Thomas Raggi: „Diese harten Gitarrenklänge – das bin ich“

ROLLING STONE hat mit Måneskin-Gitarrist Thomas Raggi über seinen neuen Weg als Solokünstler und den Rock’n’Roll der jungen Generation gesprochen.

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Es ist zehn Uhr morgens in Los Angeles und Thomas Raggi liegt der Jetlag noch in den Knochen, als er den Videoanruf aus dem heimischen Europa annimmt. Aber man entdeckt keine Spur von Müdigkeit in seinen Augen, bloß Aufregung, Adrenalin und einen Funken Spannung im Raum.

Ganz neu ist dies für Raggi freilich nicht – als Gitarrist der italienischen Erfolgsband Måneskin kennt er nur allzu gut das Gefühl eines Künstlers, der sein musikalisches Baby endlich der sehnsüchtigen Öffentlichkeit präsentiert. „Ich kann es gar nicht erwarten, mein Album mit allen zu teilen“, sagt er.

„Lasst uns echte Instrumente spielen!“

„Masquerade“ erscheint am 5. Dezember und wurde von Tom Morello, dem ehemaligen Gitarristen von Rage Against The Machine, produziert. „Ich liebe Rock, und ich möchte ihn der jüngeren Generation schenken“, sagt der 24-Jährige. Für Raggi ist Rock’n’Roll ganz und gar nicht tot – im Gegenteil findet er, dass das Genre auch unter jungen Menschen noch quicklebendig ist.

„Es stimmt nicht, dass junge Menschen keine Rockmusik mögen. Sie kennen sie nur nicht besonders gut“, sagt er. Raggi, in Rom aufgewachsen, hatte das Glück, dass sein Vater ihm in seiner Kindheit viele Idole des Rock auf Vinyl vorspielte, wie er erzählt. „Junge Menschen gehen vor allem in elektronischer Musik auf. Mir ist es wichtig, den Leuten meiner Generation zu zeigen, dass man aber doch ein Instrument kaufen und es spielen lernen kann! Ganz analog, die Gitarre, den Bass, die Drums – wir können doch echte Instrumente spielen!“

Thomas Raggi

Fans werden „Masquerade“ mit einiger Neugier begegnen, schließlich ist es Raggis Debüt als Solo-Künstler. Die meisten kennen ihn durch seine Rolle bei Måneskin, der italienischen Rockband, die 2021 durch ihren Sieg beim Eurovision Song Contest weltweit durchstarteten. Durch energiegeladene Performances, ihr jüngstes Album „Rush“ und Lobbekundungen von Mick Jagger und anderen Rock-Institutionen avancierte die vierköpfige italienische Gruppe schnell zum Inbegriff einer neuen Generation der Gitarrenmusik.

Doch 2024 kündigte die Band eine unbefristete Auszeit an – um sich auf Soloprojekte zu konzentrieren, wie sie sagten. Wie es mit Måneskin weitergehen soll, das bleibt erst einmal ein Rätsel. Still ist es um das Quartett dennoch nicht geworden: Tatsächlich veröffentlichte Sänger Damiano David im Mai 2025 sein Soloalbum „Funny Little Fears“. Bassistin Victoria de Angelis probiert sich als DJ aus und veröffentlichte ihre ersten eigenen Singles.

Den Weg als Solokünstler finden

Und nun folgt Thomas Raggi mit „Masquerade“, auch wenn er, wie er selbst sagt, keinen Druck empfand, seinen Bandkollegen nachzufolgen. Auf acht Songs bringt der dunkelblonde Gitarrist mit Nic Cester, Chad Smith (ja, der Chad Smith von den Red Hot Chilli Peppers!) und Matt Sorum, mit UPSAHL, Hama und Sergio Pizzorno, mit Alex Kapranos, Luke Spiller und Maxim einige etablierte Namen des Genres zusammen.

„Es war eine großartige Herausforderung, für dieses erste Soloprojekt meinen eigenen Klang zu finden“, sagt Raggi. „Für das Album habe ich mit so vielen verschiedenen Künstlern zusammengearbeitet, und jeder hat seine eigene Vision. Wenn dann der Moment da ist, wo man das perfekte Match zwischen ihren Vorstellungen und meiner Vorstellung findet, die Schnittstelle zwischen ihrem und meinem Geschmack – das ist der schwierigste und zugleich der schönste Teil.“

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Mit „Masquerade“ stellt sich Thomas Raggi der Rockgemeinde ganz neu vor – das merkt man allein daran, dass sich die Platte klanglich und stilistisch eindeutig von bisherigen Måneskin-Arbeiten abhebt. Offenbart sich auf dem Album ein ganz anderer Thomas Raggi? „Ja. Jeder Song ist eine Momentaufnahme, ein Portrait des Augenblicks. Und ich verändere mich jeden Tag“, meint er. „Manchmal höre ich mir einen Song an, den ich vor drei Monaten geschrieben hatte und ich frage mich, was, ich habe den geschrieben? Das war ich?“

Einen charakteristischen Klag, der typisch Thomas Raggi ist und der sich durch das Projekt wie ein roter Faden zieht, gibt es aber doch: „Diese harten Gitarrenklänge, die total verzerrt sind, und die extravaganten Soli – das bin ich. Das ist meine Persönlichkeit.“

„Jeder neue Song ist für mich eine neue Herausforderung“

Neu fühlt sich das Album nicht nur für Fans von Raggi und Maneskin an, sondern auch für den Gitarristen selbst. „Ich versuche, meine Grenzen zu verschieben, immer unterschiedliche Songs zu schreiben. Klar habe ich immer meine Rockidole als Vorbilder im Hinterkopf – aber dieses Album war wie eine Übung für mich“, sagt Raggi. „Jeder neue Song ist für mich eine neue Herausforderung. Ich experimentiere viel mit Instrumenten und Melodien, und der Arbeitsprozess hat mich persönlich sehr weitergebracht.“

Seine Bandkollegin von Måneskin, verrät Raggi, haben „Masquerade“ bereits gehört und fanden es „großartig“. „Ich bin so froh und weiß die Unterstützung, die sie mir für dieses Projekt gegeben haben, sehr zu schätzen“, sagt er. Immerhin, so lernen wir, scheinen die vier Mitglieder von Måneskin trotz ihrer Auszeit noch immer in freundschaftlichem Kontakt zu stehen. Da dürften Fans, die schon schlimmste Zerwürfnisse der Bandmitglieder befürchtet hatten, aufatmen.

Tom Morello war ein guter Mentor

Besondere Unterstützung erhielt Thomas Raggi aber vor allem von Morello, den der Musiker erstmals vor zwei Jahren in Los Angeles traf. „Es fühlte sich ganz natürlich für mich an, ihn zu bitten, meine Platte zu produzieren“, erklärt Raggi. „Er war ein Lehrer für mich, und ich habe viel von ihm gelernt. Wir haben eine unglaubliche gemeinsame Reise hinter uns.“

Auch der vielleicht wichtigste Ratschlag kam von dem Rage-Against-The-Machine-Gitarristen, der selbst nur allzu gut weiß, was es braucht, um ein guter Gitarrist zu sein. „Ich bin immer super fokussiert auf die Riffs in einem Song. Und ich suche stets danach, wie ich sie noch besser machen kann“, verrät Raggi. „Dann denke ich, dieser Riff ist noch nicht perfekt, ich muss weitersuchen. Aber von Tom habe ich gelernt, dass oft der erste Versuch, die erste Idee die beste ist. Dass man seinen Instinkten, seiner Intuition vertrauen muss.“

Mit dieser Einstellung will der junge Italiener weitere Projekte angehen – und sein Leben als Ganzes. Er freut sich nun vor allem darauf, sein Solodebüt live spielen zu können, und immer weiter neue Songs zu schreiben, die seiner Intuition ebenso gerecht werden wie dem Lebenstraum eines echten Rock’n’Roll-Gitarristen – ein Traum, der zum Klang der Schallplatten seines Vaters geboren, in Måneskin groß wurde und nun auf „Masquerade“ auf ganz eigenen Beinen steht. „Ich will zu meinen Fans in Verbindung treten, den alten wie den jungen, und den Menschen Musik überreichen, die ich liebe.“

Francis Delacroix