleich wieder in Frage stellte. Als drittes Stück erklang „I Contain Multitudes“, eine Selbstbeschreibung in Anlehnung an Walt Whitman, bei der Dylan seine widersprüchlichen Facetten als Lebensprinzip offenlegte. Er bleibt – wie Whitman – viele in einem.
Dylan, der sein Konzert wie gewohnt pünktlich zur „Tagesschau“ begann, ließ sein Lebenswerk ineinanderfließen. „Überall sind alte Fußspuren zu sehen, man könnte fast meinen, man sehe doppelt“, hieß es in „When I Paint My Masterpiece“, während Tony Garnier, seit 1989 Teil der Band, zum Kontrabass griff.
Dylan schien ab einem gewissen Zeitpunkt immer schon alt und doch auch für immer jung. Ein ewig tourender Troubadour, der seit über sechzig Jahren auf der Bühne steht und doch nie wirklich greifbar war und ist.
Zwischen Respekt und Ratlosigkeit
Nach etwa eineinhalb Stunden verließ er unsicheren Schrittes die Bühne. Und doch hätte man sich vorstellen können, er kehre in Gestalt eines jungen Schauspielers wie Timothée Chalamet zurück, um erneut in die Mundharmonika zu blasen, hieß es etwa im „Kölner Stadtanzeiger“.
Der „Express“ fing die Stimmung ein, als das Deckenlicht wieder anging und „wild“ diskutiert wurde:
„Arena-Geschäftsführer Stefan Löcher begrüßte in einer Loge unter anderem BAP-Ikone Wolfgang Niedecken, Star-Regisseur Wim Wenders und Liedermacher Björn Heuser. Ohne Dylan hätte Niedecken wohl nie angefangen, eigene Songs zu schreiben. ‚Er tut ausschließlich das, was er für richtig hält, und ist nun mal ein Kauz.‘“
Dann folgte ein sehr Niedecken-typisches Fazit: „Ein Scheinwerfer mehr wäre heute aber nicht schlecht gewesen.“
Ein Abend zwischen Licht und Schatten
In der Presse fanden sich unterschiedliche Stimmen der Besucher: Von „zwei verlorenen Stunden Lebenszeit“ bis „brillanter Abend“ reichte das Spektrum. Immer wieder wurde jedoch voller Respekt auf das Lebenswerk verwiesen.
Und: Alle waren sich in einem Punkt einig – nicht nur Köln hat wieder einen typischen Dylan erlebt.
Einzigartige Momente – und irgendwann einmal auch endlich.